13.10.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 60 / Zusatzpunkt 3

Julian PahlkeDIE GRÜNEN - Migrationspolitischen Sonderweg in Europa sofort beenden

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Demokratinnen und Demokraten! Was heute von der Union wieder zur Debatte gestellt wird, ist der grundsätzliche und unveräußerliche Schutz von Menschen auf der Flucht. Ich will meine vier Minuten dafür nutzen, um mit ein paar Ihrer alternativen Fakten aufzuräumen.

Zuerst das Ausspielen von Menschen auf der Flucht. Wenn Menschen fliehen, dann tun sie das aus Not, aus Verzweiflung. Niemand aber verlässt freiwillig seine Heimat und begibt sich auf eine lebensgefährliche Flucht. Diese Menschen haben erst einmal das Recht, einen Asylantrag zu stellen, ob in Deutschland oder anderswo in Europa. Das ist keine Utopie. Das ist – es wird Sie überraschen – europäisches Recht.

Sie aber spielen Geflüchtete gegeneinander aus. Sie unterteilen in gute und schlechte Geflüchtete, gerade so, wie es Ihnen passt. Das Recht auf einen Asylantrag kennt kein Gut und kein Schlecht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das Recht auf Asyl kennt nur das Individuum. Egal ob jemand vor den Bomben in der Ukraine oder den Bomben in Syrien flieht: Dieses Grundrecht ist ein zentrales Vermächtnis aus der Nazizeit.

Und der Begriff „Sozialtourismus“ ist zu Recht Unwort des Jahres 2013 geworden und wurde zuletzt von russischen Propagandamedien kommuniziert – und eben von Ihnen, Herr Merz, dem Parteivorsitzenden der größten Oppositionsfraktion.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zuhören hilft!)

Wer bei uns Schutz sucht, ist kein Sozialtourist, sondern ein Mensch mit Ängsten auf der Suche nach Sicherheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Zweitens. Es ist oft die Rede von der sogenannten „illegalen Einwanderung“. Wenn aber kaum legale Wege zur Flucht und Migration bereitgestellt werden, dann sind Menschen gezwungen, auf anderen Wegen Sicherheit zu suchen. Die häufigsten Asylanträge von denjenigen, die nach Ihrer Definition illegal eingereist sind, stammen übrigens aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Sie würden diesen Menschen am liebsten die Tür vor der Nase zuschlagen und ihnen genau dieses Recht nehmen.

Sie suggerieren mit der Konstruktion einer „illegalen Einreise“, dass legale Wege bestehen würden, dass diese Menschen also anderswo Schutz suchen könnten. Diese Wege gibt es quasi nicht. Das ist ein Problem, das über die Bundesrepublik hinausgeht; denn Flucht ist längst eine globale Realität. Kriege und Konflikte sind eine globale Realität. Diese Realität werden auch Sie nicht ändern können. Stattdessen braucht es sichere und legale Wege zur Einreise, damit auch Menschen, die vor den Bomben in Syrien fliehen, einen sicheren Ort finden und lebend das europäische Festland erreichen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn auch für sie gilt das europäische Asylrecht.

Zum Dritten. Es ist gerade ständig die Rede vom sogenannten Pull-Faktor. Also, mal im Ernst: Der Pull-Faktor ist ein Konzept der Migrationsforschung aus den 60ern. Das ist ungefähr der Zeitpunkt, wo Sie als Union inhaltlich stehen geblieben sind.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Der Pull-Faktor ist eines Ihrer Konstrukte, mit dem Sie lediglich versuchen, die Flucht eines Menschen als illegitim erscheinen zu lassen, weil Sie diesen Menschen allein wegen seiner Herkunft ablehnen. Diese Theorie vom Pull-Faktor ist falsch, und sie ist Teil der Hetze gegen Schutzsuchende.

(Thomas Ehrhorn [AfD]: Warum „Hetze“?)

Den Pull-Faktor gibt es nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Alexander Throm [CDU/CSU]: Größter anzunehmender Unsinn!)

Kein Mensch verlässt seine Familie, seine Heimat oder den Ort, dessen Sprache er spricht und wo er sich auskennt, wegen ein bisschen Sozialhilfe.

(Thomas Ehrhorn [AfD]: „Ein bisschen“!)

Die meisten Ukrainer/-innen sind deshalb auch nicht in Deutschland, sondern in Polen – nicht weil man da eine so üppige finanzielle Unterstützung bekommt,

(Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Weltfremd, was Sie da verbreiten! Weltfremd!)

sondern weil es dort eine große Diaspora gibt, weil das Land direkter Nachbar der Ukraine ist. Mit diesem gefährlichen Gerede gewinnen Sie keine Stimmen. Mit diesem gefährlichen Gerede verlieren Sie in Niedersachsen Wahlen. Das haben wir am letzten Sonntag Gott sei Dank gesehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das ist Schwachsinn, was Sie da erzählen!)

Wenn wir über das Ausspielen von Menschen auf der Flucht reden, von vermeintlich illegaler Migration

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: „Vermeintlich“!)

oder vom vermeintlichen Pull-Effekt: Bei all dem, Herr Frei, geht es am Ende des Tages um Menschen – um Menschen, die vor einigen Monaten noch in den Kellern von Charkiw gesessen haben, die von den Taliban verfolgt werden, oder Menschen, die ihr Leben auf der Flucht riskieren.

(Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Die sich an Schleuserbanden verkauft haben! So ist die Tatsache!)

Das sind keine Dinge, das sind keine Waffen, und das sind keine Gefahrengüter, Herr Frei. Das sind Menschen!

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Thomas Ehrhorn [AfD]: Wie viele Menschen haben Sie denn zu Hause aufgenommen bei sich? – Weiterer Zuruf von der AfD: Mittelmeerschleuser!)

Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Gökay Akbulut.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7546864
Wahlperiode 20
Sitzung 60
Tagesordnungspunkt Migrationspolitischen Sonderweg in Europa sofort beenden
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