13.10.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 60 / Tagesordnungspunkt 7

Stephan StrackeCDU/CSU - Bürgergeld-Gesetz, Sozialer Arbeitsmarkt

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland sucht händeringend nach Arbeitskräften. Die Zahl der offenen Stellen befindet sich auf einem Rekordhoch; bundesweit sind über 1,9 Millionen Stellen unbesetzt, egal wohin man blickt: in der Gastronomie, im Einzelhandel, im Handwerk, in der Industrie. Gleichzeitig suchen 2,4 Millionen Arbeitslose eine Stelle, 930 000 davon bereits seit Jahren. Aufgabe muss es jetzt sein, die Arbeitslosen deutlich besser als bisher zu den offenen Stellen zu bringen. Wir müssen alles dafür tun, möglichst viele Menschen dauerhaft in Arbeit zu bringen. Das Bürgergeld wird dieser Aufgabe nicht gerecht; es ist eine verpasste Chance, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir als Union wollen arbeitslose Menschen möglichst rasch und dauerhaft in Arbeit bringen. Dabei wollen wir das Fordern bewahren und das Fördern deutlich besser machen.

(Saskia Esken [SPD]: Aha!)

Die links-gelbe Koalition will die Grundsicherung vor allem besser ausstatten. Sie will mehr Leistung, deutlich weniger Mitwirkungspflichten und weniger Vermittlung in Arbeit. Das geht vollkommen in die falsche Richtung.

(Beifall bei der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Unsinn!)

Wir als Union wollen, dass die Hilfe des Sozialstaats denen zuteilwird, die sich selbst nicht helfen können. Das ist auch ein Gebot der Fairness gegenüber den Steuerzahlern;

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es eigentlich gar keine CDAler mehr bei der Union?)

denn diese sind es ja, die mit ihren Steuermitteln die Leistungen erst möglich machen. Gleichzeitig wollen wir die Grundsicherung so weiterentwickeln, dass Leistung und Lebensleistung der Hilfebedürftigen besser berücksichtigt werden. Arbeit muss sich auch in der Grundsicherung lohnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die links-gelbe Koalition blendet demgegenüber durch eine zweijährige Karenzzeit die Erwerbsbiografie und die Lebensleistung von Menschen aus: beim Vermögen und beim Wohnen. Das ist eine eklatante Gerechtigkeitslücke. Auch da geht das Bürgergeld in die falsche Richtung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wollen, dass Arbeitslose nicht zu Langzeitarbeitslosen werden. Deshalb müssen wir ab dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit alles dafür tun, dass die Hilfe überflüssig wird, dass Arbeitsaufnahme gelingt.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht auch so im Gesetz drin! Einfach mal genau lesen!)

Und dazu braucht es eine intensive Betreuung und Beratung und eine passgenaue Unterstützung. Wir wollen dazu ermutigen, dass sich die Potenziale entwickeln, dass neue Chancen mutig ergriffen werden, dass jeder und jedem geholfen wird, einen Platz in der Arbeitsgesellschaft zu finden, damit beruflicher Aufstieg und auch gesellschaftliche Teilhabe besser gelingen. Dazu braucht es Hilfe, nicht nur für den Betroffenen, sondern für die gesamte Familie.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht doch alles im Gesetz! – Jens Teutrine [FDP]: Wo ist denn der konkrete Vorschlag?)

Hilfe aus einer Hand zusammen mit den Kommunen sorgt für größere und nachhaltigere Erfolge.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das nicht gelesen, den Entwurf?)

Und die Jobcentermitarbeiter brauchen endlich auch mehr Zeit, um sich um den Einzelnen verstärkt kümmern zu können.

(Stephanie Aeffner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau dafür sorgen wir!)

Dies würde am besten gelingen, wenn man den Betreuungsschlüssel verändert. Nichts von alldem – nichts von alldem! – ist im Bürgergeld-Gesetz enthalten und wird aufgegriffen.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie die letzten 16 Jahre gemacht?)

Das Bürgergeld ist hier eine verpasste Chance bei der Integration in Arbeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Schlimmer noch: Alle Erfahrung zeigt, dass es besonders auf die ersten Monate in Arbeitslosigkeit ankommt. Es sind die wichtigsten Monate, wenn man aus der Arbeitslosigkeit in Arbeit kommen will. Und anstatt besonders in den ersten Monaten alles daranzusetzen, um zu aktivieren, zu mobilisieren, zu motivieren, ja notfalls bei Pflichtverstößen auch mit Leistungskürzungen zu antworten, setzen Sie bei der Ampel mit einer sechsmonatigen Schonzeit – Sie nennen das witzigerweise „Vertrauenszeit“ – genau das entgegengesetzte Signal.

(Beifall bei der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vertrauen ist genau das, was im Moment fehlt!)

Statt auf Motivation setzen Sie auf unverbindliche Kooperation. So kann der Weg aus Arbeitslosigkeit nicht gelingen.

Der Weg zurück in Arbeit wird deshalb schwieriger, weil die Ampel die Vermittlung in Arbeit nicht verbessert, sondern sogar noch verschlechtert. Sie kürzen – nach dem Haushaltsentwurf – die Mittel der Eingliederung um 600 Millionen Euro. Das bedeutet weniger Möglichkeiten, weniger Chancen für Arbeitslose, Fuß zu fassen in Arbeit.

(Jens Teutrine [FDP]: Fake News! Fake News!)

Das ist schlicht fatal, was Sie an dieser Stelle machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Anstatt zu kürzen, wäre es viel wichtiger, mehr Mittel zur Verfügung zu stellen; denn die Flüchtlinge aus der Ukraine brauchen jetzt unsere Unterstützung.

(Otto Fricke [FDP]: Im Haushaltsausschuss sagt ihr das Gegenteil!)

Die Mittelkürzungen der Ampel sind arbeitsmarktpolitisch falsch und integrationsfeindlich noch dazu.

(Beifall bei der CDU/CSU – Otto Fricke [FDP]: Dann sagt das mal euren Haushältern!)

– Sie sind die Regierung; Sie müssen Ihre eigenen Kürzungen verantworten, Herr Kollege, und dürfen hier nicht auf die Opposition verweisen.

(Otto Fricke [FDP]: Dann beantragen Sie auch das, was Sie hier sagen!)

Wir wollen beim Fördern deutlich besser werden und auf das Fordern nicht verzichten. Zur Wahrheit gehört ja, dass über 95 Prozent derer, die sich in Arbeitslosigkeit befinden, mit Pflichtverstößen, mit Sanktionen nichts zu tun haben, weil sie sich wie selbstverständlich an die Regeln halten.

(Stephanie Aeffner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Trotzdem werden sie immer bedroht!)

Die links-gelbe Koalition hat ja aktuell dafür gesorgt, dass wir im Kern ein bedingungsloses Grundeinkommen haben, und zwar bis Mitte nächsten Jahres.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, nein! – Widerspruch bei der SPD)

– Ja, hören Sie nur zu! – Das bedeutet, dass Hartz-IV-Empfänger nach der aktuellen Rechtslage jedes Arbeitsangebot, jeden Integrationskurs, jeden Deutschkurs, jede Weiterbildung folgenlos ablehnen können.

(Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schlimme Hetze! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Ja, schreien Sie nur! – Es ist erstaunlich, dass die Arbeiterpartei SPD einem solchen Gesetzentwurf zustimmt, und es ist noch erstaunlicher, dass die FDP diesem Sanktionsmoratorium zugestimmt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Wird jetzt mit dem Bürgergeld eigentlich alles besser?

(Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Faktencheck!)

Ich darf hier mal aus einem Interview mit Johannes Vogel vom 22. Juli im Deutschlandfunk zitieren: Es muss, wie vor dem Bürgergeld, die Möglichkeit der Sanktion geben in dem Ausmaß, wie das Verfassungsgericht das zulässt. Alles andere ist unfair. – Zitat Ende.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jens Teutrine [FDP]: Und genau das steht im Gesetz, Herr Stracke!)

Genau das ist es nicht, was Sie in diesem Gesetzentwurf machen. Sie bleiben weit hinter dem zurück, was das Verfassungsgericht in diesem Bereich zulässt.

(Jens Teutrine [FDP]: Peinlich, was Sie abziehen! Peinlich!)

Das zeigt auch einmal: Sie bellen, und am Ende nicken Sie ab.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Populismus als Methode!)

Sie als FDP sind der Wackeldackel dieser Koalition, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD – Katja Mast [SPD]: Und Sie sind der Wackeldackel der Nation!)

Das Bürgergeld geht komplett in die falsche Richtung. Es fordert nicht, es fördert nicht in dem Maße, wie es notwendig ist.

(Katja Mast [SPD]: Die CSU ist der Wackeldackel der Nation!)

Ich freue mich auf die weiteren Beratungen, weil ich glaube: Dieses Gesetz kann nur besser werden, am besten mit einer Ablehnung und einer vollkommenen Neuaufsetzung dieses Gesetzentwurfs.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Beate Müller-Gemmeke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7546839
Wahlperiode 20
Sitzung 60
Tagesordnungspunkt Bürgergeld-Gesetz, Sozialer Arbeitsmarkt
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