Thomas JarzombekCDU/CSU - Notfallfonds für das Wissenschaftssystem
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines kann man über diese Krise ganz sicher sagen: Ohne Forschung und ohne Wissenschaft, ohne Technologie werden wir uns aus der Mangellage nicht befreien können. Wir brauchen also die Wissenschaft, um uns zu retten. Heute aber müssen wir darüber reden, die Wissenschaft zu retten. Wir können hier im Deutschen Bundestag locker 20 Prozent Energie sparen, indem wir die Heizung niedriger stellen, indem wir das Licht ausmachen. Aber wenn man zum Beispiel eine Biodatenbank oder eine Genbank betreibt, wie das unsere Forschungsorganisationen tun, geht das nicht so einfach. Beim Leibniz-Institut werden Dinge bei minus 196 Grad konserviert. Das Max-Planck-Institut betreibt Tierhäuser mit 50 000 Mäusen. Das Forschungszentrum Jülich hat einen Supercomputer. Weitere Supercomputer gibt es in Garching und Stuttgart. Alleine der Supercomputer in Jülich braucht 130 Gigawattstunden pro Jahr, der Teilchenbeschleuniger von DESY in Hamburg 210 Gigawattstunden pro Jahr. Das alles macht deutlich, dass in der Wissenschaft und Forschung nicht einfach 20 Prozent gespart werden können.
Bei diesen ganzen Geräten, über die wir reden, und vielen Einrichtungen ist es eben so: Man kann sie nicht ein bisschen herunterfahren – es geht hier um Milliardeninvestitionen des Staates –, sondern man kann sie am Ende einfach nur abschalten.
Deshalb gibt es laute Hilferufe aus der Wissenschaftsgemeinschaft. Frau Professor Becker von der Allianz der Wissenschaftsorganisationen sieht einen Bedarf von bis zu 3 Milliarden Euro. Professor Stratmann von der Max-Planck-Gesellschaft, der gerade einen Nobelpreis für Deutschland nach Hause gebracht hat, hat diese Woche im Ausschuss von 100 Millionen Euro Mehrkosten nur für die Max-Planck-Gesellschaft geredet; in den nächsten Jahren reden wir von bis zu 400 Millionen Euro.
Was uns ganz besonders nachdenklich macht und wovor wir Sorge haben: Alleine bei der Max-Planck-Gesellschaft – ich bleibe bei dem Beispiel – werden Tausend neue Doktoranden pro Jahr eingestellt. Gerade wurde ein neues Nachwuchsprogramm mit 20 bis 30 Millionen Euro aufgelegt. Das alles sind Dinge, die jetzt wahrscheinlich infrage gestellt werden müssen, wenn es keine Finanzierung in dieser Notlage gibt. Meine Damen und Herren, es droht der unwiederbringliche Verlust von Forschungsergebnissen.
Man stellt sich die Frage: Ist das Problem eigentlich über Nacht gekommen? Wir haben bereits am 28. Juli dieses Jahres an die BNetzA geschrieben, in persona Stephan Albani und ich. Wir haben Ihnen, Frau Ministerin, am 3. August eine Kleine Anfrage zu dem Thema gestellt. Darauf haben Sie am 29. August lapidar geantwortet: Es gibt in dieser Bundesregierung seit Monaten Nachtstunden. Ein Rettungspaket jagt das nächste: drei Entlastungspakete, Anhebung des Grundfreibetrags und Arbeitnehmerpauschbetrags, Einmalzahlungen für Leistungsempfänger, Kinderbonus, Energiepreispauschalen, Heizkostenzuschuss, Homeoffice-Pauschale, Erhöhung des Sparerpauschbetrags, sogar ein Spitzenausgleich für energieintensive Unternehmen.
Was ist bisher für Forschung und Wissenschaft in diesen Paketen erreicht worden? Sie haben es schlicht vergessen. Seit Monaten werden Hilfspakete geschnürt, aber am Ende stehen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor einem ganz schwierigen Szenario. Frau Ministerin, das, was von Ihnen verlangt wird, das, was Ihre Aufgabe ist, ist, Schutzpatronin der Forschung zu sein. Das erwarten viele da draußen. Sie setzen ihre Hoffnungen in Sie. Es ist ein gutes Zeichen, dass Sie aufgrund unserer Debatte heute jetzt endlich im „Handelsblatt“ erklärt haben: Es braucht auch einen Rettungsschirm für die Wissenschaft. – Aber, Frau Ministerin, das alles am 20. Oktober ist viel zu spät und viel zu ungewiss, weil es eben noch kein Regierungskonsens ist.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir haben den Pakt für Forschung und Innovation gemacht mit 3 Prozent Steigerung der Mittel pro Jahr. Das ist der letzte Rettungsanker, den die Wissenschaftsorganisationen gerade haben. Sie, Frau Ministerin, haben uns noch im Frühjahr vorgehalten, wir hätten damit den Haushalt versteinert. Da frage ich mich natürlich: Was waren Ihre Ideen für den Haushalt, wenn Sie diese 3 Prozent Wachstum als Versteinerung gesehen haben? Ich will es mir gar nicht vorstellen.
DATI und Startchancen, ihre beiden Lieblingsprogramme, sind in weiter Ferne, und wer weiß, ob Sie nicht an diesen Haushaltszahlen hätten kratzen wollen, um das hier schneller zu realisieren.
Die Priorität muss darin bestehen, Sicherheit und Zuverlässigkeit für das Forschungs- und Wissenschaftssystem in Deutschland zu geben. Wir haben das getan. Als wir vor zwei Jahren in der schwierigen Coronaphase waren, wurden nicht nur Entlastungspakete auf den Weg gebracht, sondern da haben wir auch ein 15‑Milliarden-Euro-Paket nur für den Bereich BMBF gemacht. Allein die 9 Milliarden Euro zum Wasserstoff, mit denen Sie sich auch schmücken, stammen aus den Coronaprogrammen. Das gilt auch für die 2 Milliarden Euro fürs Quantencomputing, für die Mittel für künstliche Intelligenz und vieles mehr.
Deshalb brauchen wir jetzt – das haben wir hier heute beantragt – ein Entlastungspaket für die Wissenschaft. Darin muss der Status „geschützte Kunden“ enthalten sein. Immer noch sind die außeruniversitären Forschungseinrichtungen unsicher, ob sie in einer Mangellage nicht abgeschaltet werden müssen. Sie müssen als geschützte Kunden definiert werden.
Wir brauchen zum Zweiten eine genaue Bedarfsanalyse. Welche Einrichtungen haben welche Energieverbräuche und können selber nicht einsparen? Was muss ein solches Paket leisten? Wir brauchen dafür einen Notfallfonds, einen Energiepreisdeckel Wissenschaft, und die Zahl der Promotionsvorhaben darf nicht sinken. Dafür braucht es eine Verabredung mit den Ländern.
Meine Damen und Herren, das ist heute die Chance für Sie als Regierung, endlich die Rolle als Schutzpatron der Wissenschaft einzunehmen. Frau Ministerin, tun Sie was. Es ist allerhöchste Zeit. Unsere Wissenschaft ist in Gefahr. Es liegt in Ihren Händen, jetzt endlich zu handeln.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Holger Mann hat das Wort für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Cite as | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Retrieved from | http://dbtg.tv/fvid/7547342 |
Electoral Period | 20 |
Session | 63 |
Agenda Item | Notfallfonds für das Wissenschaftssystem |