Timon GremmelsSPD - Energiepolitische Perspektive für Bürger und Unternehmen
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, jeder von uns kann Beispiele aus seinem Wahlkreis dafür nennen, wie die Situation vor Ort ist. Ich war in den letzten Wochen unter anderem bei einem Müller in einer von 150 Mühlen, die noch selber Mehl mahlen und nicht einem Industriekonzern untergeordnet sind. Dieser Müller hat mir gesagt: Noch zahlt er 5 Cent pro Kilowattstunde, doch sein Mühlgraben ist ausgetrocknet, und das Angebot für den nächsten Ersten des Monats – da läuft sein Stromvertrag aus – liegt bei 70 Cent pro Kilowattstunde. Das schafft er nicht, und er sagt, dann kann er hier eben kein Mehl mehr mahlen. Welche Auswirkungen das auf die Nahrungsmittelpreise, auf die Nahrungsmittelverfügbarkeit hätte, das kann sich jeder vorstellen.
Ich hatte auch ein Gespräch mit einer Bäckerei in meinem Wahlkreis, die vor einem Jahr in einen neuen Ofen investiert hat. Man dachte: Super, das wird jetzt alles effizienter werden. Auch diese Bäckerei steht jetzt vor den großen Problemen, die die steigenden Energiepreise mit sich bringen.
Diese Menschen wenden sich an uns und sagen: Wir brauchen Unterstützung. – Ich kann sagen: Ja, diese Koalition liefert, diese Koalition handelt. Wir unterstützen. Hier gilt das Wort unseres Kanzlers Olaf Scholz, meine Damen und Herren: Keiner wird alleine gelassen – „You’ll never walk alone“.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ganz konkret hat diese Bundesregierung für die große exportorientierte Industrie das Energiekostendämpfungsprogramm auf den Weg gebracht. Es wurde jetzt angekündigt, dass es um eine Mittelstandsschiene für kleine und mittlere Unternehmen erweitert werden soll. Es ist genau das richtige Signal, dass es jetzt Programme gibt, die sich am Mittelstand, am Handwerk orientieren. Es ist gut, dass das angekündigt wurde. Es ist gut, dass das, wenn ich den Minister richtig verstanden habe, auch rückwirkend – per Abschlagszahlung, als Zuschuss – erfolgen soll. Das hilft konkret. Das ist konkretes Handeln, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Olaf in der Beek [FDP])
Mir fällt es sehr schwer, nachzuvollziehen, dass es administrative Probleme gibt, weil die Schnittstellen nicht da sind, weil die Computerprogramme neu programmiert werden sollen, weil es Probleme gibt, welches Instrument der Auszahlung man wählen soll. Ich komme mir vor wie vor zwei Jahren in der Coronapandemie, weil wir schon damals all diese Probleme hatten. Ich glaube, wir müssen dringend gucken, dass wir Strukturen schaffen, die auch nachhaltig wirken.
Mein Appell an die Union, die das heute hier zum Thema macht, lautet: Sie sollten mal gucken, was in den von Ihnen regierten Ländern ist. Ich höre, dass sich einige Länder bei der Frage der Auszahlung weigern, ihre Infrastruktur zur Verfügung zu stellen; denn diese Länder seien noch mit der Abwicklung der Coronaprogramme, insbesondere der Schlussabrechnungen, beschäftigt. Das kann auch nicht sein.
Wir befinden uns in der Situation der größten nationalen Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Es darf nicht sein, dass Bund und Länder gegeneinander Politik betreiben,
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Dann redet man miteinander!)
sondern wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass die Zahlungen schnell ausgeführt werden. Wir erwarten, dass die Länder auch ihren Beitrag leisten
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
und dass sie ihre Möglichkeiten, wie bei der Coronapandemie, konstruktiv zur Verfügung stellen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Dann muss man reden!)
Deswegen ist es gut, dass wir an dieser Stelle handeln.
Wir machen ja noch mehr. Auch die großartige Erfindung des Kurzarbeitergeldes, die der damalige Arbeits- und Sozialminister Olaf Scholz auf den Weg gebracht hat
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ja, wer auch sonst! Er hat sich tatsächlich an der Regierung beteiligt! – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Und die 4 Cent Industriestrompreis! Super Sache! Warten wir heute noch darauf!)
und die uns schon in der Coronapandemie geholfen hat, wird jetzt weiter genutzt. Auch das ist etwas, was Menschen in einer schwierigen Situation Sicherheit gibt – und das ist auch gut, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Und wir haben noch was gemacht: Wir haben eine Energiepreisbremse auf den Weg gebracht. Wir sagen: Die Zufallsgewinne, die jetzt entstehen, die müssen abgeschöpft werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das ist eine Frage der Solidarität. Damit es auch die rechte Seite in diesem Hause versteht: Es ist eine Frage des Patriotismus. Es kann nicht sein, dass die Firmen jetzt schon wieder Auswege und Schlupflöcher suchen, um das nicht zahlen zu müssen.
(Zuruf der Abg. Julia Klöckner [CDU/CSU])
Mein Appell heute hier lautet: Die Unternehmen – auch die Industrie, auch die Energiewirtschaft –, die an dieser Stelle richtige Gewinne machen, müssen sich solidarisch, müssen sich patriotisch verhalten und dürfen nicht Auswege suchen,
(Zurufe von der CDU/CSU)
sondern sie müssen das Geld zahlen, was wir brauchen, um die Menschen zu entlasten. Das muss an dieser Stelle auch mal deutlich gesagt werden.
(Beifall bei der SPD – Zuruf von der AfD: Ab wann denn?)
Ja, wir müssen auch weitere Dinge tun. Schneller, als wir es vorhatten, müssen wir das Strommarktdesign überarbeiten. Aber, meine Damen und Herren, das ist eine Operation am offenen Herzen. Das kann man nicht von heute auf morgen mal eben schnell durchpeitschen. Das braucht Zeit. Der Strommarkt ist europäisch vernetzt. Wenn wir hier Fehler machen, dann droht eine große Katastrophe; das sage ich an dieser Stelle.
(Julia Klöckner [CDU/CSU]: „Dann droht eine große Katastrophe“! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)
– Ja, ich höre immer Ihre klugen Vorschläge hier vorne. Es ist aber in der Tat so, dass wir da ganz behutsam rangehen müssen.
(Mario Czaja [CDU/CSU]: Sie sind völlig zerstritten!)
Herr Czaja, Sie haben gerade gesagt, was man alles hätte tun müssen. Ich nenne Ihnen jetzt mal zwei Dinge, die hätten getan werden müssen:
(Zuruf des Abg. Kai Whittaker [CDU/CSU])
Wenn Herr Seehofer und später Herr Söder als Ministerpräsident von Bayern SuedLink nicht verhindert hätten, nicht gegen jede Leitung gekämpft hätten, wenn sie nicht die 10‑H-Regelung eingeführt hätten, dann wären wir heute deutlich weiter,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
dann hätte insbesondere Bayern diese Probleme nicht, vor denen wir heute stehen. Deswegen: Ducken Sie sich nicht aus der Verantwortung!
Ich mache es mir jetzt nicht so leicht und rekurriere auf die letzten 16 Jahre.
(Zuruf von der CDU/CSU)
– Ja, das ist jetzt ja ein Jahr her.
(Lachen bei der CDU/CSU – Mario Czaja [CDU/CSU]: Schade!)
– Nein, das mache ich nicht. – Aber Herr Söder ist heute noch in der Verantwortung. Deswegen sage ich: Heute muss er liefern! Auch heute gilt: Er muss die 10‑H-Regelung endlich komplett abschaffen. Auch jetzt muss er seinen Widerstand gegen Stromtrassen aufgeben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das hat nichts mit den letzten 16 Jahren zu tun;
(Mario Czaja [CDU/CSU]: Ja, stimmt!)
das hat mit der Gegenwart zu tun. Jetzt muss gehandelt werden, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jens Spahn [CDU/CSU]: Sagt das dem Bäckermeister!)
Sie machen hier in der Kernzeit so eine Debatte auf und gehen in Ihrer spannenden Rede gar nicht darauf ein, dass wir heute Morgen um 7 Uhr eine Anhörung im Energieausschuss hatten zum EnSiG 3.0 – Energiesicherungsgesetz 3.0 –, wo wir intensiv diskutiert haben, wie wir kurzfristig und schnell die Potenziale heben.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das diskutieren wir seit 20 Wochen! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)
– Nein. – Beim EnSiG 3.0 gibt es zum Beispiel bei den Netzen Effizienzmöglichkeiten. Bei der Windkraft, beim Gas und bei der Photovoltaik, da werden wir in der nächsten Woche hier etwas auf den Weg bringen, was ganz schnell hilft, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ach, nächste Woche?)
– Ja, nächste Woche ist die dritte Lesung.
Da Sie hier reinschreien:
(Lachen bei der CDU/CSU – Julia Klöckner [CDU/CSU]: „Reinschreien“!)
Das Versagen liegt doch bei Ihnen. Sie haben doch immer gegen Windkraft gekämpft, und Sie kämpfen doch auch heute noch gegen Windkraftanlagen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Reinhard Houben [FDP])
Gucken wir mal auf Ihre Bilanz dort, wo Sie mitregieren. Letzte Woche war der IHK-Mittelstandsausschuss bei mir in Kassel. Wir haben auch über Energiepolitik diskutiert. Dabei ging es gar nicht in erster Linie um Förderprogramme. Da ging es darum, dass die Bürokratie und Genehmigungsverfahren ellenlang dauern. Ein Unternehmen hat gesagt, sie könnten schon heute auf Photovoltaik setzen, wenn die entsprechenden Verfahren kürzer gewesen hätten. Das Gleiche bei der Windkraft.
Zum Beispiel in Hessen, wo Sie regieren, beträgt die Planungszeit für eine Windkraftanlage 38,2 Monate. Das muss geändert werden! Wir müssen schneller werden. Wir müssen schneller erneuerbare Energien aufs Tableau bringen. Das ist die Antwort, die uns aus der Krise hilft. Das hilft auch dem Bäckermeister vor Ort. Erneuerbare Energien sind auf lange Sicht der Kostensenker.
In diesem Sinne: Alles Gute und Glück auf!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: Das war nichts!)
Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Enrico Komning.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7546184 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 55 |
Tagesordnungspunkt | Energiepolitische Perspektive für Bürger und Unternehmen |