Jan DierenSPD - EU-Umwandlungsrichtlinie Arbeitnehmermitbestimmung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen in den demokratischen Fraktionen! Liebe Kolleginnen und Kollegen in Betrieben und Unternehmen! Mein geschätzter Kollege Cronenberg hat gerade zu Recht darauf hingewiesen: Wir diskutieren dieses Gesetz zur Unternehmensmitbestimmung heute, 50 Jahre nach der letzten großen Reform der betrieblichen Mitbestimmung, 50 Jahre nach Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes. Deshalb lohnt es sich, das in einen größeren Rahmen einzuordnen.
Die Mitbestimmung in Deutschland bröckelt. Vor 20 Jahren wurden noch 50 Prozent der Beschäftigten in Westdeutschland und 42 Prozent der Beschäftigten in Ostdeutschland von einem Betriebsrat vertreten. Heute sind es noch 39 Prozent im Westen und 34 Prozent im Osten. Das ist ein Problem für uns alle;
(Beifall bei der SPD)
denn die Mitbestimmung in den Betrieben und Unternehmen ist nicht einfach ein nettes Gimmick, sondern ein grundlegender Pfeiler der demokratischen Ordnung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Deshalb ersetzen weder Coffee Corner noch Obstboxen in der Etagenküche Partizipationsmöglichkeiten und auch kein Kicker im Pausenraum das Recht auf Mitbestimmung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele für uns als Gesellschaft wichtige Entscheidungen treffen wir demokratisch. Das macht sie in der Tendenz ausgewogener und erhöht ihre Legitimation. Aber nicht alle wichtigen Entscheidungen treffen wir gerade demokratisch, zum Beispiel unternehmerische Entscheidungen in der Wirtschaft. Das trägt übrigens nicht immer zu deren Akzeptanz bei, wie man an öffentlichen Diskussionen über Preise gerade gut sehen kann. Aber auch in der Wirtschaft kann es demokratisch zugehen. Dafür spielt die Mitbestimmung der Kolleginnen und Kollegen eine Schlüsselrolle. Sie stärkt die Unternehmen: Mitbestimmte Unternehmen sind krisenfester, produktiver und haben zufriedenere Beschäftigte als nicht mitbestimmte. Und sie stärkt unsere Gesellschaft: Denn wo die Mitbestimmung in Betrieben und Unternehmen stark ist, ist es auch das Vertrauen in demokratische Prozesse überhaupt. Trotzdem gibt es jetzt Unternehmensleitungen, die sich der Mitbestimmung lieber entziehen, weil sie auch mal ungemütlich sein kann.
Ein Beispiel: Nach deutschem Recht ist der Aufsichtsrat von Unternehmen mit mehr als 2 000 Beschäftigten zu gleichen Teilen von Arbeitnehmer/-innenseite und Arbeitgeber/-innenseite zu besetzen. Manche Unternehmensleitungen umgehen das jetzt, indem sie ihre Rechtsform ändern, zwischen den Gesetzen verschiedener europäischer Länder hin und her springen. Mehr als 300 große Unternehmen mit insgesamt mehr als 2 Millionen Beschäftigten in Deutschland haben so die Mitbestimmungsrechte ihrer Beschäftigten ausgehebelt.
Mit dem vorliegenden Gesetz und der Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie der EU wollen wir genau das verhindern. Das sorgt übrigens auch für mehr Fairness unter den Unternehmen und ist richtig für uns alle. Denn die Vermeidung von Mitbestimmung ist nicht nur unsolidarisch gegenüber den vielen Unternehmen in Deutschland, die die Mitbestimmung ihrer Beschäftigten wertschätzen und achten. Es untergräbt auch einen Grundpfeiler jedes wirklich demokratischen Zusammenlebens.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts des Vorrückens faschistischer Strömungen in unserer Gesellschaft
(Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Wo sehen Sie denn die?)
– Sie fühlen sich zu Recht angesprochen –
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
braucht es gerade heute nicht weniger, sondern mehr Mitbestimmung, mehr Demokratie.
(Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Sie verstehen die Demokratie nicht!)
– Ja, reden Sie weiter! Sie bleiben weiter angesprochen.
(Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Sie faseln von Demokratie und akzeptieren sie nicht!)
Wer sich dem entgegenstemmt, gießt Wasser auf die Mühlen genau derjenigen, die das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. – Ob man das will, muss jetzt jede Person und jede Partei für sich entscheiden. Wir haben das. Wir wollen mehr Fortschritt, mehr Demokratie und mehr Mitbestimmung wagen.
(Zuruf von der AfD: Hat gereicht!)
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Ich schließe die Aussprache.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7546792 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 59 |
Tagesordnungspunkt | EU-Umwandlungsrichtlinie Arbeitnehmermitbestimmung |