10.11.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 66 / Tagesordnungspunkt 20

Alexander HoffmannCDU/CSU - Änderung des Europawahlgesetzes

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir gegen Ende der Debatte drei Bemerkungen.

Herr Kollege Hartmann, wir sind uns nicht immer einig, so auch heute nicht bei der Rede. Aber in der Wahlrechtskommission hat Kollege Hartmann einen sehr klugen Satz gesagt. Er sagte nämlich – und das ist die erste Bemerkung –: Das Wahlrecht muss über jeglichen Zweifel erhaben sein. – Gemeint ist damit, dass wir, wenn wir hier über das Wahlrecht diskutieren, immer alles unternehmen müssen, um parteiübergreifend und im Übrigen auch unter Einbindung der Opposition zu einem Ergebnis zu kommen, sodass eben nicht an irgendeiner Stelle der Eindruck entsteht, hier könnten tatsächlich parteipolitische Eigeninteressen eine Rolle gespielt haben.

Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Wir von der Union sind schon besorgt, wenn wir sehen, wie Sie vor allem die zwei Anträge von uns, die der Kollege Heveling vorhin skizziert hat, im Innenausschuss mit einer fadenscheinigen Begründung einfach weggewischt haben. Im Übrigen sind das Anträge, die für die europäischen Wahlen wirklich wichtig gewesen wären, weil wir uns ernsthaft die Frage stellen müssen: Wie bringen wir das Europarecht, dieses ominöse Ding „Brüssel“, näher an den Wähler? Da wären sowohl die Sperrklausel als auch der Direktwahlakt ein taugliches Instrument gewesen. Das wischen Sie weg. Was Sie haben wollen, ist die Altersgrenze 16 Jahre. Die Erklärung ist auch ganz einfach – und da wird es schon schwierig –: Die Ampel ist sich einig, und dann verkündet sie.

Lieber Kollege Hoffmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Alexander Ulrich aus der Fraktion Die Linke?

Nein. Die Kollegin von den Grünen, glaube ich, oder von der SPD hat vorhin so dick aufgetragen, dass ich keine Zwischenfragen zulasse.

(Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Die zweite Bemerkung. Wir brauchen maximale Sachlichkeit in diesen Debatten. Entschuldigung, schauen Sie sich die Debatte heute doch mal an. Ich hätte es mir leicht machen – da oben sehe ich viele junge Menschen – und in die Runde rufen können: „Wir trauen euch das zu“, und das Ding wäre gefrühstückt gewesen und hätte Applaus bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Aber, meine Damen, meine Herren, so einfach ist die Fragestellung nicht. Tatsächlich war es doch so, dass keiner Ihrer Redner heute ein ernsthaftes wahlrechtliches, verfassungsrechtliches oder staatsrechtliches Argument gebracht hat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])

Vielmehr ging es darum, Emotionen und Stimmungen zu bedienen. Es ist keiner Ihrer Redner auf die Anhörungen eingegangen,

(Sebastian Hartmann [SPD]: Doch!)

außer der Kollege Hartmann, der offensichtlich in einer völlig anderen Anhörung war;

(Sebastian Hartmann [SPD]: Was?)

denn in der Anhörung haben namhafte Verfassungs- und Staatsrechtler erhebliche Bedenken gegen die Senkung des Wahlalters vorgebracht.

Sie bringen im Übrigen nicht ein tragfähiges Argument zur Kernfrage. Die Kernfrage ist ganz einfach: Warum liegt das Wahlalter aktuell bei 18? Das Wahlalter liegt deshalb bei 18, weil es in unterschiedlichen Bereichen – medizinisch, psychologisch und biologisch fundiert – Studien und Erkenntnisse gibt, dass man davon ausgehen kann, dass ein junger Mensch ab 18 die Konsequenzen seines Handelns überblicken kann.

(Emilia Fester [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)

Deswegen gilt die Geschäftsfähigkeit ab 18. Deswegen können Sie ein Fahrzeug ohne Begleitung mit Führerschein führen, wenn Sie 18 sind. Selbst das Jugendstrafrecht tritt ab 18 in den Hintergrund; allerdings hat der Gesetzgeber noch eine Art Sicherheitszulage bis 21 eingeräumt.

(Sebastian Hartmann [SPD]: Warum darf man den Landtag ab 16 wählen?)

Sie können an keiner Stelle erklären, warum das jetzt ausgerechnet beim Wahlrecht in Europa anders sein soll. – Frau Präsidentin, es gibt eine Zwischenfrage. Die Kollegin drängt es.

Vielen Dank, Herr Hoffmann, dass Sie mich daran erinnern. Lassen Sie denn die Zwischenfrage zu?

Selbstverständlich.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Bei mir hatten Sie Nein gesagt!)

– Ich darf mir das immer noch aussuchen.

Stimmt, die Entscheidung liegt beim Redner. – Dann hat jetzt die Kollegin Eichwede, SPD, das Wort.

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, auch wenn sich mir nicht ganz erschließt, welcher demokratischen Partei Sie eine Zwischenfrage gewähren. Aber ich freue mich, dass Sie meine zulassen.

Sie sagten vorhin, es gebe bisher noch keine juristischen Argumente in dieser Debatte. Ich habe aber sehr deutlich vernommen, dass das juristische Argument angeführt wurde, dass es in einer Demokratie und in einem Rechtsstaat richtig ist, dass man rechtfertigen muss, wenn man etwas verweigert, aber nicht, wenn man etwas zulässt.

Es geht hier um ein Mehr an Demokratie. Es gibt keine Argumente, weshalb wir das Wahlrecht für 16-Jährige nicht zulassen sollten. Deswegen ist es aus rechtsstaatlichen Gründen richtig, das hier und heute zu beschließen. Wir freuen uns auf die Debatten, hoffentlich mit mehr Einsicht Ihrerseits, das auch auf die Wahl des Deutschen Bundestags anzuwenden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich bin für Ihre Frage sehr dankbar. Der Sachverhalt ist in der Anhörung ganz konkret angesprochen worden. Noch mal: Namhafte Verfassungsrechtler, im Übrigen auch Verfassungsrichter, haben genau erklärt, wo der Unterschied besteht. Es ist nämlich nicht so, dass man ein Wahlrecht ab Geburt hat, was dann vorenthalten wird, sondern es wird letztendlich qua Gesetz zugeteilt.

(Zuruf von der SPD: Das wollen wir machen!)

Das ist genau derselbe Grund, warum Jugendliche zum Beispiel keinen Handyvertrag abschließen dürfen. Das wäre auch Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit, und trotzdem kann es der Gesetzgeber beschränken. Sie können letztendlich nicht erklären – und das ist doch das Problem –, warum Sie hier einerseits behaupten: „Wir trauen jungen Menschen zu, zu wählen“, und andererseits sagen: Wir trauen ihnen nicht zu, einen Handyvertrag abzuschließen.

Vorhin kam das Argument: 53 Prozent der jungen Menschen engagieren sich öffentlich, auch in Debatten. Das ist ja richtig – das bestreitet niemand von uns –, aber Sie würden doch nie gelten lassen, wenn ich argumentiere: Ungefähr 100 Prozent aller jungen Menschen mit 16 haben ein Handy, und deswegen müssen wir jetzt plötzlich das Recht ändern und den Menschen die Möglichkeit einräumen, einen Handyvertrag abzuschließen. – Solange Sie diese Inkongruenz nicht erklären können, gibt es in Ihrer Argumentation einen massiven Widerspruch. Das müssen Sie einfach gelten lassen. – Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zu meiner dritten Bemerkung kommen. Heute ist wieder der Satz „Mehr Demokratie wagen“ angeklungen. Tatsächlich geht es aber um eine Rollenverteilung, mit der hier gespielt wird. Sie sagen: „Wir sind die guten Demokraten, weil wir alles tun, damit jeder wählen kann“, und die Union ist böse. Es gab Redner, die sich während ihrer ganzen Redezeit an der Union abgearbeitet haben. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wer dieses Guter-Demokrat-Sein daran festmacht, der muss sich natürlich schon fragen lassen: Wie ist das eigentlich mit der Aufarbeitung des Wahldebakels in Berlin?

(Sebastian Hartmann [SPD]: Nicht alles in einer Rede!)

Sie erklären immer, dass das Wahlrecht des Einzelnen das vornehmste Recht in einer Demokratie ist. Die Durchführung der Wahl war allerdings – Entschuldigung – ein Saustall. Aber noch viel liederlicher und peinlicher ist die Aufarbeitung der Fehler bei der Wahl. Darüber wird diskutiert, und man muss ehrlicherweise sagen, dass Sie dieses höchste Recht des Wählers mit Füßen treten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD)

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Der Berliner Verfassungsgerichtshof möchte eine Wiederholung in allen Stimmbezirken, der Landeswahlleiter in 50 Prozent; das sind immer noch über 2 000 Stimmbezirke.

Lieber Kollege Hoffmann, in Anbetracht der Zeit: Bitte zum Schluss kommen!

Die Ampel will eine Wiederholung der Wahl in gerade einmal 431 Stimmbezirken. Deswegen glaube ich nicht, dass wir hier Nachhilfestunden in Sachen Demokratie brauchen.

(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das glaube ich schon!)

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Der letzte Redner in der Debatte ist Dr. Till Steffen, Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7547989
Wahlperiode 20
Sitzung 66
Tagesordnungspunkt Änderung des Europawahlgesetzes
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