Martin Gaßner-HerzFDP - Kostenheranziehung in der Kinder- und Jugendhilfe
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Meine Damen und Herren! Leider hat nicht jedes Kind das Glück, sorglos auf der Blümchenwiese in einer intakten Familie groß werden zu dürfen. Zu viele lernen die Härten des Lebens schon viel zu früh kennen. Für knapp 60 000 Kinder im Jahr werden Kindeswohlgefährdungen festgestellt. Bei Inobhutnahmen übernimmt dann der Staat die Verantwortung für sie. 127 000 Kinder und Jugendliche leben in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe. Sie haben kein Elternhaus, das ihrem Start ins Leben als eigenständige Persönlichkeit einmal Rückenwind geben wird. Die Gegenwinde des Schicksals kennen sie dafür oft viel zu gut, oft besser als die meisten Erwachsenen.
Weil wir Politiker für sie eine ganz besondere Verantwortung haben, sollten wir uns alle Mühe machen, jede Schwierigkeit, die wir beeinflussen können, aus dem Weg dieser jungen Menschen zu räumen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Noch mehr: Wir sollten sogar den Anspruch haben, ihnen für den Start in die Eigenständigkeit unter die Flügel zu pusten. Die Kostenheranziehung tut genau das Gegenteil davon. Darum muss sie weg.
Wer in einer Jugendhilfeeinrichtung lebt und alles richtig macht, Stolpersteine überwindet, fleißig lernt, sich den Schulabschluss erkämpft und dann einen Ferienjob annimmt oder eine Ausbildung beginnt, der bekommt Post vom Jugendamt: Vom selbst erarbeiteten Verdienst soll die Unterbringung im Heim mitbezahlt werden – ein Schlag in die Magengrube, eine schreiende Ungerechtigkeit.
Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes selbst verdientes Geld, an diesen Stolz auf die eigene Leistung, an das Freiheitsgefühl, vor niemandem rechtfertigen zu müssen, warum man sich damit jetzt genau diesen kleinen, langgehegten Traum erfüllt? Die bisherige Regelung nimmt gerade den Jugendlichen, die dieses Erlebnis von Selbstwirksamkeit am allerdringendsten brauchen, diesen Erfolg. Es ist eine urliberale Forderung, dass sich Anstrengung lohnen muss. Diejenigen, die die schwierigsten Startchancen haben, müssen wir befähigen, ihren eigenen Weg zu gehen und ihre persönliche Aufstiegsleiter zu erklimmen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir leben in schwierigen Zeiten. Niemals war es deutlicher, dass die größte Unterstützung für junge Menschen ist, wenn wir ihre Hürden beseitigen. So ist es beim Bürgergeld, bei der geplanten Kindergrundsicherung und aktuell bei der Abschaffung der Kostenheranziehung. Wir ermutigen und befähigen zum Aufbau eines eigenständigen und selbstbestimmten Lebens.
Bereits in der letzten Legislaturperiode haben wir Freien Demokraten die Abschaffung beantragt. Wir konnten da bereits eine Senkung von 75 auf 25 Prozent erreichen. Der letzte Schritt, den wir jetzt gehen, war aber mit der Vorgängerregierung nicht möglich. Sie wollten die unnötige Bürokratie behalten und mit dem reduzierten Beitrag irgendeinen pädagogischen Auftrag verbinden – wir haben das eben wieder gehört –, den Sie schon damals nicht plausibel begründen konnten.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Dann haben Sie es verinnerlicht!)
Mich befremdet diese Botschaft an diese jungen Menschen, die viel zu jung schon viel zu viel erfahren haben, welche Härten das Leben bereithält. Unsere Ampelpartner waren in den Koalitionsverhandlungen sofort auf unserer Seite, und weil das Signal „You’ll never walk alone“ gerade jetzt, gerade am unteren Ende der Aufstiegsleiter so wichtig ist,
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
haben wir diesen Schritt auf Initiative der Freien Demokraten noch vor die anstehende große Reform des SGB VIII gezogen.
Weil ich zuvor in der öffentlichen Verwaltung tätig war, sei mir gestattet, darauf hinzuweisen, dass die Regelung auch deswegen wegmuss, weil der Aufwand zur Ermittlung und Durchsetzung der Kostenheranziehung in keinem Verhältnis zu dem sehr zweifelhaften Nutzen steht.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Bürokratie, die keinen sinnvollen Zweck erfüllt, brauchen wir nicht.
Mit der Abschaffung der Kostenheranziehung in der Kinder- und Jugendhilfe gehen wir einen längst überfälligen Schritt zu mehr Selbstbestimmung. Wir geben jungen Menschen die Zuversicht: Deine Anstrengung wird sich lohnen. Zukunftsträume werden endlich greifbar, weil das hart erarbeitete Geld gespart werden kann für die Kaution für die erste Wohnung, für die Bahnfahrt ans Meer, einfach für die vielen kleinen Dinge, die den Alltag schöner machen, für den Führerschein, der vorher einfach nicht drin war.
Uns muss bewusst sein, dass unsere Entscheidungen nicht nur faktische, sondern auch symbolische Wirkungen haben. Den Wert von Arbeit und Anstrengung derer zu erkennen, die unter besonders schwierigen Umständen täglich nach Kräften strampeln, ist daher das Mindeste, was wir ihnen schuldig sind.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7546370 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 56 |
Tagesordnungspunkt | Kostenheranziehung in der Kinder- und Jugendhilfe |