20.10.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 63 / Tagesordnungspunkt 7

Alexander DobrindtCDU/CSU - Regierungserklärung zum Europäischen Rat

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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, wir warten seit Wochen darauf, dass Sie sich im Deutschen Bundestag erklären. Wir haben Sie mehrfach schriftlich aufgefordert, hier im Deutschen Bundestag zur Lage der Nation zu sprechen und eine Regierungserklärung abzugeben. Dass Sie das heute getan haben, das ist zu begrüßen. Aber dass der Anlass dazu eben nicht die Nöte, die Sorgen, die Ängste der Bürger waren, sondern ausschließlich der Sitzungsplan in Brüssel, das müssen Sie sich vorhalten lassen, Herr Bundeskanzler.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit welcher Mission fahren Sie jetzt eigentlich nach Brüssel? In welcher Rolle treten Sie in Brüssel jetzt eigentlich auf? Ich erwarte dabei überhaupt nicht, dass Sie den Anspruch Ihres Parteivorsitzenden erfüllen, der von der „Führungsmacht Deutschland“ gesprochen hat; aber ich erwarte, dass Sie den Anspruch haben, in Europa Orientierung zu geben. Darum geht es in diesen Zeiten. Deutschland hätte jetzt eine Blaupause für eine wirksame Strompreisbremse, für eine wirksame Gaspreisbremse in Europa liefern können. Sie tun es gerade nicht, Herr Bundeskanzler.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Gaskommission hat Vorschläge vorgelegt. Es fehlen weiterhin die Entscheidungen dieser Bundesregierung dazu. Sie lassen die Menschen in Unsicherheit. Das gibt keine Orientierung in Europa. Sie hätten heute ein klares Signal an Europa für solide und stabile Finanzen geben können. In Wahrheit haben Sie ein fatales Signal von Schattenhaushalten nach Brüssel gegeben. Sie haben heute hier kein einziges Wort über die Finanzfragen, die in Brüssel anstehen, verloren – kein einziges Wort. Herr Bundeskanzler, vor wenigen Tagen haben Sie beim Kongress der Partei der Europäischen Sozialisten allerdings gerne darüber gesprochen, dass Europa Schuldenvergemeinschaftung braucht. Mit welchem Signal gehen Sie jetzt eigentlich nach Brüssel, Herr Bundeskanzler?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie hätten auch ein deutliches Signal geben können, dass Deutschland die Ukraine mit zusätzlichen, modernen, schweren Waffen unterstützt. Sie hätten eine gemeinsame Lieferung von westlichen Kampfpanzern innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ermöglichen können. Seit Monaten scheitert die Bereitschaft, diese Lieferungen aus europäischen Ländern durchzuführen, an der Zögerlichkeit Deutschlands. Hier fehlt es in Europa an Orientierung aus Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Haßelmann, Sie haben hier in Richtung der CDU/CSU-Fraktion gefragt: „Wo übernehmen Sie Ihre Verantwortung …?“ Das waren Ihre Worte.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Liebe Frau Haßelmann, da Sie sich so sehr für stärkere Waffenlieferungen einsetzen, will ich Ihnen sagen, wo unsere Verantwortung ist: Es stehen im Grundgesetz 100 Milliarden Euro Sonderschulden ausschließlich für die Bundeswehr zur Verfügung. Die sind deswegen entstanden, weil wir all Ihre Versuche der Zweckentfremdung dieser Gelder verhindert haben. Da ist unsere staatspolitische Verantwortung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Dobrindt, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Frau Haßelmann?

Ja, selbstverständlich.

Bitte, Sie haben das Wort.

Herr Dobrindt, Sie haben die 100 Milliarden Euro Sondervermögen angesprochen. Sie tun so, als sei das eine große staatspolitische Verantwortung gewesen. Ich bin in der Tat froh und dankbar, dass Sie zugestimmt haben.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Eine Entschuldigung hätte gereicht!)

Aber ehrlich gesagt, war das auch meine Erwartung an Sie.

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha! – Peter Beyer [CDU/CSU]: Aber nicht an sich selbst, oder was? – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Einfach mal kritiklos zustimmen!)

Denn wer hat denn fünf Bundesverteidigungsminister/-innen in den letzten 16 Jahren gestellt und die Bundeswehr so heruntergewirtschaftet, wie Sie das gemacht haben? Deshalb waren wir in der Situation, zu einer solchen Maßnahme wie der Einrichtung dieses Sondervermögens greifen zu müssen.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sie waren ja immer für das 2‑Prozent-Ziel!)

Wie hätten Sie es denn sonst gemacht? Warum haben Sie in den letzten 16 Jahren diese Verantwortung für die Bundeswehr nicht wahrgenommen?

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Peinlicher Auftritt!)

Und ich kann mir nicht verkneifen, zu fragen: Warum waren Sie eigentlich so engstirnig, den Aufbau einer kritischen Infrastruktur, einer Sicherheitsarchitektur und die notwendigen Investitionen in Cybersicherheit und das, was sonst noch notwendig ist, zu verweigern?

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Dafür gibt es einen Beschluss! Wovon reden Sie eigentlich)

Wir befinden uns heute in einer äußerst kritischen Situation und sind gezwungen, uns diesem Thema zu widmen. Das sehen wir durch die Sabotageakte hier in Europa.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Abenteuerlich!)

Sehr geehrte Frau Haßelmann, indirekt haben Sie gerade zugegeben, dass Sie offensichtlich ein großes Interesse daran hatten, einen wesentlichen Teil dieser 100 Milliarden Euro unter Ihren grünen Ministerinnen und Ministern aufzuteilen und nicht in die Bundeswehr zu investieren.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Am Haushalt vorbei!)

Genau das haben wir verhindert: dass Sie diese Mittel anders verwenden.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit der Verteidigungsministerin?)

Das ist für Sie ein Rendezvous mit der Realität. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass Ihnen das schwerfällt. Regieren ist doch schwerer als Moralisieren; das ist das, was Sie jetzt offensichtlich zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ehrlicherweise sei gesagt: Wäre die Lage nicht ganz so ernst, dann könnte man manche vollmundigen Sätze, die ich in den letzten Tagen von Ihnen und anderen gehört habe, auch auf Ihrem Parteitag, durchaus auch mit Humor begleiten, aber die Lage ist nun mal so ernst.

Deswegen lassen Sie sich auch daran erinnern: Wenn Sie sagen: „Wir Grüne tragen diesen Staat, diese Gesellschaft und diese Demokratie“, dann lassen Sie sich sagen: „Ihre offene Kompromissunfähigkeit, Ihre ideologische Verweigerungshaltung, Ihr Ignorieren der Ängste und Nöte der Menschen, das trägt diese Gesellschaft nicht, sondern es ignoriert diese Gesellschaft.“ Das ist die Wahrheit an dieser Stelle.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Herr Bundeskanzler, die Menschen sind schwer verunsichert. Viele haben schlicht Angst. Diese Woche hat die R+V-Studie neue Zahlen zu den Ängsten in Deutschland veröffentlicht: Geldsorgen dominieren die Ängste der Deutschen. 67 Prozent haben Angst, sich ihr Leben nicht mehr leisten zu können. Sie haben, Herr Bundeskanzler, einen Doppel-Wumms angekündigt. Stehen geblieben sind davon nur doppelte Fragezeichen. Ausgestaltung der Gaspreisbremse? Unklar. Ausgestaltung der Strompreisbremse? Unklar. Sicherheit der Netzstabilität? Unklar. Diese Politik schafft kein Vertrauen. Sie schafft neue Ängste, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Kommission hat die Vorschläge gemacht. Sie haben bisher nicht darauf reagiert. Sie sagen nicht, wie Sie Haushalte, wie Sie die Wirtschaft, wie Sie den Mittelstand entlasten wollen. Aber Sie fordern von uns ein, dass Sie Zustimmung zu 200 Milliarden Euro neuen Schulden bekommen, die Sie hier morgen zur Abstimmung stellen. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lassen Sie sich dies an dieser Stelle auch sagen: Diesen Blanko-Wumms werden Sie von uns schlichtweg nicht bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Dürr [FDP]: Was ist denn der Vorschlag der Union?)

Was Sie diese Woche in Ihrer Koalition abgeliefert haben, das hat übrigens die Ängste nicht kleiner werden lassen. Ihr Machtwort, so notwendig es offensichtlich auch war, ist ein Zeichen der Ohnmacht dieser Koalition.

Und wenn Sie, Herr Bundeskanzler, Ihr schärfstes Schwert, die Richtlinienkompetenz des Kanzlers, schon nutzen, warum denn dann nicht konsequent, sondern nur halbherzig? Kein einziges Problem, das Sie – offensichtlich anders als Ihr Wirtschaftsminister – für Januar, Februar und März identifiziert haben, ist im April des nächsten Jahres gelöst. Deswegen ist Ihre Entscheidung falsch, an dieser Stelle die Kernkraft nicht weiterlaufen zu lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Herr Bundeskanzler, Sie haben hier vorhin an diesem Rednerpult gesagt: „Die Energiepreise sind eine große Bewährungsprobe.“ Ja, vor allem für die mittleren und kleinen, für die normalen Einkommen, für den Mittelstand. Sie haben hier vorhin an diesem Rednerpult gesagt: „Die Energiepreise müssen runter.“ Warum verweigern Sie den Menschen dann die Preisentlastung durch das Weiterlaufen der Kernkraftwerke? Das ifo-Institut hat deutlich gemacht: Weiterlaufen der Kernkraftwerke ist ein wesentlicher Beitrag zur Reduzierung der Energiepreise in Deutschland. Kommen Sie Ihrem eigenen Anspruch nach, Herr Bundeskanzler.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe übrigens vermisst, Herr Bundeskanzler, dass Sie hier Ihr ständiges Versprechen wiederholt haben, das wir inzwischen von Ihnen gewohnt sind: „You’ll never walk alone.“ Dieses ständige Versprechen, das jetzt auch schon die FDP für Sie wiederholt, hat in dieser Woche noch mal eine ganz besonders interessante Wendung bekommen. Das stellt man fest, wenn man sich das Verhalten innerhalb der Ampelkoalition, innerhalb Ihrer Bundesregierung anschaut. Wissen Sie, Herr Bundeskanzler, wie der Blick der Öffentlichkeit, der Bevölkerung auf diese Ampel, auf diese Regierung inzwischen ist? Hier sitzt der Bundeskanzler „You’ll never walk alone“, und neben ihm sitzt üblicherweise der Vizekanzler „dead man walking“. Das ist der Blick der Bevölkerung auf diese Bundesregierung!

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn es ein Machtwort braucht, Herr Bundeskanzler, dann überlegen Sie sich bitte, ob Sie dieses Machtwort nicht wirklich sinnvoll nutzen wollen. Es wäre in dieser Lage notwendig. Jetzt die Bestellung der Brennstäbe vorzunehmen, den Weiterlauf der Kernkraft zu ermöglichen, Versorgungssicherheit zu schaffen und Preise zu senken, das wäre ein Auftrag, den Sie nach Europa und nach Brüssel mitnehmen können. Wenn Sie Machtworte sprechen, dann sorgen Sie auch für Ergebnisse, die den Menschen in ihren Nöten helfen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Chantal Kopf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7547329
Wahlperiode 20
Sitzung 63
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum Europäischen Rat
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