Linda TeutebergFDP - Vereinbarte Debatte - Bekämpfung von Antisemitismus
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! „ Und die ganze Straße sah zu“, so schilderte Josef Schuster heute bei einer Gedenkveranstaltung auf Einladung des Bundespräsidenten Gedanken von deutschen Staatsbürgern jüdischen Glaubens, die diese Pogromnacht erlebt haben, diese Tage der Ermordung, Erniedrigung von Menschen in unserem Land, was uns mit Scham und Trauer erfüllen muss.
Es ist ein großes Geschenk für unser Land und Ausdruck eines großen Vertrauensvorschusses, dass wieder Jüdinnen und Juden in unserem Land leben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Umso beschämender ist es – denn Erinnern heißt handeln, und dabei geht es auch um die Sicherheit von Jüdinnen und Juden heute in unserem Land –, dass verschiedene Akteure es sich heute nicht verkneifen können, diesen historischen Tag für andere politische Anliegen zu benutzen. Ich will jetzt nicht über die Kundgebungen reden, die heute Abend leider auch in Berlin stattfinden werden, bei denen wahrscheinlich auch wieder der israelbezogene Antisemitismus Ausdruck finden wird. Ich will etwas anderes herausgreifen, etwas, was ich mir nach dem Documenta-Skandal, der einer mit Ansage und Wegbereitern war, nicht hätte vorstellen können: Das Goethe-Institut in Tel Aviv hatte ernsthaft vor, am heutigen Tag gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Veranstaltung unter dem Motto „Den Schmerz der anderen verstehen“ über die Nakba durchzuführen, gefördert mit öffentlichen Geldern. Das zeigt, wie tief das Problem sitzt und wie ernsthaft wir uns damit auseinandersetzen müssen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Antisemitismus kein neues Thema ist, dass er ein beschämender Teil des Alltags in unserem Land ist, das ist für uns Freie Demokraten nicht neu, und es ist nicht überraschend. Allein: Das tröstet nicht, es beruhigt nicht. Denn es geht um eine gemeinsame große Verantwortung für ein hohes Gut, nämlich darum, dass jüdisches Leben bei uns sicher, frei und selbstbestimmt stattfinden kann, und vor allem darum, dass Jüdinnen und Juden selbst darauf vertrauen. Es darf nicht von der Stärke einer Synagogentür abhängen, wie in Halle, ob Jüdinnen und Juden sich sicher fühlen können. Der Polizeischutz ist ebenso notwendig, wie es traurig ist, dass er notwendig ist. Deshalb ist es nicht hinreichend, dass wir ihn gewährleisten. Wir müssen die gesellschaftlichen Türen vor Antisemitismus fest verschließen, vor menschenverachtendem Gedankengut, damit es auf die realen Türen nicht ankommt.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auffällig am Antisemitismus ist, dass er regelmäßig Hand in Hand mit Verschwörungserzählungen geht und dass er uns auch in verschiedenen Debatten, außenpolitischen, wirtschaftspolitischen und kulturpolitischen, begegnet. Er ist ein hilfloser Reflex auf die Komplexität moderner Gesellschaften und ihrer Herausforderungen. Es gilt, diesem menschenverachtenden Gedankengut immer und überall klar entgegenzutreten, egal ob es vermeintlich geschmeidig, gefällig, harmlos daherkommt; denn klar ist: Jede Erscheinungsform des Antisemitismus ist inakzeptabel.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Die Erinnerungskultur, die wir uns in unserem Land erarbeitet haben, ist in liberalen Demokratien übrigens gerade nicht Normalität. Es ist etwas sehr Besonderes und Kostbares, dass man eine historische Tatsache auch moralisch eindeutig bewertet und nicht verschiedene Meinungen darüber hat. Gerade weil wir einen klaren Konsens über die Singularität des Menschheitsverbrechens der Shoah erreicht haben, müssen wir besorgt darüber sein, dass es neue Tendenzen der Relativierung und der Verharmlosung gibt. Weil diese Erinnerungskultur so kostbar ist und weil sich die Erinnerungskultur mit unserer Gesellschaft weiterentwickeln muss, ohne diese Verantwortung zu verlieren, müssen uns Apartheids- und Kolonialismusanalogien besorgt stimmen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es darf nicht zu einer Verharmlosung kommen, nicht zu einer Relativierung; denn dann sind regelmäßig Doppelstandards, Dämonisierung und Delegitimierung des Staates Israel nicht weit. Die Shoah ist singulär. Ihre Dimension ist schwerlich in Sprache zu fassen. Und doch müssen wir sie benennen, weil wir sie nicht beschweigen dürfen.
Die Glaubwürdigkeit des Kampfes gegen Antisemitismus hängt davon ab, dass es keinen Unterschied macht, aus welcher Ecke Antisemitismus kommt. Wir brauchen eine ganzheitliche Strategie gegen Antisemitismus. Über die werden wir in den nächsten Wochen auch ausführlicher sprechen können. Deshalb geht es jetzt darum, dass wir in eine Situation kommen, in der mehr Raum ist, als er heute da war – heute beschäftigt und belastet uns, denke ich, eher der unerträglich starke Antisemitismus –, damit wir auch über die Vielfalt jüdischen Lebens und die Vielfalt jüdischer Kultur in unserem Land sprechen können.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich finde, es wäre ein gutes Ziel für zukünftige Debatten, dass man seine Redezeit auf diese Vielfalt jüdischer Kultur und jüdischen Lebens in Deutschland verwenden kann.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Frau Kollegin Teuteberg. – Das Wort erhält nunmehr die Kollegin Petra Pau, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7547726 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 65 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte - Bekämpfung von Antisemitismus |