29.09.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 57 / Tagesordnungspunkt 15

Katrin ZschauSPD - Lehrermangel in Deutschland

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Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Ministerin! Der Mangel an Lehrerinnen und Lehrern und Erzieherinnen und Erziehern ist eine der zentralen Herausforderungen für das Bildungssystem in den kommenden Jahren. Im Nationalen Bildungsbericht 2022 werden in einigen Bereichen teils massive Personalengpässe vorhergesagt. Im Schulbereich belaufen sich offizielle Bedarfsschätzungen auf etwa 30 000 fehlende Lehrkräfte an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen bis 2030. Hinzu kommt bis 2025 ein weiterer Zusatzbedarf von bis zu 65 600 Fachkräften durch den Rechtsanspruch auf ein Ganztagsangebot im Grundschulbereich.

Seit Jahren wird vor wachsendem Lehrermangel gewarnt. Die Erfahrungen der letzten zehn Jahre belegen, dass die KMK den Bedarf an Lehrkräften regelmäßig systematisch unterschätzt hat. Lehrer/-innenmangel ist nicht gleich Lehrer/-innenmangel. Die Länder sind unterschiedlich stark betroffen. Vor allem im ländlichen Raum fehlen Lehrkräfte und Fachlehrer/-innen für die einzelnen Schularten. Ein Trend zeichnet sich jedoch bundesweit ab: Bis auf das Gymnasiallehramt sind alle weiteren Lehrämter unterschiedlich stark defizitär. Es fehlen besonders Absolventinnen und Absolventen für die Grundschule und für die Berufsschule.

Trotz wachsender Schülerzahlen mit Förderbedarf stagnieren die Ausbildungs- und Einstellungszahlen für Lehramtsabsolventinnen und ‑absolventen mit einer sonderpädagogischen Fachrichtung. Grundsätzlich gibt es nicht genug MINT-Lehrkräfte. 50 Prozent des Musikunterrichts werden laut einer Bertelsmann-Studie fachfremd unterrichtet.

Zu den Verzögerungen und Engpässen kommt es vor allem, weil nicht nach langfristigen Bedarfen ausgebildet und eingestellt wird. Der Fachkräftemangel ist dramatisch für den Bildungsweg und Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen. Gleichzeitig verschlechtert er die Arbeitsbedingungen von Pädagoginnen und Pädagogen.

Die Attraktivität des Berufsfeldes spielt im Zusammenhang mit dem Lehrkräftemangel natürlich eine wesentliche Rolle. Lehrkräfte benötigen mehr Kapazitäten, um Schüler/-innen individuell fördern und binnendifferenzierten Unterricht durchführen zu können. Schulen sind oftmals mit sozialen Problemen konfrontiert, die Lehrkräfte auffangen müssen. Für die gemeinsame Schul- und Unterrichtsentwicklung mit dem Kollegium bleibt immer weniger Zeit. Zeit, nicht Geld wünschen sich die allermeisten, wenn man sich mit ihnen über ihren Arbeitsalltag austauscht.

Wenn ich sage, dass die Länder für die Fachkräftegewinnung zuständig sind, will ich damit die Verantwortung nicht wegschieben. Das geht in gewisser Weise ohnehin nicht, weil die Bürgerinnen und Bürger von uns Bildungspolitiker/-innen – das haben Sie gesagt – im Allgemeinen erwarten, dass wir die Probleme lösen. Wir sehen, dass die einzelnen Länderministerien unter Druck stehen. Noch scheint der Bedarf aber nicht da zu sein, sich innerhalb der gegebenen Strukturen des Föderalismus auf eine gemeinsame Problemanalyse zu verständigen, um auf dieser Grundlage Verabredungen zu treffen. Es muss aber um die Frage gehen, welche strukturellen Veränderungen auf welcher Ebene erfolgen müssen, damit das System der Lehrkräftebildung bedarfsdeckend und bedarfsgerecht ausbildet.

Darüber hat sich unter anderem Mark Rackles Gedanken gemacht. Ich ziehe einige seiner Vorschläge heran: Länder sollten sich nach einer festen Quote verbindlich verpflichten, für ihren eigenen Bedarf so viele Lehramtsstudierende auszubilden wie nötig. Die Länder sollten nach einheitlichen Vorgaben und verbindlichen Mindeststandards Prognosen erheben, Kapazitäten planen und Bedarfe ermitteln. Ein weiterer Vorschlag ist es, den Lehrkräftemarkt bundesweit und länderübergreifend zu betrachten und Personalgewinnung danach und gemeinsam auszurichten. Notwendig sind qualitative Standards in der Ausbildung von Quer- und Seiteneinsteigern. Notwendig ist darüber hinaus ein öffentlicher Diskurs, der bisherige Selbstverständlichkeiten hinterfragt – die Zahl der Lehramtsstudiengänge beispielsweise – und sich mit der Frage beschäftigt, ob wichtige Studiengänge zulassungsbeschränkt sein müssen.

Auf Bundesebene verpflichten wir uns mit der Förderung der Qualitätsoffensive Lehrerbildung auch inhaltlich. Wir sollten mit den Akteuren, vor allem mit den Zentren für Lehrerbildung, darüber diskutieren, wie die Strukturen der Lehrerbildung optimiert werden können. Diese inhaltlichen Punkte wollte ich voranstellen. Die Lehrkräftebildung darf keine Baustelle mehr sein. Sie muss Standards unterliegen, in sich stimmig sein und innovativ. Mit dem Abbau der Struktur- und Steuerungsdefizite verbindet sich die Hoffnung, dass die finanziellen Mittel, die jetzt für die Lehrerbildung insgesamt verausgabt werden, in der Sache ausreichen würden, um den Mangel zu beseitigen, wenn – das ist wichtig – eben gleichfalls strukturelle Veränderungen vorgenommen werden. Das lässt sich jedoch nicht mit Sicherheit sagen.

Vor allem die Frage der geänderten Arbeitsbedingungen – Stichwort „Attraktivität des Arbeitsplatzes Schule“ – könnte zusätzliche Kosten verursachen. Der vorliegende Antrag lässt dieses offen. Gleichzeitig kommt er wegen einer unzureichenden Problemanalyse nicht zu zielführenden Lösungsansätzen. Wir lehnen ihn deshalb ab.

Ich komme zum Schluss. Wichtig für uns ist in dieser ernsten Krise die Sicherung des Einzelplans Bildung in seiner jetzigen Höhe. Darüber hinaus werden wir mit dem Startchancen-Programm 4 000 Schulen mit Kindern und Jugendlichen aus Haushalten mit wenig formaler Bildung und ökonomischen Ressourcen in den Mittelpunkt stellen. Die Frage, wie viel Investition und Veränderung unser Bildungssystem insgesamt braucht, bleibt aber auf meinem und unserem Zettel. Wir sollten die Kontroverse suchen und um jeden Euro in der Bildung kämpfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Nicole Höchst hat jetzt das Wort für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7546469
Wahlperiode 20
Sitzung 57
Tagesordnungspunkt Lehrermangel in Deutschland
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