Dirk HeidenblutSPD - Änderung des Infektionsschutzgesetzes
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über ein Gesetz bzw. einen Gesetzesparagrafen, von dem wir, glaube ich, alle wollen, dass er nie – nie! – zur Anwendung kommt. Das ist eigentlich das ganze Entscheidende. Herr Minister, ich bin sehr dankbar, dass Sie an den Anfang Ihrer Rede auch gestellt haben, dass unser eigentliches Ziel sein muss, zu verhindern, dass wir in eine Triage-Situation kommen, und dass das auch in der Pandemie bisher hervorragend gelungen ist. Ich bin mir ganz sicher: Alle im Gesundheitswesen, gerade auch die Ärztinnen und Ärzte und die Pflegekräfte auf den Intensivstationen, werden alles daransetzen, dass das nicht passiert.
Natürlich müssen wir ihnen die Unterstützung geben, die sie brauchen, damit das auch gelingen kann. Ich glaube, wir haben in der Pandemie sehr deutlich bewiesen, dass es nicht um ein profitorientiertes System geht, sondern dass es darum geht, dass wir schnell und zuverlässig handeln. Es ist nie zu einer Triage-Situation gekommen, und dazu darf es auch nie kommen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Denn ganz unabhängig von Diskriminierungsfragen muss man feststellen: Haben wir eine Triage-Situation, ist das für mindestens einen Menschen eine extrem schlechte Situation. Mir ist dann, ehrlich gesagt, lieber, wir verhindern so etwas von vornherein. Insofern ist das ganz wichtig.
Ein zweiter Punkt, Herr Minister, wo ich ausdrücklich Danke sagen will, ist, dass Sie so deutlich die Ex-post-Triage ausgeschlossen haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das war überfällig, das ist wichtig, und das ist ein absolut richtiger Punkt. Ich finde, Sie bringen – und da teile ich die Ansicht des Kollegen Hüppe nun überhaupt nicht – mit dem Gesetz sehr gut zum Ausdruck, dass Sie genau das machen wollen, was Sie gesagt haben, nämlich Diskriminierung vermeiden und die Menschen schützen.
Ich bin übrigens auch dankbar – auch wenn ich sonst nicht viel zu dem Vortrag von der rechten Seite sagen will –, dass Sie durchaus über das hinausgegangen sind, was uns das Urteil vorgegeben hat, und die Menschen mit Behinderung, aber auch viele andere, die unter das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz fallen, vor Diskriminierung schützen. Denn es gilt: Jeder Mensch, jedes Leben ist gleich viel wert und muss entsprechend so betrachtet werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich bin ganz sicher: Das System, das uns vorgestellt wurde, ist noch nicht endgültig. Genauso wie mit jedem anderen Gesetz werden wir uns auch mit diesem Gesetz – die Kollegin hat es schon gesagt – nach der Anhörung, entsprechend den Bildern, die wir uns selbst noch machen, und natürlich nach den Gesprächen, Kollege Hüppe, insbesondere mit den entsprechenden Gruppen der Betroffenen, sicherlich noch beschäftigen. Vielleicht finden wir auch die Möglichkeit, noch das ein oder andere zu verbessern; das will ich gar nicht ausschließen. Trotzdem ist das Gesetz eine gute Grundlage für das, was wir zurzeit umsetzen müssen, und eine gute Grundlage, Diskriminierung zu verhindern. Ich bin mir ganz sicher, dass das Gesetz das auch möglich machen wird.
Entschuldigen Sie bitte, Herr Heidenblut. Gestatten Sie Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sorge?
Selbstverständlich. Ich habe schon ängstlich auf meine Zeit geguckt.
Vielen Dank, Herr Kollege Heidenblut. – Ich finde es gut, dass Sie hier in Ihrer Rede noch mal klarmachen, dass insbesondere die Thematik Ex-post-Triage aus dem Gesetzentwurf herausgefallen ist. Aber sind Sie mit mir nicht der Auffassung, dass es völlig an den Tatsachen vorbeigeht, wenn Sie sich hierhinstellen und dafür abfeiern lassen wollen, dass Sie die im Entwurf des Bundesgesundheitsministers ursprünglich vorgesehene Ex-post-Triage rückgängig gemacht haben, nachdem von Behindertenverbänden und Sozialverbänden berechtigte Kritik daran gekommen ist, dass die Ex-post-Triage überhaupt im ersten Entwurf stand, und dass wir viel Verwirrung und Aufregung in den Verbänden hätten vermeiden können, wenn Sie das gleich von vornherein gemacht hätten?
(Beifall der Abg. Emmi Zeulner [CDU/CSU])
Zunächst mal, lieber Kollege Sorge, ist es ja nicht verwerflich, wenn man über Dinge, die man ins Rennen schmeißt, nachdenkt und auf Reaktionen reagiert. Das widerspricht dann zum Beispiel dem, was der Kollege Hüppe gesagt hat: dass mit den Betroffenen nicht gesprochen worden sei und deren Reaktionen nicht ernst genommen worden seien. Sie sind ernst genommen worden.
(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Sie haben nicht mit denen gesprochen!)
Der zweite Punkt ist: Dass es Überlegungen gibt – auch aus dem Bundesministerium –, die immer wieder mal in die Öffentlichkeit gelangen und bestimmte Dinge beinhalten, mag sein. Aber an dieser Stelle haben wir die Ex-post-Triage nicht nur nicht in den Gesetzentwurf aufgenommen, sondern sind darüber hinausgegangen und haben sie im Gesetzentwurf sogar ausdrücklich ausgeschlossen. Da sind wir also deutlich weiter gegangen. Ich finde, das ist keineswegs ein Fehler, und finde es absolut richtig, dass genau das gemacht worden ist.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben im Gesetz eine Menge Sicherungsmechanismen vorgesehen, die verhindern sollen, dass es zu Diskriminierung kommt. Wir setzen damit das um, was das Bundesverfassungsgericht will. Ich will aber auch eines ganz deutlich sagen – zumindest für mich und, ich gehe davon aus, auch für meine Fraktion –: Das Gesetz ist keineswegs ein grundsätzlicher Misstrauensbeweis gegenüber denjenigen, die schon jetzt auf den Intensivstationen in den allermeisten Fällen völlig diskriminierungsfrei ihren Jobs nachgehen und die im Wesentlichen der Rettung des Lebens verpflichtet sind. Es gibt einfach ein Gebot, sicherzustellen, dass Menschen, die eines besonderen Schutzes bedürfen, diesen Schutz auf jeden Fall auch erhalten.
Noch ein letztes Wort zu dem immer wieder vorgebrachten Argument, dass das Ganze möglicherweise per Losentscheid oder im Rahmen eines randomisierten Verfahrens oder anderer vergleichbarer Verfahren gelöst werden könne: Ich persönlich halte von solchen Vorgehensweisen herzlich wenig und kann mich da meiner Vorrednerin aus der FDP nur anschließen. Wir haben hier ein vernünftiges, ein sinnvolles Verfahren, das Diskriminierung vermeidet. Ein Losverfahren, ein randomisiertes Verfahren ist unserer Verpflichtung dem Leben gegenüber nicht gerechtfertigt und ist im Zweifel für mich so ein bisschen wie die Flucht aus der Verantwortung. Diese Verantwortung tragen wir, aber die tragen eben auch die Ärztinnen und Ärzte.
Einen Punkt will ich allerdings noch den Ärztinnen und Ärzten gerne mitgeben: Ich glaube, dass Fragen des Umgangs mit Menschen mit Behinderungen in der Ausbildung einen deutlich höheren Stellenwert haben müssen und dass solche Fragen auch in anderer Form noch mal thematisiert werden müssen,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Da hätte die Regierung schon handeln können!)
nicht nur, um Diskriminierung zu verhindern, sondern auch, um einen Umgang zu ermöglichen, der im Interesse der Menschen liegt.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die weitere Debatte.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Stephan Pilsinger.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7546981 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 60 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Infektionsschutzgesetzes |