20.10.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 63 / Tagesordnungspunkt 7

Ariane FäscherSPD - Regierungserklärung zum Europäischen Rat

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Interessierte! Putins Krieg wirft uns in die komplexeste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Zeitenwende. Zeitenwende mit vielen Dimensionen. Deswegen möchte ich jetzt einmal den Blick etwas weiten in die Langfristperspektive.

Eine enorme Solidarität und Entschlossenheit ist in der EU sichtbar geworden. Darin zeigt sich ein erneuertes Europa, eine belastbare Gemeinschaft jenseits der Konfliktfelder erstarkter Nationalismen, eingeschränkter Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit. Krisen sind die Stunde der Exekutive. Achim Post wies zu Recht auf die Notwendigkeit der Vertiefung und Erweiterung der EU hin. Eine erweiterte Europäische Union wird langfristig gelingen, wenn ein Europa der Regierungen als ein Europa der Menschen unterfüttert werden kann. So fordern es die Ergebnisse der Zukunftskonferenz, und so fordert es der Bürgerblick auf die EU.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP])

Einer der Gründerväter der europäischen Einigung, der französische Beamte Jean Monnet, ließ uns den Satz zurück: „Europa wird in Krisen geschmiedet und ist am Ende die Summe der Lösungen, die für diese Krisen gewählt werden.“ Diese Krise hat die Macht, uns entweder zu entzweien oder uns zu befähigen, jene Probleme zu lösen, die aus mangelnder Zusammenarbeit und Uneinigkeit entstanden sind. Hier kann insofern eine wirkliche europäische Chance erwachsen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Christine Aschenberg-Dugnus [FDP])

In der Debatte in Deutschland ist die europäische Gender- und Gleichstellungspolitik ein unterschätzter Aspekt. Geschlechtergerechtigkeit und gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen sind kein Selbstzweck, sondern Voraussetzungen für nachhaltigen Frieden, Sicherheit und Wohlstand.

Der Europäische Rat widmet sich heute und morgen den Herausforderungen unserer Zeit. Stets lag die Stärke der Gemeinschaft in ihrer Fähigkeit, tragfähige Brücken nach außen zu schlagen, wie aktuell mit der Europäischen Politischen Gemeinschaft. Eine wachsende EU wird jedoch neben einer gemeinsamen Wirtschafts- und Sicherheitspolitik nur als ein Europa der Mehrheitsentscheidungen, gestärkter innerer Demokratie und mehr gemeinsamer Steuer- und Fiskalpolitik stark bleiben können. Das Europa der gleichen Lebensverhältnisse und einer europäischen Identität gelingt, wenn die Tiefe der Zusammenarbeit von Regierungen über die Parlamente in die Bürgerschaften reicht. Dafür sind allerdings lose Zusammenschlüsse zu wenig.

Die EU ist wichtige Schritte für ein modernes, gerechtes Europa der Bürger/-innen gegangen. Da ist die Lohntransparenzrichtlinie, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Einblick in die Entlohnung gleichgestellter Kollegen ermöglicht. So lässt sich Lohngefälle zwischen den Geschlechtern verringern, aber auch zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und mit unterschiedlichen Berufsabschlüssen. EU-weit verdienen Frauen 14 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen.

Europaweit sind aber auch vor allem Frauen Verliererinnen der Krise. Sie sind verstärkt auf der Flucht, allein mit Kindern und alten Angehörigen. Sie sind stärker von der Energie- und Transportarmut betroffen, sind häufiger in Teilzeit oder prekär beschäftigt, müssen ihr Weniges mit Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen teilen und leiden öfter an Altersarmut. Gewalt und sexualisierte Gewalt an Frauen und Kindern nimmt in Krisen nicht nur zu, sondern sie werden nachgerade als Kriegswaffe eingesetzt.

Neben Energiesicherheit und Frieden wird gelingender Klimaschutz immer mehr zur Grundlage für gleiche Lebensverhältnisse nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch zwischen den Ländern und Regionen. Der Klima-Sozialfonds ist ein gelungener Ansatz der solidarischen Antwort auf die sozialen Herausforderungen des klimagerechten Umbaus der Wirtschaft.

Auch der europäische Mindestlohn ist mit erstmals einheitlichen Lohnstandards eine zentrale Errungenschaft des sozialen Europas. Atypische Beschäftigungen, niedrigste Löhne, prekäre Arbeit wie in der Plattformökonomie und das Lohngefälle zwischen Geschlechtern sind Themen, die wir national und vor allem auf EU-Ebene bekämpfen können und müssen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Sozial- und Steuerdumping darf kein Wettbewerbsvorteil sein, nirgendwo. Deswegen sind diese Vorstöße wirkliche Pionierarbeit im sozialen Europa.

Europäische Erlebnis- und Erwerbsbiografien, unterstützt durch umfassende Jugendbildungsprogramme, werden mit der Zeit eine europäische Identität prägen. Die künftigen Erasmus+-Generationen werden aus einer teilhabegerechten Europasicht den Phantomschmerz untergegangener Reiche und verlorener Großmächte ebenso wenig spüren, wie sie Nationengrenzen fühlen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Das Recht jeder Europäerin bzw. jedes Europäers auf Sicherheit, Gleichstellung und Chancengerechtigkeit an jedem Ort, an dem sie bzw. er ihr Leben gestalten möchte, muss daher der Anspruch an die Lebenswirklichkeit der EU von morgen sein. Sie fordert Integrität, Solidarität, Augenhöhe von allen Staaten.

Frau Kollegin!

Nichts weniger als das bedeutet am Ende eine gelungene Zeitenwende für Europa.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Anton Hofreiter hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7547334
Wahlperiode 20
Sitzung 63
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum Europäischen Rat
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