Gabriela HeinrichSPD - Iranische Protestbewegung - frauenorientierte Außenpolitik
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor über 40 Jahren erlebte der Iran eine islamische Revolution, angeführt von Männern, die „Gott ist groß“ riefen. Heute steht das Land vor einer neuen Revolution, diesmal angeführt von Frauen. Sie rufen: „Frauen, Leben, Freiheit“.
Der Mut dieser Frauen ist kaum fassbar. Sie verbrennen Kopftücher, schneiden ihre Haare ab und reißen Bilder geistlicher Führer von den Wänden. Sie nehmen dafür Schläge, Tränengas, Verhaftung, ja, sogar den Tod in Kauf. Dieses Aufbegehren bei höchstem Risiko für Leib und Leben wird überall bewundert. Deshalb sehen wir bei uns und weltweit: Menschen solidarisieren sich über die Grenzen Irans hinaus mit den Demonstrierenden.
Seit Jahrzehnten leben Frauen im Iran fremdbestimmt und in Unfreiheit. Sie werden systematisch unterdrückt. Seit Jahrzehnten rütteln Frauen am Fundament eines scheinbar einsturzsicheren Gerüsts, von Männern gebaut und aufrechterhalten. Und jetzt schmettern sie dem Regime ihre Wut und Ablehnung mit aller Wucht entgegen.
Aber etwas hat sich verändert: Früher gingen die Frauen allein auf die Straßen, um für ihre Rechte einzustehen. Heute stehen Frauen und Männer Seite an Seite im Kampf um Freiheit. Denn darum geht es derzeit im Iran. Nicht nur um Solidarität, sondern um das Menschenrecht auf Freiheit. Selten zuvor hat sich die Wut und Ablehnung gegen die Unterdrückung so flächendeckend durch so breite Teile der Gesellschaft gezogen – quer über alle Religionen, Bevölkerungsgruppen und gesellschaftliche Schichten.
Gestern wurde gemeldet, dass es zu Streiks und Protesten in der Öl- und Gasindustrie im Süden des Landes gekommen sein soll. Denn die Demonstrationen für Freiheit bedeuten auch: Die Iranerinnen und Iraner wollen nicht in der Vergangenheit verharren – in einem Land, das von den Mullahs in großen Teilen systematisch isoliert wurde. Sie wollen Chancen, Perspektiven und bessere Lebensbedingungen. Sie verlangen eine Zukunft.
Männer und Frauen im Iran kämpfen gemeinsam für ihre Freiheit; denn sie wissen: Der Weg dorthin führt immer und überall über Gleichberechtigung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, feministische Außenpolitik enthält Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Und das möchte ich an dieser Stelle noch mal ganz deutlich betonen: Von Geschlechtergerechtigkeit profitieren wir alle. Eine Unzahl von Studien belegt: Je stärker die Frauen missachtet und unterdrückt werden, desto schlechter steht es um das Land, in dem sie leben. Geringere Wirtschaftsleistung, weniger Ernährungssicherheit, schlimmere Konflikte sind die Folgen.
Eine stabile Demokratie, in der alle in Frieden und Sicherheit leben, ist eine Demokratie, in der Frauen gleichberechtigten Zugang zu ihren Rechten haben. Eine feministische Außenpolitik ist deshalb eine Politik, die eine Gesellschaft als Ganzes sieht. Deshalb muss man sich auch nicht davor scheuen, das Wort „feministisch“ in den Mund zu nehmen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Götz Frömming [AfD]: Und das Wort „Islam“!)
Es ist ja schon bezeichnend, dass Sie sich in Ihrem Antrag offenbar nicht trauen, von feministischer Außenpolitik zu reden,
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)
sondern sie in Anführungszeichen setzen. Hinken Sie da nicht ein bisschen der Debatte hinterher?
Und wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Ich bin schon darüber gestolpert, dass Sie die Iranerinnen und Iraner, die gerade unter Gefahr für Leib und Leben auf die Straßen gehen, als „Testfall“ bezeichnen.
(Zurufe von der CDU/CSU)
Was wir jetzt brauchen, sind konkrete Maßnahmen zur Unterstützung vor Ort.
Erstens: gezielte Sanktionen gegen Verantwortliche. Vorschläge für Sanktionen gegen ausgewählte Personen, Organisationen und Einrichtungen liegen auf dem Tisch. Die EU-Außenministerinnen und ‑minister werden – Sie haben es gesagt – am kommenden Montag voraussichtlich darüber abstimmen.
Zweitens: praktikable Lösungen, um die Internetzensur zu umgehen, wie Sie auch völlig zu Recht vorschlagen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen vor Ort wieder freien Zugang zu Informationen bekommen. Auch, um ihren Protest zu organisieren.
Und drittens: Es darf bis auf Weiteres niemand mehr in den Iran abgeschoben werden. Es ist gut, dass Innenministerin Nancy Faeser die Länder dazu aufgefordert hat, über einen Abschiebestopp nachzudenken und zu entscheiden.
Zuletzt möchte ich sagen: Ihr Antrag ist durchaus interessant. Der Vorwurf gegen die Außenministerin, der damit verbunden ist, ist: alles schneller, alles besser, alles weiter. Aber es sind interessante Vorschläge, und deshalb möchten wir diesen Antrag in den Ausschuss verweisen, damit wir weiter darüber diskutieren können.
Und ganz zuletzt: Unsere Solidarität mit den Demonstrierenden muss ungebrochen bleiben. Das ist auch heute unser Signal an die mutigen Menschen, an die Frauen und Männer im Iran: Wir sehen euch, wir hören euch, und wir stehen an eurer Seite.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das Wort erhält Stefan Keuter für die AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7546796 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 59 |
Tagesordnungspunkt | Iranische Protestbewegung - frauenorientierte Außenpolitik |