Stephan StrackeCDU/CSU - Bürgergeld-Gesetz
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte gleich am Anfang meiner Rede sagen: Wir bieten Ihnen, Herr Heil, an, die Hartz‑IV-Sätze in dieser Woche gemeinsam anzuheben; denn die Betroffenen brauchen Sicherheit.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gesamtpaket! Es geht nicht nur um Geld! Es geht um mehr!)
Hier sehen Sie meine ausgestreckte Hand, ausgestreckt von uns als Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich fordere Sie auf: Nehmen Sie diese ausgestreckte Hand an! Zeigen Sie Verantwortung, und sorgen Sie für Sicherheit für diejenigen, die das tatsächlich brauchen und benötigen! Ich habe aber den Eindruck, Sie wollen nicht Sicherheit und Verlässlichkeit bieten, sondern Sie wollen das als Faustpfand für die Durchsetzung Ihres vermurksten Bürgergeld-Gesetzes in diesem Land behalten.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: So ist es!)
Das ist das Gegenteil von Verantwortung, Herr Minister.
(Beifall bei der CDU/CSU – Saskia Esken [SPD]: Haben Sie auch Argumente?)
Wir befürworten eine schnellere Anpassung der Regelsätze an die Teuerungsrate. Gleichwohl bleibt richtig: Arbeit muss sich lohnen.
(Saskia Esken [SPD]: Arbeit lohnt sich!)
Das sagen Sie ja auch selber. Wir wollen, dass sich Arbeit lohnt, dass Arbeit den Unterschied macht.
(Stephanie Aeffner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb haben Sie auch gegen den Mindestlohn gestimmt!)
Wenn man sich aber die Vielzahl an Berechnungen anschaut, dann zeigt sich in gewissen Fallkonstellationen: Nicht die Arbeit macht den Unterschied, sondern die ergänzende Sozialleistung macht den Unterschied, also das Wohngeld oder der Kinderzuschlag. Wenn wir darauf hinweisen, dass hier Handlungsbedarf besteht, dann werden wir von Ihnen beschimpft.
(Kevin Kühnert [SPD]: 10,45 Mindestlohn! Das ist doch lächerlich!)
Wenn wir darauf hinweisen, dass wir das Steuerrecht an dieser Stelle ändern müssen, dann werden wir von Ihnen beschimpft.
(Saskia Esken [SPD]: Sie haben den Mindestlohn abgelehnt!)
Allerdings, Herr Heil, sagt Ihr Kollege auf der Regierungsbank, Bundesfinanzminister Christian Lindner – ich darf aus den Zeitungen der Funke-Mediengruppe vom 29. Oktober zitieren –:
Wenn Sozialleistungen wie der Regelsatz bei der Grundsicherung automatisch an die Inflation angepasst werden, dann müssen auch die arbeitenden Menschen einen automatischen Ausgleich bekommen.
Recht hat er. Aber das ist nichts, was es zu diffamieren gilt.
(Johannes Vogel [FDP]: Aber wir beschließen das ja heute!)
Deswegen bedarf es hier an dieser Stelle einer Änderung.
(Beifall bei der CDU/CSU – Annika Klose [SPD]: Aber die Freibeträge sind doch schon gestiegen!)
Herr Stracke, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage oder ‑bemerkung aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Ja. Gerne.
Vielen Dank. – Warum, Herr Stracke, meinen Sie, haben die Vorsitzenden von CSU und CDU, Herr Söder und Herr Merz, nicht der Versuchung widerstehen können, Unsinn zu erzählen? Es ist Unsinn, zu behaupten, dass sich Arbeit nicht lohnt;
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Was?)
denn Arbeit rechnet sich im Vergleich immer. Es ist Unsinn, Äpfel und Birnen vergleichen zu wollen, indem man so tut, als würde von den Hartz-IV-Beziehenden bzw. Bürgergeldbeziehenden alles, was an sozialen Transfers möglich ist, in Anspruch genommen, und gleichzeitig dem zum Vergleich herangezogenen Niedriglöhner unterstellt, dass er das nicht tut. Das ist Unsinn.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Es ist Unsinn, so zu tun, als gäbe es beim Bürgergeld keine Mitwirkungspflichten. Das Gegenteil ist der Fall, und zwar sowohl in der Vertrauenszeit als auch in der Kooperationszeit.
Warum, meinen Sie, haben Ihre Vorsitzenden darauf gesetzt, Fake News in die Welt zu setzen und den Menschen ein X für ein U vormachen zu wollen? Was ist da los bei Ihnen?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Vielen herzlichen Dank, Herr Kollege. Das gibt mir Gelegenheit, noch mal darauf einzugehen. Machen wir es ganz ohne Streit und nehmen einfach ein Beispiel, das der DGB gerechnet hat;
(Takis Mehmet Ali [SPD]: Das ist nicht einfach zu beantworten, was?)
das entspricht ja auch Ihrer linken Seele etwas mehr. Ein Paar mit zwei Kindern, acht und zwölf Jahre alt, und einem Verdienst, der sich aus 38 Stunden und dem Mindestlohn von 12 Euro ergibt, vergleicht der DGB – Sie können das alles nachlesen, das ist alles ganz transparent auf der DGB-Seite –
(Jens Teutrine [FDP]: Er hat Sie korrigiert! – Stephanie Aeffner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war die Korrektur Ihrer Berechnung!)
mit einem Bürgergeldbezieher. Das verfügbare Einkommen bei dem Bürgergeldbezieher in vergleichbarer Situation liegt bei 2 349 Euro, bei demjenigen, der arbeitet, bei 2 050 Euro.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Ihre Lösung?)
Er hat also 299 Euro weniger in der Tasche als der Hartz-IV-Empfänger. Wenn wir darauf hinweisen, dass es erst durch die ergänzende Sozialleistung, nämlich das Wohngeld, und den Kinderzuschlag in Höhe von 817 Euro – so hat es der DGB berechnet –, zu dem Plus von 518 Euro kommt,
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, das hat er gesagt! Nicht Äpfel mit Birnen vergleichen!)
dann beschimpfen Sie uns. Aber in dem Fall macht eben nicht die Arbeit den Unterschied, sondern die ergänzende Sozialleistung.
(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das ist ja auch der Grund, warum der Bundesarbeitsminister darauf hinweist, dass er das Kindergeld erhöht, den Kinderzuschlag erhöht, den Grundfreibetrag erhöht und vieles mehr. Also, das ist der Unterschied.
Ein Zweites. Sie haben das Thema Sanktionen angesprochen. Auch hier bleiben Sie mit dem Bürgergeldentwurf weit hinter dem zurück, was das Bundesverfassungsgericht zulässt,
(Jens Teutrine [FDP]: Was wollen Sie denn? Was wollen Sie noch an Sanktionen?)
und auch hinter dem, was bislang Praxis der Bundesagentur für Arbeit war. Ich will Ihnen an dieser Stelle ein paar Beispiele nennen. – Sie müssen noch stehen bleiben. Ich beantworte Ihre Frage zu den Sanktionen, Herr Kollege.
Herr Bsirske, würden Sie bitte stehen bleiben? Er beantwortet immer noch Ihre Frage.
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Stehen bleiben und zuhören!)
Im ersten halben Jahr kann man jegliches Vermittlungsangebot, jeglichen Deutschkurs, jeglichen Integrationskurs, jegliche Weiterbildungsmöglichkeit folgenlos abbrechen oder nicht antreten. Das ist Ihre Politik.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)
Hier atmet die Grundsicherung letztendlich den Geist des bedingungslosen Grundeinkommens. Bei Meldeversäumnissen ist es zwar möglich, im ersten halben Jahr zu sanktionieren, aber erst nach dem zweiten Meldeversäumnis. Also, Sie haben einen Freischuss in dem Bereich eingeführt.
Auch bei den Pflichtverletzungen – bleiben Sie auch hier bitte stehen; ich bin immer noch bei den Sanktionen –
(Heiterkeit bei der CDU/CSU)
bleiben Sie mit einer Leistungsminderung von 20 Prozent weit hinter den Möglichkeiten zurück. Zu den Totalverweigerern hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, dass derjenige, der sich beharrlich verweigert, auch total sanktioniert werden müsse bzw. könne. Von dieser Möglichkeit machen Sie keinen Gebrauch. Also, von dem, was das Bundesverfassungsgericht an Möglichkeiten eröffnet, machen Sie wenig Gebrauch, und damit gibt es tatsächlich ein Weniger beim Fordern im Bereich Bürgergeld.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Herr Stracke, auch wenn der Tag heute insgesamt lang wird, habe ich aber noch eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung, und zwar aus der SPD-Fraktion.
Ja, nur zu. Ich freue mich ja.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)
Herr Kollege Stracke, ich würde gerne darauf eingehen, was Sie in den letzten Wochen und auch heute zu der Frage vorgetragen haben, ob sich Arbeit lohnt. Das ist nämlich sehr interessant. Sie räumen ja immerhin ein, dass viele der Berechnungen die ergänzenden oder auch aufstockenden Sozialleistungen missachtet haben und deswegen zu interessanten Ergebnissen gekommen sind, um es mal vorsichtig zu sagen.
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Das ist falsch!)
Meine Frage ist jetzt: Wenn Sie erkannt haben, dass nicht der Arbeitslohn alleine ohne ergänzende Sozialleistungen den Unterschied macht, warum haben Sie sich dann einer Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro verweigert, und warum verweigern Sie sich auch einer Stärkung der Tarifbindung?
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt bin ich gespannt!)
Werte Frau Kollegin, wissen Sie, beim Thema Mindestlohn müssen wir in der Debatte darauf achten, wie wir das richtig machen,
(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
gerade was die Erhöhung des Mindestlohns in diesen Bereichen angeht.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war jetzt ein Burner! – Takis Mehmet Ali [SPD]: Was ist das denn für eine Antwort?)
Aber es ist interessant, dass Sie ausschließlich die Antwort finden, dass wir Arbeiten immer teurer machen müssen, gerade auch in anderen Bereichen.
(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Dadurch gibt es weniger Einstiegschancen.
(Jens Peick [SPD]: Das sagt doch alles!)
Deswegen ist es richtig, dass der Bundesfinanzminister einen anderen Vorschlag unterbreitet, nämlich die Grundfreibeträge entsprechend anzuheben. Wenn wir darauf hinweisen, dass das genau der richtige Ansatzpunkt in diesen Bereichen ist,
(Takis Mehmet Ali [SPD]: Jetzt hören Sie bitte auf! Hören Sie einfach auf!)
statt neue Barrieren entstehen zu lassen, dann werden wir von Ihnen beschimpft. Das zeigt doch, wie heuchlerisch Sie unterwegs sind. Denn auf Ihrer eigenen Regierungsbank kommen Sie zu anderen Lösungen in diesem Bereich, aber wenn wir darauf hinweisen, dass das genau die richtige Lösung ist, dann tun Sie das nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU – Saskia Esken [SPD]: Ich bleibe einfach stehen, bis Sie meine Frage beantwortet haben!)
– Sie können gerne noch stehen bleiben.
Was wird denn jetzt tatsächlich besser durch das Bürgergeld?
(Johannes Vogel [FDP]: Beantworten Sie die Frage? – Saskia Esken [SPD]: Keine Antwort! Danke!)
Diese Frage stellt sich beispielsweise die FDP in einem Informationspapier ihrer Fraktion. Ich frage mich auch, was durch das Bürgergeld eigentlich besser wird. Die Antwort ist aber interessant: Aus der Hängematte wird ein Sprungbrett.
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Diffamierung der Arbeitslosen! Das ist ungeheuerlich!)
Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen: Aus der Hängematte wird ein Sprungbrett.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau so ist es!)
Sie diffamieren das soziale Netz, das wir haben, das ein stabiles ist und diejenigen auffängt, die sich in einer sozialen Notlage befinden,
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Sie diffamieren die Arbeitslosen! Ungeheuerlich!)
als Hängematte, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])
Über 2 Millionen Menschen haben es während unserer Regierungszeit geschafft, sich aus Arbeitslosigkeit herauszuarbeiten und einen festen Platz in der Arbeitsgesellschaft zu erreichen. Über 2 Millionen Menschen haben Hartz IV als Sprungbrett genutzt, um wieder in Arbeit zu kommen. Das ist das Gegenteil von einer Hängematte. Sie diffamieren hier dieses System. Sie diffamieren die Menschen in diesem Bereich, die eine großartige Leistung erbracht haben.
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: So ist es! Peinlich!)
Das ist Respektlosigkeit. Da sieht man mal, welcher Geist hier in diesem Haus bei der Ampel tatsächlich weht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Und es ist im Übrigen auch respektlos gegenüber den Mitarbeitern in den Jobcentern, die mit ihrer Unterstützung tatkräftig dazu beitragen, dass diese Erfolge gelingen.
Jetzt zu dem, wofür Sie sich rühmen, nämlich die Veränderung der Hinzuverdienstregeln und die Verbesserungen dadurch. Sie sagen: Na ja, derjenige, der ein Azubi-Gehalt bekommt, hat jetzt mehr davon als vorher. – Das ist richtig. Aber warum ziehen Sie denn hier die Grenze bei 25 Jahren? Warum ist denn derjenige, der älter ist, der vielleicht eine Familie hat, der sich entscheiden muss, ob er eine Ausbildung beginnt oder beispielsweise einen Aushilfsjob annimmt, davon ausgenommen? Ich wundere mich, dass Sie gerade für diejenigen keine Verbesserungen machen.
(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Den Bonus! Wirklich nichts verstanden!)
Ein Zweites. Sie rühmen sich der Tatsache, dass die Bezieher jetzt 10 Cent mehr von einem verdienten Euro in der Tasche haben. Dazu sagt das Institut der Deutschen Wirtschaft zu Recht: Das ist zu wenig ambitioniert. Das ist kein Anreiz, eine Tätigkeit mit einer Entlohnung über 1 200 Euro aufzunehmen.
(Jens Teutrine [FDP]: Das ist trotzdem 100 Prozent mehr, als Sie gemacht haben!)
Mit dem, was Sie als Sprungbrett definieren, machen Leistungsbezieher tatsächlich keine großen Sprünge. Wir brauchen weniger Aufstiegslyrik, sondern wirkliche Aufstiegsmöglichkeiten für die Menschen. Dafür sorgen Sie mit dem Bürgergeld nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Stephanie Aeffner.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7547804 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 66 |
Tagesordnungspunkt | Bürgergeld-Gesetz |