13.10.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 60 / Zusatzpunkt 3

Helge LindhSPD - Migrationspolitischen Sonderweg in Europa sofort beenden

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte die CDU/CSU-Fraktion ganz ausdrücklich – und das mache ich jetzt nicht im Gestus des Tribunals –, zu einem Kurs staatspolitischer Verantwortung zurückzukehren,

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Eijeijei! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Lächerlich!)

und das ganz deutlich, wie Sie es in der Merkel-Ära bewiesen haben.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Denn es war diesem Land und übrigens auch der CDU/CSU in der Vergangenheit – das erkennen Sie, wenn Sie in die Geschichtsbücher gucken – immer dann gedient, wenn Sie sich dieser staatspolitischen Verantwortung erinnerten.

(Alexander Throm [CDU/CSU]: Genau deshalb haben wir diesen Antrag gemacht!)

Und es half diesem Land und der CDU/CSU übrigens auch, wenn Sie sich an den Unterschied zwischen Konservatismus und Populismus erinnerten. Sie scheinen das vergessen zu haben. Das ist eine schmale, aber entscheidende Grenze, und diese Grenze sollte man auch kontrollieren. Sie haben das momentan vernachlässigt.

Andere in Ihren eigenen Reihen haben das schon vorher erkannt. Es ist nämlich nicht das erste Mal, sondern das hat eine Vorgeschichte. Im Jahr 2000 erinnerte Rita Süssmuth Friedrich Merz daran – die Akteure haben sich nicht fundamental geändert –, die Emotionalisierung gegen Ausländer bitte nicht zum Wahlkampfthema zu machen. Ich schließe mich ausdrücklich Rita Süssmuth an.

(Zuruf der Abg. Andrea Lindholz [CDU/CSU])

Und wenn wir uns die Wahlergebnisse angucken, scheint es ja auch kein Erfolgsmodell zu sein, so zu agieren.

Verräterisch ist insbesondere – deshalb auch der Hinweis auf staatspolitische Verantwortung – die Sprache. Sie reden von einem Sonderweg. Den Begriff „Sonderweg“ hat Hans-Ulrich Wehler geprägt als den deutschen Sonderweg, der in den Nationalsozialismus mündete.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das ist schon wieder eine Unverschämtheit! Unverschämtheit! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Ich appelliere an Sie, reflektierter und sensibler mit Ihrem Sprachgebrauch umzugehen. Und Sie, Herr Seif, haben gestern in Ihrer Rede wortwörtlich gesagt, dass bei 40 Prozent Anerkennung es im Umkehrschluss bedeuten würde, dass 60 Prozent das – Zitat – „System ausnutzen“. Diese Schlussfolgerung ist schlicht unwahr, unredlich und einfach nur unanständig; denn zu diesen von Ihnen behaupteten 60 Prozent gehören queere Verfolgte, die keine Anerkennung gefunden haben. Dazu gehören Personen, die Perspektiven gesucht haben.

(Alexander Throm [CDU/CSU]: Ja, steht die SPD jetzt über dem Recht, oder was?)

Aber mitnichten können Sie behaupten, dass all diejenigen, die eine Ablehnung im Asylverfahren erhalten, Schmarotzer seien. Das war Ihre unredliche Behauptung, und sie ist verachtenswert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das ist der Wahnsinn! Unterhalten Sie sich doch mal mit Ihrer Ministerin!)

Dann komme ich noch zu einem dritten Punkt. Sie sprechen davon, dass die Ampel Tür und Tor öffnen würde.

(Alexander Throm [CDU/CSU]: Ja!)

Stattdessen macht aber die Innenministerin zusammen mit der Koalition Politik, anstatt wie Sie Angst ohne konstruktive Lösungsansätze zu beschwören. Sie geht alles zusammen an: die Situation in der Ukraine – die wir gar nicht steuern können; denn das liegt in der Hand des verbrecherischen Putin-Regimes und auch in den Entscheidungen von Ukrainerinnen und Ukrainern –, ein Afghanistan-Aufnahmeprogramm. Zuletzt adressiert die Innenministerin ganz bewusst die Frage der Balkanroute. Sie sieht zugleich auch, dass wir nicht einfach weggucken können, wenn Menschen buchstäblich verrecken – Stichwort „Seenotrettung“ –, und dass es nicht klug ist, mit der libyschen Küstenwache zusammenzuarbeiten. Das ist ein komplexer Politikansatz; das nenne ich Politik statt Beschwörung von Angst. Das ist unsere verdammte Aufgabe. Es war früher mal eine Selbstverständlichkeit in Landes- und Bundesparlamenten, dass man beim Thema Migration zusammengehalten hat und dass auch die Opposition bei allen Differenzen den Kurs der Regierung getragen hat, weil man wusste, dass das kein Thema ist, das sich dazu eignet, Stimmung zu machen. Diesen Konsens haben Sie leider verlassen, und das ist bedauernswert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Wahnsinn!)

Es ist auch sicherheitspolitisch und volkswirtschaftlich dumm. Wenn wir Menschen über Chancenaufenthalt und Bleiberecht die Möglichkeit geben, hier als schon gut Integrierte tatsächlich dauerhaft zu leben, bekommen sie keine Transferleistungen, sondern können dauerhaft arbeiten, Steuern zahlen, Sozialversicherungsbeiträge leisten. Das heißt, es ist budgetär sogar ein Gewinn. Die Personen sind stabilisiert – ein entscheidender Faktor, und das ist Duldung –, Kriminalität und Radikalisierung fallen weg. Es ist also auch eine sicherheitspolitische Maßnahme.

Ein Letztes. Sie mögen doch so sehr das Thema Anreize. Wir hatten bisher den Anreiz, seine Identität nicht zu klären, weil dann die Abschiebung drohte.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Wenn wir jetzt ganz pragmatisch einen Anreiz setzen, –

Kommen Sie bitte zum Schluss.

– dass man seine Identität klärt, dann haben wir mehr Kenntnis über die Identität, mehr Ordnung und mehr Sicherheit. Dafür steht diese Regierung: mehr Ordnung, mehr Sicherheit, Anstand, Menschlichkeit. Orientieren Sie sich daran und werden Sie endlich Ihrer Verantwortung gerecht!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Nächster Redner ist Philipp Amthor für die Unionsfraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7546873
Wahlperiode 20
Sitzung 60
Tagesordnungspunkt Migrationspolitischen Sonderweg in Europa sofort beenden
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