Norbert RöttgenCDU/CSU - Unterstützung der Protestbewegung im Iran
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir seit einigen Wochen im Iran erleben, ist in der Dimension und in der gesellschaftlichen Breite – natürlich nicht in den Intentionen – nur mit einem historischen Ereignis vergleichbar, nämlich dem Sturz des Schahs im Jahre 1979 und der folgenden islamischen Revolution. Das ist keine Prognose, wie es ausgeht; aber ich beschreibe das, um die Dimension des Geschehens zu verdeutlichen. Es geht nicht mehr nur um Proteste – Sie haben es auch gesagt, Herr Kollege –, sondern es ist eine revolutionäre Bewegung im Iran im Gange. Daraus folgt, dass für Deutschland die Zeit gekommen ist, dass wir uns entscheiden. Es ist jetzt nicht mehr die Zeit, zu lavieren, sondern Deutschland muss Position und Partei beziehen in dieser historischen Situation.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Schon im Titel Ihres Antrags greifen Sie diese Dimension nicht auf: Sie sprechen von einer „Protestbewegung“. Aber es geht um eine revolutionäre Bewegung, die im Iran stattfindet. Die richtige Antwort Deutschlands müsste sein: maximaler Druck auf das Regime, maximale Unterstützung für die Protestierenden. Das wäre die richtige deutsche Außenpolitik.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir erleben das Gegenteil. Auch in diesem Antrag ist es wieder dokumentiert. Man könnte fast glauben, dieser Antrag der Fraktionen wäre im Auswärtigen Amt geschrieben worden,
(Zuruf von der SPD: Haben Sie ihn selber gelesen?)
weil er den Geist atmet: Deutschland macht in dieser Situation Minisanktionen, Deutschland macht nur das, was das obligatorische Mindestmaß an Druck für das Regime ist. Dadurch fühlen sich die Protestierenden im Stich gelassen, meine Damen und Herren. Deutschland leistet zu wenig.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Herr Kollege Röttgen, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Gern.
Lieber Kollege Röttgen, ich bin über Ihre heutige Rede wie auch über Ihre letzte Rede mehr als irritiert und kann Ihnen nur empfehlen, mal unseren Antrag zu lesen. Und was glauben Sie eigentlich, warum der deutsche Botschafter im Iran dauernd einbestellt wird, warum von außenpolitischer Einmischung geredet wird, warum gerade unsere Außenministerin Baerbock dort als Speerspitze des Widerstands, der Kritik und vor allem der konkreten Maßnahmen gegen dieses Regime immer wieder mit aller Härte kritisiert wird? Haben Sie nicht mitbekommen, dass es bereits ein Sanktionspaket gab, dass das nächste ansteht, dass die Listung weiterer Personen vorbereitet wird, dass dies ebenso eine deutsche Initiative war wie der Ansatz, das im Menschenrechtsrat zu thematisieren sowie Maßnahmen zur Accountability und zum Schutz der Zivilbevölkerung auf den Weg zu bringen? Das alles hat diese Bundesregierung geleistet.
Natürlich wünschen wir uns alle, wir hätten ein Instrument, diese Gewalt zu beenden. Wer tut das nicht? Aber hören Sie auf, zu behaupten, dass diese Bundesregierung nichts tut. Denn es ist Annalena Baerbock, die hier an der Speerspitze des Widerstands steht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Frau Kollegin Brugger, ich glaube, dass sowohl Sie als auch die Bundesaußenministerin darin übereinstimmen, dass keiner von uns, die wir hier in Sicherheit stehen und in einem freien Parlament debattieren, sich anmaßen sollte, zu behaupten, dass wir an der Spitze irgendeines Widerstandes stehen. An der Spitze des Widerstandes stehen die Frauen und Männer im Iran, die für ihren Freiheitskampf gefoltert und getötet werden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN)
Wir alle tun, glaube ich, gut daran, mit einem angemessenen Maß an Demut und Bescheidenheit an dieser Debatte teilzunehmen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Aber Ihr Punkt ist der ganz entscheidende Punkt: Sie wollen hier darstellen, dass die Einbestellung des Botschafters Ausdruck der Entschiedenheit der Sanktionspolitik und der Unterstützungspolitik Deutschlands ist.
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn sonst?)
Wenn dies das Maß an Reaktion ist, das Sie herbeiführen wollen, dann ist das ein Beweis dafür, dass es einfach zu wenig ist. Es ist eine Realität, dass die Bundesaußenministerin nach dem Mord an Jina Mahsa Amini tagelang geschwiegen hat. Es ist eine Realität, dass Kanada 10 000 Angehörige der Revolutionsgarden sanktioniert hat, dass die USA dabei sind, die Internetkommunikation wiederherzustellen. Und Deutschland und Europa rühmen sich, dass elf Personen und vier Organisationen sanktioniert worden sind.
(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)
Herr Bundeskanzler, Sie haben sich zu diesem Thema bislang in zwei Tweets geäußert.
(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)
Ich bin ganz sicher und überzeugt: Die protestierenden Frauen im Iran, die Iraner in Deutschland, die iranischstämmigen Deutschen würden es wirklich begrüßen, wenn Sie sich einmal in persönlicher Rede dieser historischen Situation stellen würden, wenn Sie sich als deutscher Regierungschef hier zu Wort melden würden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich kehre zu meiner Rede zurück. – Sie betreiben eine Politik des minimalen Drucks auf das Regime. Frau Bundesaußenministerin Baerbock, Sie haben am 30. Oktober in der ARD gesagt – und ich bleibe bei Ihrem Thema, Frau Kollegin Brugger, obwohl die Zeit für meine Rede wieder läuft –, es werde geprüft – und ich zitiere jetzt –, „wie wir die Revolutionsgarden auch als Terrororganisation listen können“. Das war Ihre Ankündigung am 30. Oktober, vor neun Tagen. Bislang ist nichts passiert. Und in diesem Antrag steht nichts davon, dass die Revolutionsgarden als Terrororganisation gelistet werden sollen. Es ist von Ihrer Seite nichts passiert.
Ich wäre sehr dankbar – Sie reden gleich –, wenn Sie uns das Ergebnis der Prüfung neun Tage nach Ihrer Ankündigung vielleicht einmal mitteilen könnten. Denn jetzt sind nicht Prüfungen gefragt, sondern Taten. Handeln, Entscheidungen, klare Signale – alles das ist gefragt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das Regime hat in der Zwischenzeit, als die Regierung anfing, zögerlich zu agieren, ein bisschen was zu machen, immer weiter eskaliert. Sie haben es eben auch beschrieben. Die ersten Hinrichtungen sind erfolgt. Die Gewalt wird immer brutaler. Menschen werden gefoltert. 14 000 Menschen sitzen in den Gefängnissen. Das Parlament hat gerade mit großer Mehrheit gefordert und beschlossen, dass praktisch jeder Protestierende hingerichtet wird. Wenn diese Revolution scheitert, dann wird es Hinrichtungen in Massen geben, wie man sie selbst im Iran noch nicht gekannt hat. Was ist dann eigentlich Ihre Politik? Was machen Sie dann? Um das zu verhindern, müssen Sie doch jetzt aktiv werden und nicht dann, wenn es passiert, wieder Ihr Bedauern äußern. Wir müssen endlich handeln.
(Beifall bei der CDU/CSU)
In Ihrem Antrag gibt es auch eine Passage der Transparenz. Warum machen Sie diese Politik, die wir für grundfalsch halten? Das beschreiben Sie dort implizit, indem Sie nämlich auf Seite 4 des Antrages ausführen, dass das Scheitern der Verhandlungen um das Nuklearabkommen „eine immense und unberechenbare Gefahr für die gesamte Region“ wäre. Die größte Gefahr für die gesamte Region ist das Regime – um das mal klarzustellen –,
(Beifall bei der CDU/CSU)
dieses Terrorregime, das die gesamte Region in Flammen setzt.
Ich stimme der Aussage zu, dass wir alles daransetzen müssen, dass das Nuklearabkommen wirksam wird, und wir haben alles darangesetzt. Aber Sie machen zwei grundlegende, gewaltige Fehler. Der erste Fehler ist: Mit Ihrem Festklammern am Nuklearabkommen verschließen Sie die Augen vor der inzwischen eingetretenen Realität. Sie schreiben, das Regime sei in diesen Verhandlungen – ich muss leider aus der Erinnerung zitieren – nur zögernd konstruktiv, zurückhaltend konstruktiv gewesen. Nein, die Realität ist: Das Regime hat den europäischen Vorschlag, das letzte Wort, das äußerste Angebot brüsk abgelehnt, hat dieses Angebot mit unannehmbaren Forderungen verbunden und spielt in dieser Frage nur noch auf Zeit, um in dieser Zeit die Atomwaffenfähigkeit zu erreichen. Das ist die Realität. Sie klammern sich an etwas, was der Iran schon lange aufgegeben hat.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Letzte Bemerkung: Selbst wenn es eine Chance gäbe, das Atomabkommen zu retten, wäre Ihre Politik falsch. Denn was erleben wir im Iran? Nicht irgendeinen Protest.
Kommen Sie zum Schluss.
Wir erleben, dass die Menschen in der Breite der Gesellschaft für ihre Würde, für ihre Freiheit aufstehen. Historische Veränderung im Iran ist möglich.
In dieser Situation haben wir nicht das Recht, andere Prioritäten zu setzen; wir haben die Pflicht, das zu unterstützen. Meine Damen und Herren der Bundesregierung, in dieser Situation der Möglichkeit historischer Veränderungen appelliere ich an Sie: Positionieren Sie Deutschland auf der richtigen Seite der Geschichte, auf der Seite von Würde und Freiheit, für die die Iranerinnen und Iraner kämpfen!
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank, Herr Kollege Röttgen. – Herr Kollege Erndl, Ihre Redezeit hat sich gerade um eine Minute verkürzt. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen. – Nächste Rednerin ist Frau Bundesministerin Annalena Baerbock für die Bundesregierung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7547741 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 65 |
Tagesordnungspunkt | Unterstützung der Protestbewegung im Iran |