13.10.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 60 / Tagesordnungspunkt 7

Kai WhittakerCDU/CSU - Bürgergeld-Gesetz, Sozialer Arbeitsmarkt

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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Stracke hat ja recht, wenn er sagt: Auf der einen Seite haben wir fast 2 Millionen offene Stellen und auf der anderen Seite über 2 Millionen Menschen ohne Job. – Wann also, wenn nicht jetzt, wäre der beste Moment, um möglichst viele Arbeitsuchende wieder in den Arbeitsmarkt zu bringen? Denn, Herr Teutrine, in unseren 16 Jahren haben wir es geschafft, mit Hartz IV die Anzahl der Arbeitslosen zu halbieren. Das ist die Benchmark, an der Sie sich messen lassen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP.

(Beifall bei der CDU/CSU – Stephanie Aeffner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei den Langzeitarbeitslosen hat sich gar nichts verändert!)

Genau diese Chance lässt das Bürgergeld im wahrsten Sinne des Wortes links liegen. Man erkennt es schon an Ihrem Gesetzestitel: Es geht Ihnen fast ausschließlich ums Geld, und, Herr Teutrine, wenn Sie nicht wollen, dass Fake News verbreitet werden, dann tun Sie das bitte auch nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke, dass Sie zugegeben haben, dass Sie Fake News verbreitet haben!)

Wir haben überhaupt kein Problem damit, wenn die Hartz-IV-Sätze sich in der Inflation um 50 Euro erhöhen. Aber es geht um das, was Sie drum herum machen.

(Saskia Esken [SPD]: Ach so!)

Denn Sie wollen nämlich nicht mehr prüfen, ob jemand die Leistung überhaupt noch wirklich braucht.

(Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Stimmt doch gar nicht! Schon wieder Fake News!)

Es interessiert Sie nicht mehr, ob jemand noch angemessen heizt. Es ist Ihnen egal, ob es Leute gibt, die hartnäckig gegen alle Regeln verstoßen. Das ist respektlos.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Stimmt doch gar nicht!)

Es ist respektlos gegenüber der überwältigenden Mehrheit von Arbeitsuchenden, die sich an die Regeln halten und alles dafür tun, wieder in Arbeit zu kommen. Es ist auch respektlos gegenüber allen, die mit ihren Steuern unseren Sozialstaat finanzieren. Die SPD nannte sich einst Arbeiterpartei. Aber mit diesem Gesetz geben Sie gerade die Leute auf, die etwas mehr als Hartz IV verdienen und mit ihren Steuern auch unseren Sozialstaat finanzieren.

(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch der Abg. Saskia Esken [SPD])

Angesichts der steigenden Energiepreise werden die Menschen mit sehr kleinen Einkommen ganz genau rechnen, ob sie nicht besser damit fahren, ihren Job an den Nagel zu hängen und stattdessen Bürgergeld zu beantragen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist doch falsch, Kai! Das weißt du auch! Zeig mir doch mal einen Fall!)

Arbeit muss sich immer lohnen. Wenn das nicht mehr gilt, gefährden Sie den sozialen Frieden in unserem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Whittaker, Entschuldigung. Gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? Herr Audretsch, glaube ich; ist das richtig?

Sehr gerne.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei keinem Podium werden wir Ihnen das mehr durchgehen lassen! Draußen so reden und hier drinnen so! Sich profilieren! – Gegenruf des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU]: Sie redet ja schon drauflos, bevor sie das Wort erteilt bekommt! – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe keine Frage beantragt! – Gegenruf des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU]: Aber einfach drauflosreden! – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wir lassen es Ihnen nicht mehr durchgehen! Draußen über die 500 Euro reden, und hier drinnen so eine Nummer abziehen!)

Herr Audretsch hat das Wort.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist mir egal!)

Also, wenn ich Ihnen antworten soll, muss es ein bisschen leiser sein!)

Ich kann den Ärger verstehen, man muss Ihnen aber, glaube ich, eine konkrete Frage stellen: Das, was Sie hier offensichtlich tun, ist, erneut die Schiene zu fahren, wie wir es in den letzten Wochen und Monaten gesehen haben: dass Sie Fake News verbreiten, dass Sie einfach Lügen in die Welt setzen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Das ist das, was wir beim Thema „bedingungsloses Grundeinkommen“ gesehen haben; das ist das, was Sie gerade wieder insinuiert haben. Es ist kein bedingungsloses Grundeinkommen.

(Marc Biadacz [CDU/CSU]: Das ist der Einstieg! – Manuel Höferlin [FDP]: Dem hätten wir nie zugestimmt!)

Das Gleiche trifft auf den „Sozialtourismus“-Vorwurf zu: Das ist Rechtspopulismus in reinster Form, der da vorgebracht wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Da kegeln Sie sich aus der Debatte und biedern sich ganz rechts bei der AfD an. Das ist es, was Sie machen.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ein Quatsch! – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Also, Ihre Fragen sollte man nicht mehr zulassen! Das ist doch missbräuchlich!)

Deswegen möchte ich Sie fragen: Warum haben Sie im Ausschuss ganz dezidiert gefordert, dass eine Inflationsanpassung geschehen muss? Warum haben Sie gefordert, dass mehr Anpassung geschehen muss? Warum sieht man das in Tweets von Ihnen? Warum kommt all das und gleichzeitig, auf der anderen Seite, die Hetze, die Sie verbreiten?

(Marc Biadacz [CDU/CSU]: Wenn das Hetze ist! Das stimmt überhaupt nicht! Das ist Kritik! – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Frau Präsidentin! – Marc Biadacz [CDU/CSU]: Also, Leute! Leute, Leute!)

Warum sagen Sie auf der einen Seite, das sei ein bedingungsloses Grundeinkommen? Woher kommt das? Es gibt keinen Punkt, an dem man festmachen kann, dass es ein bedingungsloses Grundeinkommen ist. Sie tun das.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Darf er jetzt eigentlich eine Rede halten?)

Noch einmal zum Regelsatz: Das Bundesverfassungsgericht hat 2014 gesagt, dass man auch unterjährig anpassen muss.

Herr Audretsch, kommen Sie zum Punkt.

Warum stellen Sie sich gegen das Bundesverfassungsgericht? Auch das ist eine Frage, die Sie beantworten müssen. Zuletzt – letzte Frage –:

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das waren doch Vorwürfe! Das war doch keine Frage!)

Wenn Ihnen die Menschen, die im Niedriglohnsektor unterwegs sind, wirklich von Wert sind, warum hat Ihre ganze Fraktion sich beim Mindestlohn enthalten?

Herr Audretsch.

Warum haben Sie sich nicht klar bekennen können?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Audretsch, kommen Sie bitte zum Schluss!

Nichts kam von Ihnen an der Stelle. Enthalten haben Sie sich, weil Sie keine Position haben und nur eins tun: Fake News und Hetze verbreiten. Das ist das, was Sie tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU – Gegenruf der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie mal aufhören, hier so rumzubrüllen?)

Herr Whittaker, Sie dürfen antworten.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Jetzt kriegt er aber Extraredezeit! – Gegenruf des Abg. Daniel Baldy [SPD]: Jetzt komm mal runter! Denk an deinen Blutdruck! – Gegenruf des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das ist beleidigend!)

Also, es ist ja interessant, zu sehen, was passiert, wenn man keine Redezeit von seiner Fraktion zugestanden bekommt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Herr Audretsch, nur weil Ihnen Kritik unlieb ist,

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Kritik!)

ist das noch lange keine Hetze.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Und ich finde es gefährlich unter Demokratinnen und Demokraten – und wir als Christdemokraten und Christsoziale sind stolze Demokratinnen und Demokraten, die dieses Land 70 Jahre lang geprägt haben –,

(Beifall bei der CDU/CSU – Jens Teutrine [FDP]: Benehmen Sie sich auch so!)

uns in eine Ecke zu stellen, wo Sie wissen, dass wir definitiv nicht dorthin gehören,

(Jens Teutrine [FDP]: Sie stellen sich da rein!)

und damit zu versuchen, sich leidiger Kritik zu entledigen; das lassen wir Ihnen nicht durchgehen, nicht bei diesem Gesetz und bei allen anderen Debatten auch nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber ein bedingungsloses Grundeinkommen ist das Bürgergeld trotzdem nicht!)

Das ist ein gefährliches Spiel, das Sie da treiben.

Herr Minister, ich möchte auch auf Ihren Verweis, man dürfe Arbeitslose nicht gegen Niedrigverdiener ausspielen, zurückkommen. Das ist vollkommen richtig. Aber man kann, wie ich gerade gesagt habe, berechtigte Kritik nicht einfach vom Tisch wischen, nur weil sie Ihnen unangenehm ist. Sie müssen schon dafür sorgen, dass auch die Niedrigverdiener etwas haben.

(Jens Teutrine [FDP]: Machen Sie einen Vorschlag!)

Sie könnten ja mal anfangen, dafür zu sorgen, dass mehr Netto vom Brutto übrigbleibt.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Genau das machen wir doch! Das ist euer Problem! Das ist nicht die Wahrheit!)

Stattdessen erhöhen Sie jetzt die Krankenkassenbeiträge, und das in Zeiten, in denen der Staat an steigenden Preisen sowieso mitverdient. Das ist ungehörig.

Das Allerwichtigste wäre doch jetzt, die Menschen in Arbeit zu vermitteln, anstatt sie im System zu verwalten. Und dazu fällt Ihnen ja fast nichts ein. Wir wissen aus der Forschung: Je besser Sie sich um die Menschen kümmern, je schneller Sie sich kümmern, desto eher gelingt der Sprung in Arbeit. Das heißt, mehr Personal, bessere Betreuung – das wäre jetzt wichtig.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jens Teutrine [FDP]: Sie haben die Haushaltsmittel gekürzt bei den Jugendlichen!)

Nur, dieser Erkenntnis folgen keine Taten. Stattdessen streichen Sie 600 Millionen Euro für den Eingliederungstitel. Sie kürzen noch einmal bei der Verwaltung, um 50 Millionen Euro. Letztes Mal haben Sie es schon um 750 Millionen Euro gestrichen. Sie machen das glatte Gegenteil.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Und es ist sogar noch schlimmer. In Zukunft wollen Sie sich in den ersten sechs Monaten gar nicht mehr um die arbeitsuchenden Menschen kümmern.

(Saskia Esken [SPD]: Schon wieder Lügen, Herr Whittaker! Das ist schade! Sehr, sehr schade!)

Dabei wissen wir: Je länger die Menschen ohne Arbeit sind, desto schwerer wird es, aus dieser Situation wieder herauszukommen. Und ich weiß, dass Sie den Menschen etwas Gutes tun wollen; aber in Wahrheit schaden Sie ihnen.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: So ist es!)

Das ist respektlos gegenüber den Menschen, die schon zu lange ohne Arbeit sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Und es ist auch respektlos gegenüber den Mitarbeitern in den Jobcentern. Sie versprechen den Menschen ab jetzt eine Behandlung auf Augenhöhe. Das war schon immer richtig. Das wird jetzt aber noch schwieriger, wenn Sie den Jobcenter-Mitarbeitern gleichzeitig die Mittel kürzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was mich an dem Begriff „Augenhöhe“ besonders stört, ist Folgendes: Sie unterstellen, dass in den Jobcentern die Würde der Menschen missachtet wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])

Das tun Sie, und das kann man in Ihrem Gesetzentwurf auch lesen. Sie legen minutiös fest, was der Jobcenter-Mitarbeiter während der Vertrauens- und Kooperationszeit alles nicht darf. In Zukunft müssen sich die Mitarbeiter mehr um Paragrafen als um die Menschen kümmern.

(Widerspruch bei der SPD)

Herr Whittaker, Entschuldigung, dass ich Sie noch mal unterbrechen muss. Aber es gibt noch eine Zwischenfrage von Frau Müller-Gemmeke aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das war vorhin auch keine Zwischenfrage! – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Nein! Nicht von den Grünen!)

Ich würde vorschlagen, dass Kolleginnen und Kollegen, die schon geredet haben, nicht unbedingt noch eine Zwischenfrage stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gut.

Werte Kolleginnen und Kollegen, bei diesem Bürgergeld stehen nicht die Menschen im Mittelpunkt, sondern die Hartz-IV-Vergangenheitsbewältigung der SPD. Sie wollen die Menschen ruhigstellen, anstatt sie zu aktivieren, um Ihr Gewissen zu beruhigen.

(Zuruf von der SPD: So ein Quatsch!)

Das hat kein Arbeitsloser verdient.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir als Union sagen stattdessen: Wir halten am Fordern fest und müssen beim Fördern noch besser werden: durch weniger Bürokratie, damit die Mitarbeiter mehr Zeit für die arbeitsuchenden Menschen haben. Denn Hartz IV überwindet man nicht durch einen neuen Namen. Hartz IV überwindet man durch Taten, indem man die Menschen in Arbeit bringt. Fangen Sie endlich damit an!

(Beifall bei der CDU/CSU)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7546846
Wahlperiode 20
Sitzung 60
Tagesordnungspunkt Bürgergeld-Gesetz, Sozialer Arbeitsmarkt
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