Simona KoßSPD - Vereinbarte Debatte - Bekämpfung von Antisemitismus
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 9. November 1938, einem Mittwoch wie heute, rotteten sich um diese Uhrzeit die Horden derer zusammen, die nur wenige Stunden später Synagogen anzündeten und abbrennen ließen, Geschäfte und Wohnungen von Jüdinnen und Juden zerstörten und Menschen misshandelten, verhafteten, auf sie einschlugen und töteten – nur, ja nur weil sie Juden waren und den Nationalsozialisten als billiges Feindbild, als Sündenbock dienten. Die Reichspogromnacht steht für eine der schrecklichsten antisemitischen Gewalttaten, gerade weil sie, im Vorfeld wohlorganisiert, den Volkszorn simulierte und anstachelte. Es sollte in dieser Nacht deutlich werden, dass die Nazis mit ihren Massenverhaftungen, mit Sondergesetzen und Demütigungen im Sinne der Bevölkerung handelten, die angeblich noch härteres Vorgehen gegen Jüdinnen und Juden verlangte. Auf diese Nacht folgten in noch größerem Umfang Vertreibung, Verschleppung und letztlich die Ermordung von 6 Millionen Menschen in den Vernichtungslagern – nur, ja nur weil diese Menschen Juden waren.
Die Nationalsozialisten knüpften für ihr schreckliches Handeln an tief geprägte Vorurteile an. Judenhass und Judenfeindlichkeit waren längst salonfähig. So wie der Antisemitismus des 9. November 1938 keineswegs spontan war, so hat er leider keineswegs mit dem Jahr 1945 aufgehört, zu existieren. Ganz im Gegenteil: Er ist da – Tag für Tag.
Glücklicherweise wurden in den vergangenen Jahren in den Bundesländern Recherche- und Informationsstellen zum Antisemitismus eingerichtet, die RIAS. Wir gemeinsam, meine Damen und Herren, sollten diese Stellen weiter unterstützen und verstetigen.
Nach den Zahlen im Bericht von RIAS wurden im letzten Jahr 2 738 antisemitische Vorfälle verzeichnet – eine schrecklich hohe Zahl. Leider müssen wir von einer noch höheren Dunkelziffer ausgehen. Der RIAS-Jahresbericht liest sich bedrückend. In ihm ist die Rede von Bedrohung, Massenzuschriften, Hassmails, Sachbeschädigung, Angriffen und von sechs Fällen extremer Gewalt. Nicht verzeichnet sind antisemitische Schimpfwörter, der Glaube an die zionistische Weltverschwörung und natürlich die Vorsicht und Angst von Jüdinnen und Juden, in unserem Land sichtbar ihren Glauben zu leben und als Jüdinnen und Juden erkannt zu werden.
Ich habe es auch bei uns in Brandenburg erlebt und sehe es jeden Tag in den sozialen Netzwerken: Im Zuge der Coronaproteste, aber auch im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg werden immer wieder antisemitische Muster bemüht. Und wir erleben auch hier im Bundestag immer wieder, wie dieses Muster von rechts befördert wird.
(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das, was damit geschieht, meine Damen und Herren, ist geistige Brandstiftung.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dem setzen wir Demokratinnen und Demokraten Folgendes entgegen: Der Härtefallfonds wird kommen, sobald die Bundesländer einer Beteiligung zugestimmt haben. Noch in diesem Jahr muss das Geld fließen. Es wird allerhöchste Zeit für die hochbetagten jüdischen Kontingentflüchtlinge.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Ich bin sehr froh darüber, dass die Verhandlungen zwischen dem Bundesfinanzministerium und der Jewish Claims Conference erfolgreich verlaufen sind und wir deutlich gemacht haben, dass wir mit der Bundesregierung der Verpflichtung den Holocaustüberlebenden gegenüber nachkommen. Es ist unsere Pflicht, den Holocaustüberlebenden in der Ukraine zur Seite zu stehen,
(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
ebenso wie den jüdischen Kindern aus ukrainischen Waisenhäusern und allen Geflüchteten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ich bin stolz auf diese Bundesregierung, die hier unkompliziert hilft.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten alle eine Vorstellung davon haben, was Judentum in Deutschland ausmacht. Jüdisches Leben gehört zu uns, ob in Neukölln, in Frankfurt oder in Bernau. Lassen Sie uns wachsam sein. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, unserer historischen Verantwortung gerecht zu werden. Lassen Sie uns noch offener und interessierter aneinander sein und jüdisches Leben in Deutschland in seiner Vielfalt mit Interesse und als Bereicherung betrachten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie der Abg. Mareike Lotte Wulf [CDU/CSU])
Vielen Dank, Frau Kollegin Koß. – Als nächster Redner ist an der Reihe der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7547733 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 65 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte - Bekämpfung von Antisemitismus |