Klaus WienerCDU/CSU - Änderung des Atomgesetzes
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lange wurde darüber geredet, jetzt ist es so weit: Die Heizperiode hat begonnen. Und? Sind wir gut vorbereitet? Leider nicht. Man muss es so deutlich sagen.
(Zuruf des Abg. Timon Gremmels [SPD])
Die Speicher sind zwar voll – das klang ja gerade schon an –, aber der Preis dafür war hoch. Gefracktes Gas wurde teuer eingekauft.
(Zuruf des Abg. Timon Gremmels [SPD])
Aber was in dem Zusammenhang noch viel schlimmer ist: Sie haben ärmeren Ländern das Gas auf den Weltmärkten vor der Nase weggeschnappt.
(Andreas Bleck [AfD]: So ist es!)
Die Aufregung hierüber ist groß – zu Recht, wenn man bedenkt, was das für die Menschen dort oftmals an existenzieller Not bedeutet.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD – Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: Was ist die Alternative? – Zuruf des Abg. Michael Kruse [FDP])
Nicht minder groß ist die Aufregung darüber, dass in der aktuellen Mangellage alte Kohlekraftwerke zum Einsatz gebracht werden, während die viel klimafreundlichere Alternative Atomstrom von Ihnen ausgeklammert wird – bis, ja, bis auf den kläglichen Streckbetrieb, über den wir heute in erster Lesung beraten.
Viele aus Ihrem Lager sagen immer wieder gebetsmühlenartig, das sei eine Hochrisikotechnologie.
(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist es auch! Wenn was passiert, dann ist der Schaden groß!)
Darüber, meine ich, lässt sich streiten. Zumindest wird das im Ausland ganz überwiegend nicht so gesehen, und man findet den Begriff auch gar nicht in der wissenschaftlichen Literatur. Sicher ist aber, dass Sie mit Blick auf das Klima inzwischen eine Hochrisikopolitik betreiben. Und wenn Sie mir schon nicht glauben, dann zitiere ich hier noch mal Herrn Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung – das ist in der „FAZ“ vom Wochenende nachzulesen –: „Die Klimakrise ist zu ernst, um bestehende Kernkraftwerke zu schließen.“ Nur Sie wollen es einfach nicht verstehen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD – Abg. Dr. Jan-Niclas Gesenhues [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Entschuldigung, Herr Dr. Wiener, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung oder ‑frage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Nein, ich würde gerne weitermachen.
(Timon Gremmels [SPD]: Keiner versichert Atomkraft!)
Der Einsatz der Kernkraftwerke würde im Vergleich zu Strom aus Kohle die Emissionen um jährlich 70 Millionen Tonnen CO2 verringern. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: 70 Millionen Tonnen CO2. Das sind knapp 10 Prozent aller unserer Emissionen oder 40 Prozent der Emissionen, die wir bis 2030 einsparen müssen, wenn wir die Pariser Klimaziele einhalten wollen. Deutschland wird seine CO2-Ziele in den nächsten Jahren krachend verfehlen. Und dafür tragen Sie die Verantwortung.
(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, die tragen Sie, weil Sie den Ausbau der Erneuerbaren verhindert haben! Haltet den Dieb, heißt es! Haltet den Dieb!)
Jetzt höre ich – sehr guter Hinweis, Herr Ebner – aus Ihrem Lager immer wieder: Hätte Deutschland die erneuerbaren Energien stärker ausgebaut, hätten wir das Energieproblem nicht. Das ist – das muss man mal so deutlich sagen – blanker Unsinn.
(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Sehr gut! – Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie doch die Zwischenfrage zu, dann können Sie es ja noch mal genauer erklären!)
Zum einen, weil Deutschland die erneuerbaren Energien deutlich stärker ausgebaut hat als fast alle anderen Länder auf dieser Erde. Das habe ich hier an dieser Stelle auch schon wiederholt ausgeführt. Noch schlimmer aber ist, dass Sie die Dimension des Problems verkennen.
(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätten Sie eine Zwischenfrage zugelassen!)
Von 600 Terawattstunden Strom, die wir jährlich brauchen, kommen aktuell 300 Terawattstunden aus den Erneuerbaren. Das sind 50 Prozent – ein schöner Erfolg der letzten 16 Jahre, über den ich mich wirklich freue.
(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so!)
Unser jährlicher Energiebedarf beträgt in toto aber nicht 600 Terawattstunden, sondern 3 400 Terawattstunden, also mehr als das Elffache.
Verstehen Sie mich nicht falsch.
(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich verstehe Sie überhaupt nicht! Das ist das Problem!)
Auch ich will, dass die Erneuerbaren ausgebaut werden, und das mit Tempo. Aber seien Sie doch endlich mal ehrlich zu den Menschen. Das wird Zeit brauchen, viel Zeit.
(Timon Gremmels [SPD]: Wir haben schon viel zu viel Zeit verloren!)
Auch ein Scheitern ist möglich, weil Geld, Technologien und Fachkräfte fehlen. Deshalb wäre es klug – vielleicht mal zuhören –, alle Energieformen so lange zu nutzen, bis wir wissen, dass wir es geschafft haben, und sie nicht vorher abzuschalten.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Ihr Atomausstieg! Der schwarz-gelbe Atomausstieg! – Dr. Jan-Niclas Gesenhues [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Merkel sieht das mit den Risiken übrigens anders!)
In dieser dramatischen Situation beraten wir heute in erster Lesung ein Atomgesetz, das einen Weiterbetrieb nur bis zum 15. April vorsieht, aber nicht mit neuen Brennstäben, was sinnvoll wäre, sondern im dürftigen Streckbetrieb; ich habe es schon gesagt. Und das auch nicht aus tieferer Einsicht heraus, sondern weil der Kanzler mit einem Last-minute-Machtwort den Koalitionsfrieden retten musste.
Ich war im Sommer mit dem Umweltausschuss in Schweden. Sie, Herr Ebner, waren ja auch dabei. Auch da will man aus der Kernenergie aussteigen. Das macht man aber mit einem gewissen Pragmatismus.
(Zuruf des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Man steigt nämlich erst dann aus, wenn die Erneuerbaren hinreichend ausgebaut sind. Das würde ich mir auch für Deutschland wünschen. Aber das würde erfordern, dass Sie einen klaren Plan haben, wie wir die Energiewende unter den dramatisch geänderten Rahmenbedingungen tatsächlich hinbekommen.
(Zuruf der Abg. Linda Heitmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Der liegt aber bislang leider nicht vor. Und es würde erfordern, dass Sie Ihrer Verantwortung endlich gerecht werden und wirklich alle Optionen auf den Tisch bringen. Dazu gehört in der aktuellen Krise auch ein Weiterbetrieb der bestehenden Kernkraftwerke über den 15. April hinaus. Kein Wiedereinstieg wohlgemerkt,
(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich! Ihr Antrag ist genau das! Alle zwei Jahre! Das ist der Wiedereinstieg! Das wissen Sie doch genau, dass das der Wiedereinstieg ist! Seien Sie doch so ehrlich zu den Menschen! Wer hat denn hier gerade Ehrlichkeit eingefordert?)
aber schon so, dass es für die Menschen und die Unternehmen einen Unterschied macht. Das ist in Ihrem Gesetzentwurf nicht der Fall. Deswegen lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich schließe die Aussprache.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7547697 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 65 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Atomgesetzes |