Martin RosemannSPD - Bürgergeld-Gesetz
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Bürgergeld ist die größte Sozialreform seit 20 Jahren. Wir überwinden damit Hartz IV. Vor allem aber ist das Bürgergeld die Antwort auf die aktuellen Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt, einem Arbeitsmarkt, der gekennzeichnet ist durch Arbeitskräftemangel und nicht mehr durch Massenarbeitslosigkeit. Deshalb passen wir das System der Grundsicherung an die Herausforderungen der Zeit an.
Sechs grundsätzliche Veränderungen sind dabei wesentlich.
Erstens: mehr Respekt für Lebensleistung. Karenzzeit bei der Vermögensanrechnung macht eben den Unterschied zwischen denen, die immer gearbeitet haben und sich etwas angespart haben, und denen, die das nicht gemacht haben, aus. Nach Ihrer Rede, Herr Gröhe, kann ich nur feststellen: Wir, die Ampel, sind für mehr Respekt für Lebensleistung, Sie, die Union, sind dagegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Zweitens: mehr Augenhöhe und damit ein neuer Umgang des Staates mit dem Bürger. Es geht um individuelle und passgenaue Unterstützung. Wir wollen den Staat als Partner, der denjenigen hilft, die Hilfe brauchen.
Drittens: mehr Zielgenauigkeit beim Fordern. Allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz sieht das neue Bürgergeld Mitwirkungspflichten vor und auch Sanktionen für diejenigen, die sich verweigern. Aber wer von Beginn an mitwirkt – und das sind die meisten –, wird in Zukunft eben nicht mehr mit Sanktionen bedroht, und wer nicht mitwirken kann, beispielsweise wegen einer psychischen Erkrankung, der muss unterstützt und darf nicht sanktioniert werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Viertens: mehr Fördern. Mit dem neuen Instrument des umfassenden Coachings, der Entfristung des sozialen Arbeitsmarktes, der aufsuchenden Arbeit, dem Weiterbildungsgeld und dem Bürgergeldbonus sorgen wir für bessere individuelle und passgenaue Unterstützung.
Fünftens: mehr Nachhaltigkeit. Wir schaffen den Vermittlungsvorrang ab und setzen auf passgenaue und nachhaltige Vermittlung in gute Arbeit. Wenn wir Menschen einfach nur schnell in Arbeit bringen wollen, riskieren wir nämlich, dass die Arbeit genauso schnell wieder abgebrochen wird. Deshalb setzen wir auf zielgenaue Qualifizierung in gute Arbeit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Schließlich sechstens: mehr Leistungsgerechtigkeit. Wir erhöhen die Zuverdienstmöglichkeiten, vor allem für junge Leute, die selbst die Erfahrung machen sollen, dass sich Arbeiten lohnt. Mit dem neuen Bürgergeld gilt nun erst recht, dass Arbeit den Unterschied macht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Um all dies zu realisieren, entlasten wir die Jobcenter von Bürokratie, und wir werden den Haushalt für die Jobcenter auch ausreichend ausstatten. Aber Haushaltsdebatte, lieber Hermann Gröhe, ist nächste Sitzungswoche, nicht diese Woche. In diesem Zusammenhang weise ich nur darauf hin, dass zur Liste der Fake News nun noch hinzugefügt wurde, wir hätten den Bundesrechnungshof nicht gehört. Gestern im Ausschuss für Arbeit und Soziales waren wir über eine Stunde lang im Gespräch mit dem Bundesrechnungshof, lieber Hermann Gröhe!
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Aber öffentlich wollten Sie ihn nicht hören!)
Herr Rosemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der CDU/CSU-Fraktion?
Ja, bitte.
Lieber Herr Kollege Rosemann, Ihre Kollegin Saskia Esken hat heute Morgen gesagt – und Sie haben es gerade selbst in Ihrer Rede bestätigt –: Wir müssen nicht mehr so viel fordern; denn wir befinden uns in einer Vollbeschäftigungsphase. – Erkennen Sie an, dass das Prinzip „Fordern und Fördern“ der letzten nahezu 20 Jahre zu einem großartigen Erfolg auf unserem Arbeitsmarkt geführt hat,
(Christian Dürr [FDP]: Hä? Weil wir dauerhaft 2,2 Millionen Arbeitslose haben? Wo wohnen Sie denn?)
indem die Zahl der Arbeitslosen deutlich reduziert werden konnte? Eine weitere Frage: Was passiert eigentlich, wenn Sie jetzt nicht mehr fordern, sondern nur noch fördern? Stellen Sie sich darauf ein, dass wir künftig wieder mehr Arbeitslose haben?
Vielen Dank.
Frau Schimke, vielen Dank für die Fragen. – Erstens frage ich mich so ein bisschen, was mit Ihren Ohren los ist.
(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Was soll denn das jetzt?)
Denn Sie haben offensichtlich immer noch nicht verstanden, dass wir „Fördern und Fordern“ nicht abschaffen,
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: … sondern beides verschlechtern!)
dass es weiterhin Mitwirkungspflichten und Sanktionen gibt. Fake News – Entschuldigung – werden durch Wiederholung nicht wahrer, Frau Schimke.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Das ist arrogant! – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Beleidigungen machen den Vermittlungserfolg nicht wahrscheinlicher! – Gegenruf des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ja, absolut! – Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Arroganz pur!)
Zweitens. Ich finde es interessant, dass Sie mit diesem Redebeitrag noch einmal deutlich gemacht haben, dass die Union die Debatten von vor 20 Jahren führt, während wir die Debatten von heute und von morgen führen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Nehmen Sie doch zur Kenntnis, dass wir es mit einer anderen Situation auf dem Arbeitsmarkt zu tun haben!
(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Wie blind kann man sein!)
Drittens. Frau Schimke, ich bin für Fördern und Fordern, und ich bin auch dafür, dass die Leute, die sich den Mitwirkungspflichten entziehen, obwohl sie mitwirken könnten, auch mit den Konsequenzen zu rechnen haben,
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Die Sie weitestgehend abschaffen!)
im Rahmen dessen, was das Bundesverfassungsgericht vorgibt. Genau so steht es im Gesetz. Aber was ich Ihnen auch sagen will – das müssten Sie mit Ihrem beruflichen Hintergrund eigentlich wissen –: Als Vertreterin der Arbeitgeberverbände müssten Sie doch wissen, dass kein Arbeitgeber jemanden einstellt, der sich nur deshalb bei ihm bewirbt, weil ihm sonst Sanktionen drohen. Es muss doch ein Mindestmaß an Motivation geben, und dafür müssen wir sorgen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Meine Damen und Herren, ich danke den Beschäftigten in den Jobcentern schon heute für die Umsetzung dieser Reform. Wir wissen, dass das eine Herausforderung darstellt,
(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Lesen Sie doch mal den Brandbrief!)
aber wir bekommen viel Zustimmung für diese Reform aus der Praxis.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Und weil hier schon wieder der Brandbrief beschrien wird: Ich habe den Brandbrief gelesen. Der Vorsitzende der Personalratsvertreter wohnt in meinem Wahlkreis. Ich bin mit ihm im Austausch, und ich lese seine Nachrichten auf Twitter.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Wow! Tolle Antwort!)
Ich kann Ihnen sagen, dass wir das Inkrafttreten der einzelnen Punkte des Gesetzes genau so regeln, wie die Personalräte der Jobcenter das verlangt haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wir haben uns im Übrigen entschieden, diese große Reform des Bürgergeldes auf zwei Gesetze aufzuteilen, um die Jobcenter nicht zu überfordern. Wir werden mit einem zweiten Paket den Zuverdienst umfassend regeln, den sozialen Arbeitsmarkt und auch andere Instrumente weiterentwickeln.
Jetzt geht es aber um das erste Paket. Die Ampel hat umfangreiche Änderungen am Gesetz vorgenommen und ist dabei auch auf Forderungen und Kritikpunkte aus dem Bundesrat eingegangen. Wir stellen zum Beispiel klar, dass die Vertrauenszeit erst zustande kommt, wenn ein Kooperationsplan gemeinsam erarbeitet wurde. Wir sorgen dafür, dass bereits genutzte Karenzzeiten angerechnet werden. Wir sorgen dafür, dass in der Karenzzeit lediglich angemessene Heizkosten übernommen werden und Umzüge in teurere Wohnungen der Genehmigung bedürfen.
Nun hat es der Bundesrat, haben es die Länder in der Hand, sich auch ihrer Verantwortung zu stellen. Es liegt jetzt an Ihnen, ob zum 1. Januar die dringend erforderliche Anhebung der Regelsätze stattfindet.
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Das liegt an Ihnen! Allein an Ihnen!)
Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie diese Verantwortung wahr!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Eine Falschbehauptung nach der anderen! Leute, Leute!)
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Stephan Stracke.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7547803 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 66 |
Tagesordnungspunkt | Bürgergeld-Gesetz |