Jens TeutrineFDP - Leistungen für Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, dass wir aktuell eine Situation haben, in der viele Kommunen aufgrund der steigenden Flüchtlingszahlen überlastet sind, dass Handlungsbedarf besteht und dass diese Bundesregierung dies weiter im Blick hat. Das ist unbenommen, und das ist auch richtig. Aber nicht richtig sind die Unwahrheiten, die hier verbreitet werden.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD])
In der Summe sind es drei. Ich möchte kurz präsentieren, wieso diese drei Thesen unwahr waren.
Die erste These bezieht sich auf die Überschrift im Antrag der AfD. Die Überschrift – auch für die Zuschauer – lautet: „Sozialstaatsmagnet sofort abstellen“. So wissen wir, worüber wir sprechen. Die erste Unwahrheit ist: Die ukrainischen Geflüchteten kommen wegen des Sozialstaatsmagnets zu uns. Ich muss Sie leider enttäuschen. Die Wahrheit ist: Die ukrainischen Geflüchteten kommen zu uns, weil es einen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gab, den Sie nicht erwähnt haben und den Sie nie erwähnen. Das ist kein Pull-Faktor. Das ist der Grund, wieso die ukrainischen Geflüchteten zu uns kommen. Erste Unwahrheit!
(Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Die zweite Unwahrheit, die hier verbreitet wird, ist: Ukrainische Geflüchtete plündern unseren Sozialstaat, weil sie jetzt Hartz IV bzw. Leistungen aus dem SGB II bekommen. Wenn Sie denken, dass diese Geschichte wahr ist, dann muss ich Sie ebenfalls enttäuschen. Sie ist leider falsch. Wieso ist sie falsch? Wenn jemand nach Deutschland flüchtet, dann bekommt er Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, weil er beispielsweise einen Asylantrag stellt, weil er geduldet wird oder Ähnliches. Wenn er aber dann die Bestätigung bekommt, dass er einen anerkannten Fluchtgrund hat oder subsidiär schutzbedürftig ist, weil es in seinem Land zum Beispiel einen Krieg gibt, beispielsweise wenn er aus Syrien kommt, dann wechselt er den Rechtskreis vom Asylbewerberleistungsgesetz in Hartz IV bzw. ins SGB II.
Das hat verschiedene Vorteile. Die Betreuung findet durch die Jobcenter statt. Man versucht, die Menschen zu integrieren, in Arbeit zu bringen. Sie können an Sprachkursen teilnehmen. Das ist also gut. Danke an die Mitarbeiter der Jobcenter, dass sie diese wichtige Aufgabe übernehmen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Durch einen Beschluss der Europäischen Union sind die ukrainischen Geflüchteten unter anderem nach Deutschland gekommen, weil sich alle Länder in der Europäischen Union erstmalig einig waren, dass wir die ukrainischen Geflüchteten aufgrund des Krieges aufnehmen. Sie durchlaufen nicht ein individuelles Asylverfahren. Sie hätten also nie ein Verfahren durchlaufen, an dessen Ende die Bestätigung steht. Somit würden sie nie aus dem Asylbewerberleistungsgesetz in Hartz IV wechseln können und würden immer im Asylbewerberleistungsgesetz bleiben.
Daraufhin hat der Deutsche Bundestag beschlossen, dass wir einen Rechtskreiswechsel vornehmen und diese ukrainischen Geflüchteten vom Asylbewerberleistungsgesetz ins SGB II wechseln, so wie es bei jeder Person ist, die subsidiären Schutz bekommt oder einen anerkannten Fluchtgrund hat. Das ist die Wahrheit.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der AfD)
Das ist die Geschichte. Das sollten Sie den Schulklassen erzählen. Sie sollten den Schulklassen, den Menschen aus Syrien, die fragen, wieso es eine Ungleichbehandlung gibt, antworten, dass die Bundesregierung damals auf europäischer Ebene nicht die Massenzustrom-Richtlinie aktiviert hat, nicht weil sie nicht wollte, sondern weil es keine Einigung in der Europäischen Union gab. Das ist ein grundsätzliches Problem in der Migrationspolitik. Das wäre die richtige Antwort gewesen für die Kinder und die Schulklasse.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ates Gürpinar [DIE LINKE]: Laden Sie uns mit ein!)
Ich habe noch eine Minute Redezeit und möchte zum dritten Punkt kommen, den Sie immer wieder behaupten: Auch wenn sich Geflüchtete nicht hier aufhalten, dann erhalten Sie trotzdem Sozialleistungen und plündern unsere Sozialkassen. Das ist die dritte These, die Sie aufstellen. Ich muss Sie wieder enttäuschen. Auch diese Geschichte ist leider nicht wahr. Es ist traurig, wenn Sie die geglaubt haben.
(Beifall bei Abgeordneten der AfD)
Wieso ist diese Geschichte unwahr? Entschuldigung: Sie ist unwahr. Schauen wir ins Sozialgesetzbuch! § 7 im SGB II regelt, wer überhaupt leistungsberechtigt ist. Leistungsberechtigt sind nur die Personen, die sich hier in der Bundesrepublik aufhalten. Wenn sie sich hier nicht aufhalten wollen, dann müssen sie einen Antrag stellen. Dieser Antrag muss genehmigt werden.
(Zurufe von der AfD)
Ich finde es wirklich schlimm, dass Sie jungen Frauen, Kindern, die in die Ukraine fahren, um vielleicht noch einmal ihren Ehemann, ihren Vater zu sehen, einen Vorwurf machen, wenn sie diesen Kontakt erneut suchen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Damit verbunden ist die Lüge – 45 Sekunden Redezeit; Herr Whittaker hat das, glaube ich, gerade schon wieder reingerufen –: Diese Regelung wird beim Bürgergeld abgeschafft, und dann können sich die Leute in der Ukraine aufhalten und trotzdem hier Sozialleistungen bekommen. Auch diese These ist leider falsch. Das Gesetz bleibt an dieser Stelle genau gleich: Menschen müssen einen Antrag stellen, wenn sie das Umfeld ihres Jobcenters verlassen. Die Ukraine befindet sich weit weg von den Jobcentern in Deutschland. Deswegen wäre das ein Grund, die Leistung zu verweigern, wenn es dafür Verdachtsfälle gibt. Die Jobcentermitarbeiter können dann die Leistungen komplett streichen. Das ist keine Sanktion, sondern das ist eine Frage der Leistungsgewährung.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Also: erste These falsch, zweite These falsch, dritte These falsch. Ich hoffe, ich konnte einigen Unterricht in Rechtsstaatskunde geben und zeigen, wie das bei uns funktioniert. Vielen Dank, deswegen lehnen wir auch den Antrag ab.
Vielen Dank; danke schön.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat der Kollege Bernd Rützel für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7547307 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 62 |
Tagesordnungspunkt | Leistungen für Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber |