09.11.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 65 / Tagesordnungspunkt 5

Lars CastellucciSPD - Vereinbarte Debatte - Bekämpfung von Antisemitismus

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Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Wir erinnern heute in dieser Debatte an die Pogrome vor 84 Jahren. Uns beschäftigt die Frage, wie es dazu kommen konnte.

Keiner von uns ist naiv; wir wissen, es gibt das Böse, es gibt das Verbrechen, es gibt die Radikalisierung – manchmal sogar von diesem Pult aus.

Aber die entscheidende Frage, an der ich immer am meisten festhänge, ist: Wie konnte das alles mitten unter uns passieren? Das ist doch die zentrale Lehre der Ereignisse vom 9. November 1938: dass eben zu viele zugeschaut haben, dass es zu viele haben passieren lassen oder aber sogar manche der Gedanken und Einstellungen, die die anderen zu den radikalen Taten trieben, geteilt haben.

Deswegen möchte ich auch heute sagen: Wir haben bei dieser Debatte natürlich über die Verbrechen, die in den letzten Jahren in unserem Land passiert sind, gesprochen. Wir haben den Skandal der Documenta besprochen. Aber der andere große Skandal, den wir in diesem Land haben, ist der, der jeden Tag in den Köpfen von zu vielen Menschen stattfindet, dort, wo die antijüdischen Ressentiments und Stereotype auch heute noch festsitzen. 20 Prozent der Menschen glauben, Jüdinnen und Juden hätten in diesem Land zu viel Einfluss auf Wirtschaft und Finanzwesen oder auf Politik und Medien. Deswegen kann ich nur appellieren: Der Kampf gegen Antisemitismus ist nicht allein ein Kampf gegen die Täter und auch nicht allein ein Kampf von Zuständigen, sondern eine Aufgabe, der wir uns gemeinsam stellen müssen, weil sie in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt sein muss.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Verzichten können wir auf Bekenntnisse zur Bekämpfung des Antisemitismus, die sich ihrerseits dieser Stereotype bedienen und nur gegen andere Gruppen richten; denn stereotype Vorurteile oder sogar verfestigte Einstellungen, die sich zu Menschenfeindlichkeit auswachsen,

(Dr. Marc Jongen [AfD]: Realistische Analyse!)

haben eine gemeinsame Wurzel, aus der auch der Antisemitismus erwächst, und dem müssen wir uns entgegenstellen, mit allem, was wir als Demokratinnen und Demokraten aufzubieten haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Ich will abschließend auch als Religionspolitiker sagen: Die Religion wird irgendwie kleiner und weniger in unserem Land. Die Menschen sollen selber entscheiden, wie sie es damit halten. Aber wir brauchen, auch zur Bekämpfung des Antisemitismus, eine religiöse Alphabetisierung in diesem Land. Die Menschen, auch wenn sie mit Religion nichts am Hut haben wollen und müssen, sollen verstehen können, was es mit Religion auf sich hat. Deswegen ist unsere Religionsverfassung, die ein kooperatives Verhältnis zwischen Kirche und Staat, Religion und Staat vorsieht und die auch eine aktive Förderung von religiösem Leben in diesem Land vorsieht, eine gute Verfassung.

Deswegen der wichtigste Satz dieser Debatte am Schluss: Wir sind froh und dankbar, dass jüdisches Leben in diesem Land wieder seinen Platz hat, und wir werden es weiter fördern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7547737
Wahlperiode 20
Sitzung 65
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte - Bekämpfung von Antisemitismus
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