13.10.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 60 / Tagesordnungspunkt 14

Hubert HüppeCDU/CSU - Änderung des Infektionsschutzgesetzes

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 28. Dezember 2021 hat das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung zur sogenannten Triage veröffentlicht. Menschen mit Behinderungen hatten geklagt, weil sie Angst hatten, benachteiligt zu werden, wenn es nicht genug Behandlungskapazitäten gibt. Im Grundgesetz steht: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Und tatsächlich hat das Gericht im Sinne der Klägerinnen entschieden. Der Gesetzgeber hat gegen dieses Benachteiligungsverbot verstoßen – ich zitiere –, „weil er es unterlassen hat, Vorkehrungen zu treffen, damit niemand wegen einer Behinderung bei der Zuteilung überlebenswichtiger, nicht für alle zur Verfügung stehender intensivmedizinischer Ressourcen benachteiligt wird“. Am selben Tag, Herr Minister, haben Sie getwittert: „Ich begrüße das Urteil des BVG ausdrücklich. Menschen mit Behinderung bedürfen mehr als alle anderen des Schutzes durch den Staat.“

Wer sich den vorliegenden Gesetzentwurf allerdings ansieht, der muss feststellen, dass Herr Lauterbach zwar den Schutz begrüßt, aber ihn im vorliegenden Gesetz nicht schafft, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ates Gürpinar [DIE LINKE])

Das ist nicht nur meine Meinung, sondern das ist durchgängig die Meinung aller Behindertenverbände, die ich kenne.

Der Grundfehler ist, dass er die Triage im Infektionsschutzgesetz regelt, also nur für den Fall, dass es aufgrund einer übertragbaren Krankheit nicht ausreichend überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten gibt. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass alle anderen Triage-Situationen ungeregelt bleiben, also zum Beispiel bei Naturkatastrophen, bei einem Reaktorunfall, bei einem Flugzeugabsturz, Krieg oder Terroranschlag. Ungeregelt bleiben auch alle Situationen zur Zuteilung von Behandlungskapazitäten außerhalb der Intensivmedizin, zum Beispiel Arzneimittel, Blutkonserven oder Plätze im Rettungswagen.

Meine Damen und Herren, der Anlass war tatsächlich zuerst Covid-19. Aber wenn es wirklich zu Behandlungsengpässen kommt, dann herrscht die Diskriminierungsgefahr doch auch bei Flutkatstrophen oder anderen Katastrophen. Wenn wir die Menschen schützen wollen und wenn wir wollen, dass sie in der Medizin nicht diskriminiert werden, dann müssen wir das hier mit aufnehmen und dürfen es nicht nur im Infektionsschutzgesetz regeln, sondern wir müssen dafür möglicherweise ein eigenes Gesetz schaffen oder es im AGG regeln.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der nächste Fall ist, dass Sie zwar schreiben – das haben Sie auch gerade gesagt –: Mehraugenprinzip, Facharzterfordernis und Dokumentationspflicht. Allerdings – das muss man hier auch sagen – gibt es, wenn man dagegen verstößt, weder eine Strafe noch ein Bußgeld. Meine Damen und Herren, schauen Sie sich das Infektionsschutzgesetz an! Hinten sind ganz viele Bußgelder aufgeführt, Meldepflichten aufgeführt, Strafvorschriften aufgeführt – alles steht dort, nur nicht bei Triage, und da geht es um Leben oder Tod. Wenn Sie wirklich einen Schutz von Menschen mit Behinderung wollen, der effektiv ist, so wie es das Verfassungsgericht fordert, dann muss es dort auch Sanktionen geben, sonst ist es kein Schutz für die Menschen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Noch nicht einmal eine Meldepflicht schreiben Sie vor. Bei allen Dingen müssen Sie irgendwas melden. Da haben Sie ganz viele Meldevorschriften, die auch aufgeführt sind. Aber ausgerechnet bei der Triage muss man nichts melden. Das heißt, Behörden können überhaupt nicht prüfen, weil sie gar nicht wissen, ob so etwas stattgefunden hat. Deswegen ist dieser Entwurf aus meiner Sicht nicht tragbar.

Meine Damen und Herren, ein Letztes. Im Koalitionsvertrag der Ampel steht, dass Sie Menschen mit Behinderung bei allen Gesetzen sehr stark beteiligen wollen, mehr als es je vorher der Fall war. Bei diesem Gesetz haben Sie die betroffenen Menschen nicht besonders gut beteiligt. Noch heute warten die Menschen mit Behinderung auf Antworten. Fragen, die an Ihr Ministerium geschickt worden sind, sind bis heute nicht beantwortet. Wenn Sie nicht mit den betroffenen Menschen sprechen, dann machen Sie hier einen großen Fehler; denn es geht um deren Leben, um deren Situation.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Bei Ihnen sieht es so aus, Herr Minister, dass dieser Gesetzentwurf ein Dokument des Unwillens ist, –

Also, wirklich der letzte Satz!

– das dem Anliegen der Kläger/-innen nicht gerecht wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ates Gürpinar [DIE LINKE])

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin Dr. Kirsten Kappert-Gonther.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7546976
Wahlperiode 20
Sitzung 60
Tagesordnungspunkt Änderung des Infektionsschutzgesetzes
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