Norbert RöttgenCDU/CSU - Aktuelle Stunde zu den Protesten in Iran nach dem Tod von Mahsa Jina Amini
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meinen Beitrag dazu nutzen, mich nicht mit Begriffen, sondern mit der Politik der Außenministerin seit der Ermordung von Frau Mahsa Amini zu beschäftigen. Ich möchte mich mit den Taten, mit den Realitäten in den vergangenen zwei Wochen beschäftigen. Zu diesen Realitäten, zu Ihrer Politik, die Sie betreiben, haben Sie heute in Ihrer Rede wenig gesagt, sehr geehrte Frau Außenministerin. Darum möchte ich das tun.
Zu den Tatsachen Ihrer Politik zählt, dass Sie tagelang nach der Ermordung nichts gesagt haben.
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht!)
– Nein, schütteln Sie nicht mit dem Kopf. Sie haben tagelang nichts gesagt.
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt einfach nicht! Ich kann das nachweisen!)
Wenn das nicht der Fall ist: Bitte korrigieren Sie mich. Das erste Mal haben Sie dazu öffentlich etwas in New York am Rande der UN-Generalversammlung gesagt; da haben Sie zum ersten Mal etwas dazu gesagt. Alle Sätze, die Sie dort gesprochen haben, waren richtig. Alle Sätze, die Sie dort gesprochen haben, waren harmlos.
Es ist bislang nichts gefolgt. Sie sind bei den Sanktionen immer noch im Prüfstadium; keine Konsequenzen. In der Sprache hören wir das Minimum des Notwendigen, was man als demokratische Politikerin sagen muss, kein bisschen mehr. Das ist Politik. Politik wird aus dieser Leisetreterei, dem Kleinlauten, wenn man über die Gründe spricht, warum Sie sich so verhalten. Ich unterstelle Ihnen überhaupt nicht, dass wir nicht völlig übereinstimmen; das ist ja klar. Aber es gibt dafür einen Grund, und den müssen Sie auch benennen. Da müssen Sie auch transparent im Parlament sein. Der Grund ist das Nuklearabkommen, der sogenannte JCPoA.
Die Politik der Bundesregierung ist, dass Sie sich, um dieses Ziel, das Nuklearabkommen, nicht zu gefährden – es hängt sowieso in der Schwebe, es ist fast schon tot, aber es ist noch nicht wirklich tot –, dazu entschieden haben, gegenüber dem Regime zurückhaltend zu sein. Sie haben Angst: Wenn wir voll auf der Seite der Frauen stehen, dann stehen wir voll gegen das Regime.
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die EU diskutiert Sanktionen, weil sie das angestoßen hat!)
Diese Kritik wollen Sie nicht einstecken, um das andere Ziel nicht zu gefährden. Das ist Ihre Politik.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich finde, über diese Politik müssen wir reden. Wir müssen darüber reden; denn das Ziel, das Sie verfolgen, das Nuklearabkommen doch noch zu verwirklichen, auch wenn es der Iran vielleicht nicht will, ist ein richtiges Ziel. Aber ich glaube, Sie haben einen schweren Fehler gemacht. Der schwere Fehler liegt darin, dass Sie sich dazu haben verleiten lassen, wegen des einen Ziels, nämlich des Nuklearabkommens, bei dem anderen Ziel, an der Seite der unterdrückten und protestierenden Frauen zu stehen, einen Kompromiss zu machen.
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie es nicht hören, oder konnten Sie es nicht hören? – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie stellen einfach irgendwas in den Raum, und dann leiten Sie den Rest davon ab! Das ist falsch!)
Diese Verquickung ist ein schwerer politischer Fehler.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir müssen für beides sein, für das Nuklearabkommen und unbedingt für die Rechte der Frauen im Iran eintreten, und dürfen keine Rücksicht auf das Regime nehmen. Das ist die richtige Außenpolitik.
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie stellen Pappkameraden auf, und darauf bauen Sie ein Haus auf! Das ist doch absurd! – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 16 Jahre kein Wort dazu!)
Ich möchte begründen, warum diese Politik richtig ist, und ich möchte an Sie appellieren, zu dieser Politik zu kommen. Es ist ein Teil unseres außenpolitischen Selbstverständnisses, dass wir für Realismus sind, dass wir für Interessen sind, dass wir auch Kompromisse machen – gar keine Frage. Aber wir müssen genauso klarmachen, dass es ein Thema gibt, bei dem wir keine Kompromisse machen: Wir sind nicht bereit, uns selbst zu verleugnen. Wenn Freiheit und Würde von Frauen, von Menschen, die sich gegen ein Unterdrückungsregime wehren, unterdrückt werden, dann sind wir unmissverständlich an ihrer Seite.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das ist unser außenpolitisches Selbstverständnis, und das müssen Sie nicht durch Worte und wohlfeile Reden bekräftigen, sondern Sie müssen es durch Taten praktizieren. Das müssen Sie tun.
(Beifall bei der CDU/CSU – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wie Sie die letzten 16 Jahre!)
Es ist auch eine falsche Iran-Politik. Die junge Generation, die dieses Regime satt hat und die jetzt unter der Führung der Frauen für ihre Freiheit und Würde kämpft, ist die Zukunft des Iran und nicht dieses Regime. Indem Sie so stark auf den JCPoA setzen, sagen Sie auch implizit, unausgesprochen, dass Sie auf das Regime als Verhandlungspartner auch in der Zukunft setzen. Sie entmutigen die protestierenden Frauen, indem Sie nur auf dieses Abkommen setzen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die selbstreferenziellste Rede, die ich je von Ihnen gehört habe!)
– Wir müssen diese Kontroversen führen.
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber auf Fakten basiert!)
Sie müssen über konkrete Politik reden. Wir stimmen in den Grundwerten überein – das bestreite ich nicht –, aber Sie machen keine konkrete Politik, die an Ihren Reden orientiert ist.
(Beifall bei der CDU/CSU – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie bauen hier ein Kartenhaus auf!)
Es besteht eine Kluft zwischen Reden und Handeln. Das müssen Sie sich gefallen lassen.
Wir werden beim Regime nichts erreichen; denn Sie haben dem Regime eine bestimmte Erfahrung vermittelt. Ich glaube, das Regime ist überwiegend entschlossen, mit den Hardlinern, die da jetzt regieren, die Atomwaffe zu erwerben. Das Regime ist der Destabilisierungsfaktor der Region. Das Regime stattet Russland im Krieg gegen die Ukraine mit Drohnen aus. Und Sie haben diesem Regime jetzt folgende Erfahrung vermittelt: Wenn wir weiter auf Zeit spielen, wenn wir dieses Abkommen in der Schwebe lassen, dann haben wir einen Trumpf in der Hand; denn wir stellen fest, dass die europäischen Regierungen – auch die deutsche Regierung – dann noch Rücksicht auf uns nehmen. – Sie haben dieses Regime in seiner Politik, dieses Abkommen in der Schwebe zu halten und nicht zu verwirklichen, bekräftigt.
(Beifall bei der CDU/CSU – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht auf dem Planeten Röttgen! Aber nur da!)
Kollege!
Einen letzten Satz. – Die USA haben 2009 einen vergleichbaren Fehler gemacht. Es gab eine vergleichbare Situation, und sie haben sich aus einem anderen außenpolitischen Grund für Zurückhaltung entschieden.
(Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwei Sätze!)
Jake Sullivan war ein Mitarbeiter von Hillary Clinton, die damals verantwortliche Außenministerin war.
(Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drei Sätze!)
Kollege Röttgen!
Jake Sullivan hat in diesen Tagen erklärt: Wir haben damals einen Fehler gemacht,
(Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vier Sätze!)
und wir haben gelernt – ich zitiere das, und dann höre ich auf –,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
dass es für die USA das Wichtigste ist, standfest, klar und prinzipiengeleitet zu sein,
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das sind sie! Sie sitzen auf der Regierungsbank!)
wenn Bürger, egal in welchem Land, ihre Rechte und ihre Würde einfordern. Standfest, –
Kollege Röttgen, bitte.
– klar und prinzipiengeleitet – das wünschen wir uns von der deutschen Außenpolitik.
(Beifall bei der CDU/CSU – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind sie! Auf der Regierungsbank! Das haben Sie 16 Jahre nicht hingekriegt!)
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Kaddor das Wort.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7546500 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 57 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zu den Protesten in Iran nach dem Tod von Mahsa Jina Amini |