Derya Türk-NachbaurSPD - Iranische Protestbewegung - frauenorientierte Außenpolitik
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen und andere! Da kämpfen mutige, junge, entschlossene Iranerinnen um ihre ureigenen Menschenrechte, um ihre Freiheit, um ihre Selbstbestimmung und ihre Würde. Trotz massivster Repressalien gehen sie auf die Straßen, zünden Kopftücher an, schneiden sich die Haare ab, um der ganzen Welt zu zeigen: Wir haben genug! So nicht, und so nicht mit uns! – Ich verneige mich, wir verneigen uns alle vor dem Mut und der Entschlossenheit dieser Frauen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wut und Mut setzen ungeahnte Kräfte frei; das haben Frauen in der Geschichte immer und immer wieder bewiesen. Und dann kommt ein Unionsantrag und will den Testfall einer frauenorientierten Außenpolitik initiieren. Diese Frauen sind kein Testfall und auch kein Spielball, von nichts und niemandem.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Katja Leikert [CDU/CSU]: Das haben wir doch gar nicht gesagt!)
Was genau mit frauenorientierter Außenpolitik gemeint ist, weiß ich nicht. Ich vermute, Sie haben das Wort ganz bewusst gewählt, um unsere Außen- und Entwicklungspolitik, die wir als Koalition verfolgen, nicht als feministisch bezeichnen zu müssen.
(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Sie interpretieren das ganz bewusst falsch!)
Keine Sorge, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, man wird nicht gleich feministisch – und es bleibt auch nichts kleben, und man steckt sich auch nicht mit Feminismus an –, wenn man es ausspricht oder ausschreibt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Katja Leikert [CDU/CSU]: Alles gut! Kommen Sie mal zur Sache!)
Sie wissen nämlich ganz genau, was das Wort „feministisch“ auch bedeutet: dass nicht mehr nur die sogenannten alten weißen Männer oder in dem Fall die alten bärtigen Männer allein die Spielregeln der internationalen Politik diktieren. In Zukunft werden wir Frauen selbst unsere Themen laut und deutlich äußern, noch deutlicher und noch viel lauter als zuvor.
(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Das erzählen Sie uns, wo Angela Merkel 16 Jahre lang Bundeskanzlerin war! Originell!)
Wir brauchen kein System des Patronats, das uns an die Hand nimmt und sagt, was wir zu tun haben. Genau das zeigen uns die mutigen Iranerinnen. Als Koalition wissen wir ganz genau, was unsere politischen und menschlichen Werte und Ziele sind, um eine erfolgreiche feministische Außen- und Entwicklungspolitik zu betreiben.
Keine Sorge, „feministisch“ bedeutet auch, alle Menschen und deren Bedürfnisse gleich zu achten und allen die gleichen Rechte zu gewähren.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es heißt nicht, andere zu unterdrücken oder zu bevormunden. Von daher: Bitte keine Angst vor feministischer Außenpolitik.
Unsere Ministerinnen gehen dabei mit großen Schritten voran. Unsere Außenministerin hat weitere Sanktionen gegen das repressive Regime im Iran angekündigt, darunter Einreisesperren, das Einfrieren von Vermögen in der EU. Dabei stimmen wir uns mit den internationalen Partnern ab. Viele der im Antrag aufgelisteten Forderungen sind in der Mache – Sie haben es erwähnt –, und weitere werden folgen. Da sind sinnvolle Vorschläge dabei.
(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Dann können Sie ja zustimmen!)
Es scheint mir in dem Fall aber so zu sein, dass es der Union nicht unbedingt um Frauenrechte geht, sondern einzig allein um politisches Kalkül oder, um Sie zu zitieren: um Etiketten. Einige Frauen Ihrer Fraktion waren genau wie viele meiner Kollegen und Kolleginnen vor zwei Wochen am Brandenburger Tor bei der großen Kundgebung nach dem Tod von Jina Mahsa Amini. Wir waren und sind uns hoffentlich in diesem Punkt einig: Frauenrechte sind Menschenrechte.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zuruf der Abg. Dr. Katja Leikert [CDU/CSU])
Wenn es der Union tatsächlich um die Unterstützung und den Schutz von Frauen geht, die sich gegen Gewalt auflehnen, die sich gegen Unterdrückung stellen, die vor Gewalt fliehen: Wie kann es dann sein, dass Ihr Fraktionsvorsitzender noch vor wenigen Tagen in Bezug auf Frauen, die mit ihren Kindern vor einem brutalen Angriffskrieg geflohen sind und Schutz bei uns gesucht haben, von Sozialtourismus spricht?
(Enrico Komning [AfD]: Weil er recht hat!)
Wie kann es sein, dass Ihr Landrat in Passau unter Vorspielung falscher Tatsachen einen gut integrierten Iraner, der in der Pflege arbeitet, in Abschiebehaft lockt?
(Zuruf von der AfD)
Wie kann es sein, dass Sie erst vor einigen Tagen mit Stimmungsmache gegen Migrantinnen und Migranten in Niedersachen auf Stimmentourismus gingen? Es ist Ihnen nicht gelungen, und ich sage: Was für ein Glück!
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Katja Leikert [CDU/CSU]: Null Substanz!)
Frauenrechte und somit Menschenrechte sollten auch für die Union überall gelten, auch vor der eigenen Haustür. Für mich ist dieser Antrag tatsächlich nur ein Etikett.
Liebe Frauen im Iran, lasst euch von nichts und niemandem instrumentalisieren! Lasst euch nicht zum Etikett machen! Wir stehen nicht nur an der Seite der unterdrückten Frauen, sondern an der Seite aller unterdrückten und marginalisierten Gruppen und aller Andersdenkenden im Iran. Wir sehen euch; wir hören euch, wie es meine Kollegin gesagt hat.
Danke.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist für Bündnis 90/Die Grünen Merle Spellerberg.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7546802 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 59 |
Tagesordnungspunkt | Iranische Protestbewegung - frauenorientierte Außenpolitik |