19.10.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 62 / Zusatzpunkt 2

Rasha NasrSPD - Leistungen für Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Rede mit nicht weniger als Artikel 1 unseres Grundgesetzes beginnen, einfach weil die antragstellende Fraktion es offenbar immer noch nicht verstanden hat. Da steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, und nicht: Die Würde der Deutschen ist unantastbar.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Jürgen Pohl [AfD] – Gegenruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seien Sie mal ganz ruhig da drüben!)

Wir alle, die wir hier sitzen, haben unfassbares Glück, deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zu sein. Das gibt uns aber nicht das Recht, Menschen in „unterstützenswert“ oder „nicht wertvoll“ zu kategorisieren. Doch genau das wollen Sie mit Ihrem Antrag im Kern. Nur weil man deutsche Staatsbürgerin oder deutscher Staatsbürger ist, werte Kolleginnen und Kollegen der AfD, heißt das nicht, dass man ein besserer Mensch ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Norbert Kleinwächter [AfD]: Das sagt ja keiner! – Martin Hess [AfD]: Wer hat denn das jemals behauptet?)

Sie haben ein riesiges Glück, in diesem Land zu leben. Sie werden nämlich nicht dazu gezwungen, Ihre Heimat zu verlassen, weil bei Ihnen zu Hause die Bomben fallen. Sie werden auch nicht aufgrund Ihrer politischen Überzeugungen, Ihrer sexuellen Orientierung oder Ihres Glaubens verfolgt. Ein bisschen Demut würde Ihnen ganz guttun. Sie leben in einem freien Land, in dem Sie sich frei bewegen und Ihre Meinung frei äußern können. Das hat dann eben auch zur Folge, dass wir Anträge wie diesen heute debattieren müssen –

(Jochen Haug [AfD]: Der Spruch ist schon zwanzigmal gesagt worden! Der ist nicht mehr neu!)

immer wieder, wie mir scheint; denn immer wieder halten Sie uns mit diesen sinnfreien Anträgen auf.

Deswegen will ich eigentlich gar nicht weiter auf den Inhalt dieses Antrags eingehen; denn es nützt ja nichts. Wir können es kurz machen: Sie fordern, den Ukrainerinnen und Ukrainern die Leistungen nach dem SGB II zu streichen und ihnen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu geben, aber auch da wollen Sie gleich noch kürzen – am besten nur noch Sachleistungen für alle –, alles noch ein bisschen garniert mit Vorurteilen und Hetze – fertig ist der AfD-Antrag.

Auch wenn Sie das immer anders darstellen wollen, bin ich der festen Überzeugung: Sie hassen Deutschland und die Menschen, die in diesem Land leben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN – Norbert Kleinwächter [AfD]: Das ist Verleumdung, Frau Präsidentin! – Zuruf des Abg. Jürgen Pohl [AfD])

Sie wollen, dass es den Menschen in diesem Land schlecht geht und dass sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Sie wollen die Stimmung doch nur noch weiter aufheizen und spielen dafür ein gefährliches Spiel mit den Ängsten der Menschen. Sie sollten sich schämen; denn Sie wollen, dass es allen schlecht geht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN – Martin Hess [AfD]: Ihre Politik sorgt dafür, dass es allen schlecht geht! Nicht die Oppositionspolitik!)

Das verrät nicht nur Ihre rechtspopulistische Hetze. Das verraten Sie auch gerne mal selbst in Ihren Chatgruppen oder wenn Mikros bei irgendwelchen Livestreams nicht rechtzeitig wieder ausgemacht werden.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Das ist billig!)

Sie haben weder Lösungsvorschläge, noch haben Sie Interesse an Lösungen. Sie wollen, wie der treue Putin-Fanklub das nun eben will, weiter munter Stimmung gegen unsere Demokratie machen. Sie versuchen nicht mal mehr, Ihre Kreml-Abhängigkeit zu vertuschen. Für wie blöd halten Sie uns eigentlich?

(Beatrix von Storch [AfD]: Das stimmt! Wir halten Sie für ganz schön blöd!)

Heute zeigen Sie mal wieder, dass Sie Ihre Verantwortung als Abgeordnete dieses Hauses meilenweit verfehlt haben. Was Sie hier heute machen, ist mal wieder arm, billig und dieses Hohen Hauses einfach unwürdig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – René Springer [AfD]: Das sind doch nur Phrasen! – Jochen Haug [AfD]: Verlieren Sie doch mal ein Wort über den Antrag!)

Nachdem ich Ihrem Kollegen Springer gerade zugehört habe – und glauben Sie mir, es fiel mir schwer –, mache ich mir wirklich Sorgen um ihn, um Sie alle. Mein Kollege Martin Diedenhofen hat Sie letztens zu Recht gefragt, ob Sie sich eigentlich noch spüren. In der Ukraine herrscht Krieg. Die Menschen fliehen vor einer russischen Armee, die systematisch Kriegsverbrechen in Form von Folter, Vergewaltigung oder Deportation einsetzt. Sie würden die Ukraine doch sofort opfern und Putin zum Fraß vorwerfen. Dass diejenigen, die alles verloren haben, jetzt auch noch für Ihre Hetze herhalten müssen, ist unterirdisch.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE] – Martin Hess [AfD]: Sie hetzen hier!)

Wie, bitte schön, kann man auf jemanden neidisch sein, der alles verloren hat?

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Es geht ausschließlich um Sozialleistungen!)

Wie kann man so eine Denke hier auch noch vortragen und Menschen gegeneinander ausspielen? Darauf muss man erst mal kommen.

Wie Sie vielleicht wissen, bin ich Dresdnerin. Ich bin eine stolze ostdeutsche Frau. Aber ich weiß sehr wohl, dass es immer noch Unterschiede gibt, vor allem, wenn wir uns das Lohngefüge anschauen. Viele ostdeutsche Arbeitnehmer/-innen profitieren zum Beispiel vom Mindestlohn – allein bei mir in Dresden über 51 000 Menschen.

Viele Ostdeutsche haben nach der Wiedervereinigung schlechte Erfahrungen gemacht, haben gebrochene Erwerbsbiografien, sind skeptisch bei Veränderungen. Diese Unsicherheit und dieses Skeptischsein haben Sie schamlos ausgenutzt. Sie haben den Menschen vor Ort schon 2015 Angst eingejagt und ihnen eingeredet, Geflüchtete würden ihnen alles wegnehmen. Das machen Sie jetzt schon wieder. Das ist so unanständig. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Das ist auch unser Land. Und wir sind mehr als Sie.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Ates Gürpinar [DIE LINKE])

Sie haben nichts vorzuweisen außer den immer gleichen einfachen Antworten auf komplexe Fragen. Und meistens sind es in Ihrer verdrehten, kleinen Welt die Geflüchteten, die an allem schuld sind.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Nein! Die Regierung! Weil sie schlechte Gesetze macht!)

Es ist unfassbar, dass man das hier immer noch sagen muss: Wenn Menschen ihre Heimat verlieren, dann ist es unsere oberste Pflicht, ihnen Schutz und Zuflucht zu gewähren. Dieser Tage, dieser Monate werden die Ukrainerinnen und Ukrainer im wahrsten Sinne des Wortes aus ihrem Land herausgedrückt. Und Sie schwafeln hier irgendwas von Pull-Faktoren. Vielleicht muss Ihnen noch mal jemand den Unterschied zwischen „Push“ und „Pull“ erklären. Ich bin dazu gerne bereit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ates Gürpinar [DIE LINKE])

Am Ende bleibt festzuhalten, dass es die einzig richtige Entscheidung war, die Massenzustrom-Richtlinie zu aktivieren und Menschen aus der Ukraine einen schnellen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt und zu unserem Gesundheits- und Bildungssystem zu gewähren. Auch der Rechtskreiswechsel war richtig. Deshalb möchte ich an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Verwaltungen und Jobcentern ein großes Danke sagen, die uns dabei geholfen haben, diesen Kraftakt zu meistern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Mittlerweile sind über 150 000 Ukrainer/-innen in Sprach- und Integrationskursen; über 100 000 befinden sich in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Das System funktioniert. Das sollte die Botschaft sein, die vom heutigen Abend ausgeht. Uns liegt an einer Integration zum Wohle aller. Deshalb freue ich mich auf die weiteren Beratungen, zum Beispiel zum Chancen-Aufenthaltsrecht

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das war schon!)

oder zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Anträge wie Ihrer jedenfalls helfen wirklich niemandem. Wir lehnen ihn selbstverständlich ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das Wort hat der Kollege Maximilian Mörseburg für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7547301
Wahlperiode 20
Sitzung 62
Tagesordnungspunkt Leistungen für Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta