Markus ReichelCDU/CSU - Bürgergeld-Gesetz, Sozialer Arbeitsmarkt
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal, Frau Klose, muss ich sagen, dass Sie als Allererste hier in der Debatte das Wort „Faulheit“ verwendet haben.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee, das stimmt nicht!)
Das ist bestimmt kein Beitrag zum Kulturwandel, den wir hier brauchen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Marc Biadacz [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Ich möchte auch Herrn Kober sagen: Sie haben uns ja den Ratschlag gegeben, wir sollen mal die Gesetzestexte und Begründungen lesen. Ich habe das sehr wohl auch schon vorher gemacht, und ich habe dann endlich auch mal die Antwort darauf gefunden, wieso das Bürgergeld eigentlich Bürgergeld heißt. Denn das Bürgergeld heißt Bürgergeld, weil es die Bürger am Ende eine ganze Menge Geld kosten wird.
(Zurufe von der FDP: Oah! – Lachen bei Abgeordneten der SPD)
Was mir in der Debatte hier wirklich fehlt, ist die Perspektive derer, die dafür über ihre Steuern am Ende Geld bezahlen werden. Für die ist der Gesetzentwurf, so wie er vorliegt, eine Zumutung.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich denke hier mal an die Verkäuferin, zum Beispiel in meiner Stammbäckerei in Dresden, die jeden Morgen zuverlässig zur Arbeit geht und natürlich auch erwartet, dass jemand, der vielleicht gerade keine Arbeit hat,
(Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
dieselbe Bereitschaft und Zuverlässigkeit aufbringt. Diese Verkäuferin hat aber nicht die Möglichkeit, zu ihrem Chef zu sagen: Ich habe jetzt mal sechs Monate Vertrauenszeit. Nun komm mir mal bitte nicht mit der Erinnerung an meine Pflichten.
(Beifall bei der CDU/CSU – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ja! Sehr gutes Beispiel! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da lacht der Herr Frei auch noch! In was für einem Leben leben Sie eigentlich?)
Herr Dr. Reichel, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Herrn Kober aus der FDP-Fraktion?
Bitte schön, Herr Kober.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Reichel, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie sprechen die Kosten an, die von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern zu decken sind, um die Leistungen des Sozialgesetzbuches II, künftig Bürgergeld, zu finanzieren. Sie haben gesagt, auch Sie haben den Gesetzentwurf gelesen. Ich empfehle Ihnen zum Beispiel die Lektüre des Bundesverfassungsgerichtsurteils von 2014, in dem noch mal eindeutig klargestellt worden ist, dass in unserem Land das Existenzminimum gewährleistet ist und gewährleistet bleiben soll.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und zwar für alle!)
Damit möchte ich Sie fragen: Wenn Sie aus den Reihen Ihrer Fraktion immer wieder betonen, dass der Inflationsausgleich wichtig und richtig ist, und Sie sich gleichzeitig zum Grundgesetz und zu Verfassungsgerichtsurteilen bekennen, an welcher Stelle möchten Sie dann wirklich dieses Sozialleistungssystem infrage stellen? Ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie hier eine Diskrepanz aufmachen zwischen sozialen Rechten, die Sie nicht benennen, auf der einen Seite und den Kosten für den Steuerzahler auf der anderen Seite, und ich frage Sie, wie Sie diesen Widerspruch auflösen wollen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Er hat doch gerade über die Vertrauenszeit gesprochen! – Zuruf des Abg. Kai Whittaker [CDU/CSU])
Sehr geehrter Herr Kollege, vielen Dank für Ihre Zwischenfrage. – Wir müssen das einmal miteinander ausdiskutieren. Es ist natürlich jetzt nicht hilfreich, wenn wir uns wechselseitig verschiedene Lektürevorschläge geben.
(Dr. Lukas Köhler [FDP]: Das Grundgesetz zu lesen, ist ein guter Vorschlag! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil! – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der Punkt, den wir in dieser Debatte herausarbeiten, ist folgender: Niemand stellt doch hier – ich wüsste niemanden – die Erhöhung der Regelsätze infrage.
(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
– Ich weiß nicht, wieso Sie da jetzt hier in so ein Gelächter ausbrechen.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr habt es doch selber eben kritisiert!)
Es geht doch um eine Sache: Mit diesem Gesetzentwurf werden Sie eine ganze Reihe von Fehlanreizen entweder einführen oder noch ausbauen,
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn?)
die im Ergebnis dazu führen werden, dass die Zahl der Berechtigten
(Saskia Esken [SPD]: Wo denn?)
endlos ausgeweitet werden könnte.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Denken wir an das Thema der überzogenen Vertrauenszeiten. Denken wir an das Thema der Sanktionen, die weit unter dem Niveau sein werden, das auch Sie als FDP erwartet haben. Das ist doch eine Einladung. Genau das sagt auch die Verkäuferin, von der ich gerade zu erzählen begann. Sie sagt: Wie ist denn das möglich?
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir müssen verhindern, dass sie ihren Job verliert!)
Ich muss mir doch die Frage stellen, was dann von meiner Disziplin und von meiner Zuverlässigkeit, mit der ich zur Arbeit gehe, noch übrig bleibt. Will ich da noch arbeiten, ja oder nein? Sie stellen das infrage. Deswegen sehen wir, dass wir entsprechende Zugänge in das Grundsicherungssystem haben werden.
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das wird die Steuerzahler eine Menge Geld kosten. Hier sind wir strikt dagegen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich sage Ihnen auch: Wir reden jetzt in diesem wunderschönen Plenum. Ein Beispiel: Eine gute Bekannte von mir aus meinem Wahlkreis – Anna heißt sie – ist über private Probleme letzten Endes aus dem Arbeitsprozess herausgefallen. Sie landete im Hartz-IV-System, hat sich dann in die Arbeit zurückgekämpft. Auch sie sagt: Natürlich will ich arbeiten, weil ich dazugehören will, weil ich teilhaben will.
(Zuruf der Abg. Rasha Nasr [SPD])
Aber Leistung muss sich doch lohnen; sonst fehlt doch auch mir die Motivation. – Das ist das, was die Menschen vom Grundsicherungssystem erwarten, und Sie wenden sich davon jetzt konsequent ab.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir reden doch auch – jedenfalls ich habe es getan – intensiv mit den Mitarbeitern im Jobcenter. Die stimmen dem zu, dass wir hier falsche Anreize setzen, wenn das Bürgergeld so umgesetzt wird. Das können Sie doch nicht machen.
Auch die Verkäuferin wird am Ende darauf angewiesen sein, dass sie mehr netto hat, wenn sie arbeitet und zuverlässig zur Arbeit geht, als wenn sie das nicht tut. Hier werden wir ansetzen müssen, also nicht nur im Bereich des Bürgergeldes selber, sondern auch drum herum. Sie haben es ja angesprochen: Energiekostenbremse. Wann kommen wir denn endlich dazu, dass die Energiekostenlast tatsächlich gesenkt wird, und zwar nicht erst im März, sondern frühzeitig?
(Annika Klose [SPD]: Das hat doch jetzt mit dem Bürgergeld gar nichts zu tun!)
Denn jeder Euro Energiekosten mehr bedeutet eben auch etwas weniger Lohnabstand. Wieso werden die Sozialversicherungsbeiträge im nächsten Jahr grosso modo für alle anzusteigen beginnen, was dann wiederum den Lohnabstand senkt? So können Sie die Politik zur Erhaltung des Grundsicherungssystems nicht machen.
(Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir stehen für einen aktivierenden Sozialstaat und nicht für einen alimentierenden Sozialstaat.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Abg. Wolfgang Dr. Strengmann-Kuhn [Bündnis 90/Die Grünen] geht mit einem Buch zum Rednerpult – Zuruf von der SPD: Lektüre!)
– Ich hoffe nicht, dass die Rede so lang wird, wenn Sie aus dem Buch vorlesen.
(Heiterkeit)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7546853 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 60 |
Tagesordnungspunkt | Bürgergeld-Gesetz, Sozialer Arbeitsmarkt |