29.09.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 57 / Tagesordnungspunkt 7

Ingeborg GräßleCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zur Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin mir unsicher, ob ich jetzt den Frieden im Hause stören sollte. Ich möchte mich bei der Bundesregierung für die Festvorträge an diesem Donnerstagmorgen bedanken: schöne Sonntagsreden.

An folgender Stelle hat Kollege Brinkhaus recht: Wir haben nichts gehört über das Herunterbrechen dieser Nachhaltigkeitsstrategie, über Prioritäten:

(Dr. Nina Scheer [SPD]: Habe ich gerade erläutert, und nicht nur ich!)

Was kommt jetzt? Was kommt danach? – Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich den Frieden stören sollte, weil es so schön war.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Ich möchte mich wirklich bedanken bei der Bundesregierung: Es war schön. Endlich einmal wurde die Vorgängerregierung nicht für alles und jedes verantwortlich gemacht. Danke! Dass ich das erleben durfte in diesem Haus, macht mich glücklich und trägt mich durch diesen Tag. Wirklich danke!

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der AfD)

Ich möchte eigentlich einige Dinge hier beisteuern, zum Beispiel hinsichtlich der Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie über die Gesetzgebung. Ich möchte darauf verweisen, dass die Europäische Union gerade beim Thema Nachhaltigkeit sehr viel auf Gesetzgebung setzt. National draufsatteln wird immer wieder gern gemacht. Ich möchte aber vorschlagen, die Verwaltung mitzunehmen. Wir leiden doch an einem Umsetzungsproblem von Gesetzgebung. Wir leiden nicht an einem Mangel an Gesetzgebung. Das heißt: Laufen Sie nicht schneller, als Ihnen die Verwaltung folgen kann, weil die hehrsten Ziele sonst wertlos sind.

(Kay Gottschalk [AfD]: Wer hat denn die Grundsteuerreform gemacht?)

Ich möchte drei Punkte ansprechen.

Erstens die Frage des Haushalts. Haushalt ist mein Thema. Wir sehen natürlich, dass die Staatsfinanzen völlig aus dem Ruder laufen und dass das wesentliche Element der Nachhaltigkeit bei den Staatsfinanzen, nämlich die Schuldenbremse, in der Ampel ein ganz geringes Ansehen hat. Das haben wir bei der Rede des Kollegen Meyer wieder gesehen. Die FDP hat geklatscht, immerhin.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Wir auch!)

– Wir auch, ja. Die FDP kann sich in dem Punkt auf die Union verlassen.

(Lachen des Abg. Bernd Westphal [SPD])

Aber es wäre wichtiger, die SPD und die Grünen an Bord zu haben. Ich bin immer wieder bestürzt, zu sehen, wie wenig Unterstützung es für dieses nachhaltige Instrument gibt. Wenn von Kaputtsparen die Rede ist, dann ist das doch eine Ausrede. Wir haben über 330 Milliarden Euro Steuereinnahmen. Es ist nicht so, dass kein Geld da ist. Die Frage ist aber, wo es eingesetzt wird. Die Schuldenbremse ist ein ganz nachhaltiges Instrument. Ganz viele Dinge wären in diesem Land nicht möglich gewesen ohne die Schuldenbremse und ohne die Einhaltung der schwarzen Null. Im Jahr 2014 – Kollege Schreiner hat es gesagt – hatten wir zum ersten Mal seit 1969 einen ausgeglichenen Haushalt. Das hat ganz viel ermöglicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte Ihnen sagen: Ich bin auf diese Errungenschaft stolz, und ich möchte, dass auch die Schülerinnen und Schüler der Realschule aus Weissach, die gerade auf der Tribüne sitzen, stolz sind. Das wird ihnen helfen, künftig Handlungsspielräume zu haben.

Damit bin ich bei meinem zweiten Punkt: Nachhaltigkeit und das permanente und stete größere Leistungsversprechen des Staates. Das passt nicht zusammen. Der Bundesrechnungshof sagt: Der Haushalt ist versteinert; er ist am Rande seiner Tragfähigkeit. – Und Sie satteln weitere Dinge drauf. Sie satteln das Bürgergeld drauf und nehmen das wichtige Incentive zur Aufnahme von Arbeit weg. Warum tun Sie das?

(Zuruf von der AfD)

Die ganze Welt weiß, dass Wirtschaften so nicht funktioniert. Hilfe zur Selbsthilfe ja,

(Bernd Westphal [SPD]: Was ist das für ein Menschenbild? Christlich ist das auf keinen Fall!)

aber untergraben Sie doch nicht die Motivation derer, die jeden Tag aufstehen und zur Arbeit gehen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Leben Sie mal von 400 oder 500 Euro! Das ist zynisch, was Sie sagen, Frau Kollegin!)

Die Menschen werden sehr genau ausrechnen, ab wann es sich lohnt. Für eine Familie mit zwei Kindern lohnt es sich, nicht mehr zu arbeiten, wenn 3 500 Euro verdient werden.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ein Quatsch! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie befördern das auch noch!)

– Es tut mir leid. Ich kann es Ihnen nicht ersparen. Wenn man über Nachhaltigkeit spricht, muss man über die Nachhaltigkeit der Maßnahmen sprechen, die Sie hier treffen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie wollen nachhaltige Armut der Menschen!)

Wir haben Krieg in Europa und eine schwere Wirtschaftskrise. Wir müssen mit Verlust an Märkten und an Arbeitsplätzen rechnen, und Sie satteln in dieser Situation noch höhere Sozialabgaben drauf. Sie ignorieren den Handlungsbedarf etwa bei der Rentenversicherung, die demografischen Handlungsbedarf hat. Das wissen wir seit Jahren. Bitte handeln Sie. Sie sind jetzt dran.

Das Gleiche gilt für die Pflegeversicherung. Ich sehe mit großem Kummer, wie die häusliche Pflege im Verhältnis zur stationären Pflege vernachlässigt wird und schlechter gestellt wird. Auch da wäre es schön im Sinne der Nachhaltigkeit und für die künftigen Generationen, wenn an dem Punkt etwas passieren würde.

Ihre Analysen sind schon ein bisschen unterkomplex und die Maßnahmen nicht auf der Höhe der Probleme. Wenn wir hier einen Festvortrag hören und festlich miteinander umgehen, dann kann man das so machen. Aber ich bin auch dafür, dass wir die wahren Probleme ansprechen. Sonst fragen sich die Menschen, ob wir wirklich von einem anderen Stern kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte meinen dritten Punkt anbringen, nämlich: Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Erwin Teufel, der frühere baden-württembergische Ministerpräsident, hat das immer gesagt. Das heißt: Prioritäten setzen statt Schulden machen. Sie müssen den Koalitionsvertrag an die Zeit anpassen, in Teilen neu fassen, damit die Zeitenwende auch in diesem Papier und in den Köpfen aller in den Regierungsfraktionen ankommt. Nachhaltigkeit ist ohne Mut nicht zu machen.

Frau Gräßle, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Frau Präsidentin, ich bin gerade so schön in Fahrt, bitte nicht.

Gut.

Nachhaltigkeit darf nicht zu einem radikalen Geschäftsmodell verkommen, wie wir das in der Praxis auch mit der Taxonomie sehen. Ganze Wirtschaftsbereiche werden von frischem Kapital abgeschnitten und ausgetrocknet. Die Folgen werden wir alle zusammen ausbaden müssen. Nachhaltigkeit muss ein politisches Konzept sein, das den Wandel organisiert und möglich macht. Dazu fordern wir Sie auf. Die nächste Krise ist immer die schwierigste. Ohne Prioritäten bleibt mehr als die Nachhaltigkeit auf der Strecke, nämlich das Vertrauen der Menschen.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Johannes Wagner.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7546411
Wahlperiode 20
Sitzung 57
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zur Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie
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