Franziska KerstenSPD - Wolfsbestandsmanagement
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Staatssekretär und sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Sie sind natürlich hier, weil Sie dieses Thema wichtig finden.
Ich möchte einmal etwas zu Herrn Otte sagen: Das war viel Meinung und wenig Ahnung.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Wer im Glashaus sitzt! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das glauben Sie doch wohl selber nicht!)
– Alles ist gut. – Ich fand es schon sehr interessant, dass Sie den Titel Ihres Antrags geändert haben. Ursprünglich war es „Weidetierhaltung durch nachhaltiges Wolfsbestandsmanagement ermöglichen“. Da konnte ich so ein bisschen nachvollziehen, was Sie wollen. Mit dem jetzigen Titel zeigen Sie, dass Sie den Wolf abschießen wollen. Das Problem ist dadurch einfach nicht gelöst. Wenn Sie das nur damit machen, aber nicht für Herdenschutz sorgen, dann müssen Sie alle Wölfe abschießen. Aber das schaffen Sie gar nicht mehr.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das sagt doch kein Mensch! Haben Sie unseren Antrag gelesen? – Henning Otte [CDU/CSU]: Fangen Sie doch mal an, sich mit der Situation auseinanderzusetzen!)
Außerdem gibt es eine Reihe von Einrichtungen, die sich intensiv mit Wolfsmonitoring und ‑management beschäftigen. Es gibt die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes in Görlitz und das „Bundeszentrum Weidetiere und Wolf“ der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung in Eberswalde. Unser Ziel auf Bundesebene sollte sein, sie dauerhaft und personell gut auszustatten, damit sie der Erfüllung ihrer Aufgaben wirklich nachkommen können.
Es gibt auch viele regionale Institutionen, nicht zuletzt das Wolfskompetenzzentrum meines Heimatlandes Sachsen-Anhalt. Denn die Rückkehr der Wölfe erfordert einfach auch eine präventive Anpassung der Weidetierhaltung. Hier ist die Initiative der Tierhalter unverzichtbar, um durch Wölfe verursachte Schäden zu vermeiden bzw. zu minimieren. Wölfe sind sehr lernfähig, und bei mangelhaften oder fehlenden Präventionsmaßnahmen können wiederholte Übergriffe eine Herde wirklich gefährden. Vorbeugung ist die beste Schadensverhütung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Weidetiere sind essenziell für den Erhalt der Kulturlandschaft. Wir nehmen daher die berechtigten Sorgen der Weidetierhalter sehr ernst.
(Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben?)
Natürlich muss ihnen eine wirtschaftliche Zukunft ermöglicht werden. Das kann nur mit effektivem Herdenschutz funktionieren. Das beginnt mit einer individuellen Beratung; denn man kann das Geld nur sinnvoll verwenden, wenn man weiß, wie man es anstellt. Hier müssen die Maßnahmen genau auf den Einzelfall abgestimmt werden.
Insbesondere der technische Herdenschutz ist zu nennen. Es können feste oder mobile Zäune sein, in Kombination mit elektrischen Weidezaungeräten.
(Henning Otte [CDU/CSU]: Würden Sie die jeden Tag schleppen wollen, die Zäune?)
Die Anschaffung wird finanziell unterstützt, und die Einhaltung der Mindeststandards bei Zaunhöhe und Beschaffenheit ist eine Voraussetzung für Entschädigungszahlungen. Der richtige Zaun mit der notwendigen Spannung gewährleistet nach Aussage von Experten ungefähr 80 Prozent der gesamten Schutzwirkung. Durch geeignete Herdenschutzhunde können Sie das eben noch mal um 15 Prozent erhöhen. Ein Restrisiko ist sicherlich nicht auszuschließen; aber ich habe lange Erfahrungen in Sachsen-Anhalt. Mit einem 1,20-Meter-Zaun mit vernünftiger Spannung waren in diesen zwei Jahren keine Verluste von Weidetieren zu beklagen.
Wir haben das in der IG Herdenschutz plus Hund, die von einem Schäfermeister in Sachsen-Anhalt organisiert wird, diskutiert. Er hat bisher keinen Weidetierhalter, den er beraten hat, der seinen Beratungen folgt, mit Problemen in der Weidetierhaltung festgestellt. Ich würde Sie einladen, nach Sachsen-Anhalt zu kommen.
(Henning Otte [CDU/CSU]: Ja, ich komme!)
Wir können das uns zusammen mal anschauen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Und Sie kommen zu mir in den Wahlkreis!)
Schauen wir uns die Ergebnisse der Herdenschutzmaßnahmen in Sachsen-Anhalt an: Während es im Monitoringjahr 2019/2020 385 Nutztiere bei 95 Wolfsübergriffen erwischt hat, waren es 2020/2021 nur noch 233 Tiere bei 62 Übergriffen – und das bei einer steigenden Rudelzahl.
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Na, da bin ich aber gespannt, was passiert, wenn der Wolf mal in den grünen Vororten auftaucht!)
So sieht erfolgreiches Wolfsmanagement aus.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Nee.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Herdenschutz und die Umsetzung der artenschutzrechtlichen Regelungen sind vor allem Ländersache. Der Bund unterstützt die Länder dabei, tragbare und sachgerechte Lösungen für präventiven Herdenschutz zu finanzieren. Das erklärte Ziel im Koalitionsvertrag ist es, den Erfahrungsaustausch zu bündeln. Daher arbeiten wir gerade an der Einrichtung eines Dialogs „Weidetierhaltung und Wolf“. Die mit diesen Fragen befassten Organisationen und Verbände werden daran teilnehmen. Ob die Zuständigkeit für die Rissbegutachtung direkt bei den Landesbehörden liegen sollte, wie Sie es in Ihrem Antrag fordern, würden wir auch dort beraten.
In Gebirgslagen und an Deichen ist der Herdenschutz eine besondere Herausforderung. Es liegt daran, dass es sich oft um unwegsames und unübersichtliches Gelände handelt oder aber Vorgaben des Hochwasserschutzes zu beachten sind. Was wir nicht machen können, ist die Einrichtung wolfsfreier Zonen, wie Sie es in Ihrem Antrag formulieren. Wir haben nämlich festgestellt, dass es EU‑rechtswidrig wäre, wie der EuGH in seinem Urteil vom 10. Oktober 2019 schon einmal bestätigt hat.
(Abg. Artur Auernhammer [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
– Der Herr Auernhammer hat eine Frage.
Es sind noch fünf Sekunden. Aber bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin und Frau Dr. Kersten, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben uns jetzt sehr viel von den Zaunmaßnahmen, von den Zäunungen erzählt. Abgesehen davon, dass diese Zäune in der Auslegung verdammt schwer sind und unsere Schäfer da sehr viel zu schleppen haben – im wahrsten Sinne des Wortes –, möchte ich Sie fragen: Wie stellen Sie es sich vor, dass man diese Zäune am Hochfelln, am Hochries, in den Bergen oder an den Teichen aufstellen soll? Wie stellen Sie sich vor, dass man da einen wolfssicheren Zaun über die Berge baut? Ich weiß nicht, ob Sie den Jubiläumsgrat kennen, ob Sie diese Bergregionen kennen. Wie stellen Sie sich vor, dass man hier wolfssichere Zäune aufstellen kann?
Da ich aber weiß, dass Sie gleich mit dem Argument der Herdenschutzhunde kommen: Wir haben hier wunderbare Wandergebiete. Hier ist der Tourismus eine Einkommensquelle für die ganzen Täler. Wie wollen Sie sicherstellen, dass diese Herdenschutzhunde die Touristen, auch wenn sie aus Sachsen-Anhalt kommen, nicht angreifen?
Danke schön.
Lieber Herr Auernhammer, danke für diese Frage. – Da kann ich jetzt schon darauf hinweisen, dass Sie 2021 gemeinsam mit uns einen Entschließungsantrag beschlossen haben, um die Forschung zu effektivem Herdenschutz in diesen besonderen Gebieten zu unterstützen. Aktuell läuft genau dieses Forschungsprojekt an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Wir sind sicher gut beraten, uns die Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Untersuchung anzuschauen und danach zu entscheiden, wie wir da weiter vorgehen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Und was machen die in der Zwischenzeit? – Henning Otte [CDU/CSU]: Was machen die bis dahin? – Gegenruf des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissenschaft ist nicht so Ihr Ding, oder?)
Außerdem möchte ich gerne betonen, dass das Land Niedersachsen aus Landesmitteln Forschung zu besserem Herdenschutz auch an Deichen fördert. Dort werden Umweltschutz und Landwirtschaft eben immer schon zusammengedacht. Mein Dank geht daher an den Minister Olaf Lies.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn es trotz Herdenschutz zu Nutztierrissen durch Wölfe kommt, werden diese selbstverständlich entschädigt. Ich betone noch einmal: Prävention durch Herdenschutz ist der beste und eigentlich der einzige Weg.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort geht noch mal an die CDU/CSU-Fraktion, an Alexander Radwan.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7546526 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 57 |
Tagesordnungspunkt | Wolfsbestandsmanagement |