29.09.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 57 / Zusatzpunkt 1

Annette Widmann-MauzCDU/CSU - Aktuelle Stunde zu den Protesten in Iran nach dem Tod von Mahsa Jina Amini

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Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „ Lieber sterben wir, als dass wir weiterhin die Erniedrigungen ertragen“ – zu diesem existenziellen Schluss kommen Frauen im Iran. Trotz Festnahmen, Schlägen und brutaler Gewalt des Mullah-Regimes riskieren Tausende von ihnen gerade alles: ihr Leben, ihre Existenz. Diese Frauen verdienen unsere volle Solidarität, und sie verdienen ein starkes Zeichen der Geschlossenheit.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ihre Stimmen sind viel zu laut, als dass sie überhört oder nur kleinlaut zur Kenntnis genommen werden können; denn wenn sie den Mut haben, auf die Straße zu gehen, dann dürfen doch gerade wir, die wir in Freiheit leben, zu dem Schicksal von Mahsa Amini, dem Verschwinden von Nilufar Hamedi, die ihr Schicksal aufdeckte, oder der Inhaftierung von mehr als 1 200 Menschen wie der Frauenrechtsaktivistin Faezeh Haschemi nicht schweigen.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dass aber der Bundeskanzler in seiner 15-minütigen Rede vor den Vereinten Nationen die Proteste im Iran nicht mit einem einzigen Satz angesprochen hat,

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Er hat den Mullahs gratuliert!)

ist wirklich mehr als beschämend.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Er hätte gerade die Anwesenheit von Staatspräsident Raisi nutzen können, die massiven Menschenrechtsverletzungen seines Regimes zu verurteilen. Er hätte sich hinter die VN‑Menschenrechtsdeklaration und damit an die Seite der protestierenden Frauen und Männer stellen können, ganz nach dem Motto „You’ll never walk alone“. Aber was tat er? Er schwieg – wieder einmal! Sein nachgeschobener Tweet – sorry! – war an Belanglosigkeit nicht mehr zu überbieten.

Verehrte Frau Ministerin, leider waren auch Sie zu diesem Thema bis zum heutigen Tag öffentlich kaum wahrnehmbar.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das steht in deutlichem Widerspruch zu Ihrem feministischen Anspruch, aber vor allen Dingen zu den Erwartungen der Frauenrechtsorganisationen und der iranischen Zivilgesellschaft. Warum eigentlich?

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Widmann-Mauz, Sie werden gerade Ihrem Anspruch überhaupt nicht gerecht!)

Bei der Ukraine sind Sie viel empathischer, und Sie zeigen es auch. Bei Herrn Lawrow finden Sie doch sonst auch klare und deutliche Worte.

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was nützt es den Iranerinnen, wenn Sie die Ministerin in der Form angreifen? – Gegenrufe von der CDU/CSU: Oh!)

Das Schicksal von Mahsa Amini teilen im Iran im Übrigen unzählige Frauen, die Tag für Tag von Sittenpolizei und Geheimdienst gefangen, verschleppt, inhaftiert, vergewaltigt und getötet werden. Mit dem Abstreifen des Hidschab, mit dem Abschneiden ihrer Haare zeigen sie der Welt vor allen Dingen ihre Stärke, ihre Kraft und ihren unbändigen Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ihr Protest ist ein Akt der Rebellion, des Sich-Auflehnens gegen einen islamistischen Gottesstaat, gegen ein System der Willkür und der Unterdrückung.

(Zuruf der Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Frauen sind die treibende Kraft in diesem Kulturkampf für gesellschaftliche Veränderungen. Die Brutalität und die Härte, mit der das Regime gegen sie vorgeht, zeigen, wie sehr Despoten Frauen fürchten, die ihre Stimmen erheben und für ihre Rechte kämpfen.

(Zuruf der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Egal ob im Iran, in Afghanistan oder in Belarus: Ihr Widerstand ist der Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung einer ganzen Gesellschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Frauenaußenpolitik ist deshalb auch kein Rand- oder Nischenthema, bei dem oft gern gesagt wird, es gebe gerade Wichtigeres. Nein, es geht schon längst nicht mehr darum, ob wir eine Frauenaußenpolitik brauchen. Nein, es geht darum, mit welchen Instrumenten sie auch wirksam wird – nicht nur langfristig, sondern auch ganz konkret in akuten Krisen und Konflikten.

Welche Folgen haben denn jetzt die Proteste für die deutsche und die europäische Politik gegenüber dem Iran? Dazu habe ich wenig gehört. Welche Konsequenzen sehen Sie denn jetzt für die Bundesregierung bei den Verhandlungen um das Nuklearabkommen?

(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir sehr gespannt, was Sie sich vorstellen!)

Was bedeutet „Frauenaußenpolitik“ ganz konkret im Rahmen der Nationalen Sicherheitsstrategie?

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Gar nichts! – Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schlagen Sie doch mal was vor!)

Wenn Frauenaußenpolitik zu unserer außenpolitischen DNA gehören soll, dann muss sie doch auch mit den Mitteln der klassischen Außenpolitik verzahnt werden.

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Richtig!)

Was ist jetzt zu tun? Wir müssen den Druck auf den Iran erhöhen und ihm die Ressourcen entziehen, die das Unterdrückungsregime am Laufen halten. Es reicht einfach nicht, wie es die EU getan hat, nur den Umgang mit den Protesten zu kritisieren, zu ihren Ursachen dann aber höflich zu schweigen. Deshalb müssen zusätzlich die Sanktionen verschärft und ausgeweitet werden: erstens gegen die Personen und Regierungsstellen, die für die Morde und das brutale Vorgehen verantwortlich sind, zweitens mit der Ausweitung auf strategisch wichtige Felder – die USA haben bereits Firmen sanktioniert, die Russland mit Drohnen beliefern, die in der Ukraine eingesetzt werden – und drittens mit Nachjustierung im digital-technologischen Bereich, dort, wo nämlich ansonsten die Scheinwerfer auf das Unrecht ausgehen und die Mobilisierung und die Kommunikation der Zivilgesellschaft erschwert werden.

Wir müssen alle Mittel und Wege nutzen, die Frauenrechtsbewegung im Iran zu unterstützen. Dazu braucht es auch mehr finanzielle Mittel für die regionale Vernetzung und gerade eben nicht –

Frau Kollegin.

– die von Ihnen vorgesehenen und geplanten Kürzungen im Haushalt des Auswärtigen Amts.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Schweigen, Zögern –

Liebe Frau Kollegin, Sie müssen jetzt den Punkt setzen.

– und Zaudern sind im Feminismus keine Option. Handeln Sie danach!

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7546491
Wahlperiode 20
Sitzung 57
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zu den Protesten in Iran nach dem Tod von Mahsa Jina Amini
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