13.10.2022 | Deutscher Bundestag / 20. EP / Session 60 / Zusatzpunkt 6

Johannes ArltSPD - Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gibt es eine ideale Welt, eine Welt, in der wir immer absolut moralisch entscheiden können, frei von allen Umständen und Zwängen? Ich denke mal, wir alle, fast alle wünschen uns diese Welt. Und Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, zeigt diesen Wunsch. Das Problem ist: Diese Welt gibt es nicht. Mehr noch: Wir können uns nicht vor der realen Welt verstecken; wir müssen in ihr handeln. Deswegen lautet die eigentliche Kernfrage am heutigen Abend: Gibt es auch Notwendiges, ja, gibt es Richtiges im Falschen?

Uns allen hier ist die Schwere der Entscheidung ganz deutlich bewusst. Sie ist nicht leichtfertig getroffen worden – im Gegenteil. Ja, die Ampelkoalition hat bei einem europäischen Kooperationsprojekt, wie viele Kollegen schon ausgeführt haben, einer Ausnahme für Exporte nach Saudi-Arabien zugestimmt. Diese umfasst die Zulieferung zur Ausrüstung und Bewaffnung der Kampfflugzeuge Eurofighter und Tornado und weiterhin die eben angesprochene Munition. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass dies eine Ausnahme ist; denn bis dahin sind von Dezember 2021 bis September 2022 gemäß Ihrer aktuellen Anfrage überhaupt keine Exportgenehmigungen für Waffenexporte nach Saudi-Arabien erteilt worden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Jens Beeck [FDP])

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke?

Ja.

Vielen Dank, Herr Kollege Arlt, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Laut Rüstungsexportbericht hatten wir vergangenes Jahr – da war ja Kanzler Scholz noch Vizekanzler – rekordartige 9,4 Milliarden Euro an Rüstungsexportgenehmigungen, darunter übrigens auch Waffenlieferungen an Saudi-Arabien; das war unter der Merkel-Regierung öfter umgangen worden: 2021 im Wert von 2,5 Millionen Euro, im Jahr davor von über 30 Millionen Euro.

Vergangenes Jahr wurden auch Rüstungsexporte an Ägypten, eines der am meisten belieferten Länder, im Wert von 4,3 Milliarden Euro im Bereich der maritimen Kriegsführung und Luftflotte geliefert. Das ist auch ein Teil der Kriegskoalition.

Seit Jahren beliefert und befeuert Deutschland diesen Krieg. Dass Sie das hier schönreden und weglassen und gleichzeitig von einer wertebasierten oder gar feministischen Außenpolitik sprechen: Entschuldigen Sie, können Sie sich da selbst noch ernst nehmen? Unterscheiden Sie da nicht mächtig zwischen einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und einem anderen? Herr Trittin hat es richtig bezeichnet. Wir finden: Alle Angriffskriege sollten nicht befeuert werden, und sie alle sollten aufhören. Und vor allen Dingen sollte Deutschland in keines dieser Gebiete Waffen liefern.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Marcus Faber [FDP]: Wo ist die Frage?)

Frau Kollegin, die Frage habe ich vermisst. Vielen Dank für die Zwischenfrage. – Wir sprechen hier heute über Saudi-Arabien. Und ja, wir haben 2020 und 2021 Ausnahmen von dem generellen Exportverbot, das wir in der Großen Koalition 2018 beschlossen haben, gemacht, nämlich um genau solche Gemeinschaftsverträge zu erfüllen. Das wissen Sie auch. In den letzten Monaten ist das nicht erfolgt. Und jetzt haben wir wieder so eine Einzelfallentscheidung getroffen.

(Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Also eine Reihe von Einzelfällen, ja?)

– Im Rahmen der Erfüllung von Kooperationsverträgen.

(Zuruf des Abg. Amira Mohamed Ali [DIE LINKE])

Aber die Frage ist: Warum ist diese Ausnahme notwendig gewesen?

Erstens. Wir sind ein multilateral orientiertes Land, für das die Zusammenarbeit mit seinen EU- und NATO-Verbündeten von hoher Wichtigkeit ist. Diese Projekte sind eben schon lange existierende gemeinsame Projekte, in denen wir vertragstreu sein müssen, in denen es eine hohe Wertschöpfung gibt. Deswegen wurden diese Ausnahmegenehmigungen auch erteilt. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Sicherheitslage durch die Aggression Russlands ist die Zusammenarbeit mit unseren Alliierten wichtiger denn je. Wir dürfen uns also nicht isolieren, und wir wollen uns auch nicht isolieren als Deutschland.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Felix Banaszak [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Zweitens. Nationale Alleingänge in gemeinschaftlichen Rüstungsprojekten sind illusorisch. Rüstungsgüter und ‑projekte und deren Komponenten sind bereits multinational. In einer globalen, verflochtenen Welt erfolgt das per se grenzübergreifend. Deswegen kann es nicht das Mittel sein, dass wir einen nationalen Alleingang wählen. Über die Richtlinien beim Rüstungsexport müssen wir uns europäisch abstimmen und einigen.

(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: So ist es!)

Wir können uns nicht über unsere demokratischen Partner in Europa erheben und deren Moral und deren Werte infrage stellen und sagen: Wir haben die besseren. – Das hat unsere Bundesverteidigungsministerin auch in ihrer Rede vor einem Monat vor der DGAP völlig zu Recht betont.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Drittens. Wollen wir also in einer realen Welt handeln und nicht nur reagieren, sondern agieren, dann können wir das nicht allein. Wir müssen uns daher auf europäischer Ebene auf eine gemeinsame Interpretation bestehender Exportregelungen einigen. Nur so kommen wir dann auch zu einer gemeinsamen Rüstungsexportverordnung. Die Vorstellung einer idealen Welt, Frau Kollegin Nastic, kann dabei ruhig als Kompass dienen. Ein Kompass ist aber ebenso die reale Welt.

(Zurufe der Abg. Zaklin Nastic [DIE LINKE] und Amira Mohamed Ali [DIE LINKE])

Und diese Abwägung zu treffen, ist manchmal schwer, ist manchmal schmerzhaft – so wie auch bei dieser Entscheidung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Stefan Keuter [AfD]: Das ist dann aber nicht mehr wertegeleitet! Das ist dann Realpolitik!)

Abschließend möchte ich noch einmal die Kernfrage aufgreifen: Gibt es auch Richtiges im Falschen? Ja, es gibt Richtiges. 2021 sind insgesamt 114 Anträge auf Ausfuhr von Rüstungsgütern in Deutschland abgelehnt worden, 58 allein betrafen Saudi-Arabien.

(Zuruf der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE LINKE])

Das potenzielle Auftragsvolumen dieser Anträge aus Saudi-Arabien hätte 186,2 Millionen Euro ausgemacht. Das entspricht einem Volumen von fast 96 Prozent aller abgelehnten Anträge. Sie sehen daran also, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wir wägen ganz sorgfältig ab. In einer idealen Welt werden wir vor diese Entscheidung nicht gestellt. Aber wir können uns in unserer realen Welt nicht frei von allen Umständen bewegen und entscheiden.

(Zuruf der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE LINKE])

Deshalb: Bei der Zulieferung von Ausrüstung und Bewaffnung für diese Systeme haben wir eine schwere, aber vertretbare und wohlbegründete Entscheidung getroffen.

(Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Vertretbar, dass die Menschen sterben?)

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich darf nun den Kollegen Armin Laschet aufrufen und um seinen Beitrag bitten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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Electoral Period 20
Session 60
Agenda Item Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien
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