Frank SchwabeSPD - Aktuelle Stunde zu den Protesten in Iran nach dem Tod von Mahsa Jina Amini
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Herr Dr. Röttgen, Sie haben ja versucht, hier einen Popanz aufzubauen, eine Theorie aufzustellen, die Sie sich ausgedacht haben, und sie hier selbst zu belegen. Als Sie dann über das Nuklearabkommen gesprochen haben, dachte ich, jetzt komme ein Vorschlag oder am Ende, dass Sie sagen, Sie wollten es vielleicht auch gar nicht mehr. Aber Sie wollen wirklich beides, und Sie haben dann gesagt, die Außenministerin und wir alle täten zu wenig im Bereich der Menschenrechtspolitik gegenüber dem Iran. Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist – mir jedenfalls ist es aufgefallen –: Sie haben hier nicht an einer Stelle gesagt, zu was Sie die Bundesregierung auffordern, sondern nur einen Popanz aufgebaut. Das kann nicht funktionieren; denn diese Koalition, dieser Teil des Hauses, tut beides: Sie bemüht sich um den Weltfrieden und stellt die Menschenrechte in den Mittelpunkt ihrer Außenpolitik. Und das ist auch richtig so.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Sie haben offensichtlich gar nicht zugehört!)
Wir gedenken heute Jina Mahsa Amini, einer 22 Jahre alten Iranerin, und mit ihr den vielen Tausend anderen bei Protesten in den letzten Jahren und Jahrzehnten Getöteten, Hingerichteten. Was ist das eigentlich für eine Regierung eines Staates, die die eigene Bevölkerung wegen einer Kleiderordnung verhaften, verprügeln und mutmaßlich auch totschlagen lässt? Weltweit und auch hier in Deutschland erinnern wir an diese Proteste und unterstützen wir diese.
Interessanterweise sind viele Menschen, die aus dem Iran zu uns gekommen sind, auch in der deutschen Politik: der Parteivorsitzende der Grünen, der Generalsekretär der FDP; wir haben einen Fraktionsreferenten aus dem Menschenrechtsbereich, Arash Sarkohi. Sie sind wahrscheinlich hier, nicht weil es so toll in Deutschland ist – hier ist es natürlich auch toll –, sondern weil sie eben nicht mehr im Iran leben konnten. Deswegen ist das kein vom Westen gesteuerter Protest oder keine vom Westen gesteuerte Revolution – was auch immer da kommt –, sondern das ist die Unterstützung eines Protestes von einem freien Teil der Welt, wo Iranerinnen und Iraner ihre Heimat gefunden haben, weil sie hier offen reden können, weil wir für Freiheit und Offenheit in der Gesellschaft stehen. Deswegen ist es gut, dass wir das hier alle gemeinsam diskutieren können. Wir sollten das nicht untergraben, sondern als Deutscher Bundestag das klare Signal ausstrahlen: Wir stehen an der Seite der Iranerinnen und Iraner, die dort jetzt protestieren.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Ich will erinnern an Nahid Taghavi und andere, die eigentlich in Deutschland leben und beheimatet sind, aber ab und zu im Iran sind. Nahid Taghavi wurde dort am 16. Oktober des Jahres 2020 verhaftet und ist seitdem in Haft. Ich will auch daran erinnern, dass Vertreterinnen und Vertreter der iranischen Regierung nicht nur im Iran, sondern auch in Deutschland ihr Unwesen treiben und Menschen aus der Opposition, die hier im Exil leben, bedrängen. Ich finde, wir sollten alle gemeinsam genau hinschauen, zusammen mit den deutschen Sicherheitsbehörden, ob das eigentlich sein kann und ob wir da nicht weiter tätig werden können.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Seit mittlerweile 13 Tagen ebben die Proteste nicht ab. Es gibt nach den Erfahrungen der letzten Jahre unterschiedliche Einschätzungen dazu, wie lange das gehen wird und wie es ausgehen wird. Mein Eindruck ist – das ist das, was ich geschildert bekomme –, dass anders als 2016 und 2019 jetzt alle Schichten dabei sind: Menschen aus großen und aus kleinen Städten, traditionelle und liberale Communitys und auch Menschen, die wir vermutlich als unpolitisch beschreiben würden. Deswegen will ich auch an dieser Stelle Sardar Azmoun und der iranischen Fußballnationalmannschaft danken. Ich finde, angesichts der Debatte, die wir über Katar führen, stünde es der FIFA gut an, sich klar zu positionieren und sich mit der iranischen Fußballnationalmannschaft der Männer zu solidarisieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Die Angst ist bei vielen dem Mut gewichen, zum Teil dem Mut der Verzweiflung. Die Menschen gehen trotz der Erfahrung der brutalen Niederschlagung und 1 500 Toten an drei Tagen im Jahr 2019 jetzt auf die Straße. Frauen – das ist vielfach betont worden – sind die Speerspitze dieses Protestes, unter der Parole „zan, zengedi, azadi“ – Frau, Leben, Freiheit. Deswegen ist es vielleicht ein positiver Nebeneffekt der heutigen Debatte – so habe ich das verstanden –, dass zumindest Teile der Unionsfraktion eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik jetzt ganz gut finden.
(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Immer schon! – Peter Beyer [CDU/CSU]: Das ist doch nicht neu! Ist doch nur ein neues Label! – Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Angela Merkel!)
Es geht darum, Menschen in aller Welt, die aus unterschiedlichen Gründen unterdrückt sind, in die Lage zu versetzen, sich für ihre Freiheit, für ihr freies Leben einzusetzen. Das müssen wir aus Deutschland mit aller Kraft unterstützen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Ein letzter Satz. Es ist hier von Religion geredet worden.
(Beatrix von Storch [AfD]: Islam!)
Ich finde, man muss sich noch einmal klarmachen: Es ist keine Frage von Religion, wenn Menschen vorgegeben wird, wie sie zu leben haben. Es gibt andere muslimische Länder, die solche Vorschriften nicht kennen. Schon deswegen kann der Bezug auf die Religion nicht richtig sein. Man muss sowohl den Mullahs im Iran als auch der AfD sagen,
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau der richtige Vergleich!)
dass es keine Frage von Religion ist, wenn Menschen, wenn Frauen frei leben wollen.
Vielen herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7546502 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 57 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zu den Protesten in Iran nach dem Tod von Mahsa Jina Amini |