10.11.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 66 / Tagesordnungspunkt 24

Gunther KrichbaumCDU/CSU - Maßnahmen zum EU-Haushaltsschutz vor Rechtsstaatsverstößen in Ungarn

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erste Anmerkung: Wenn wir heute hier nur über Ungarn sprechen würden, dann wäre das nur sehr vordergründig. Ich glaube, es gilt hervorzuheben, dass wir für diesen Rechtsstaatsmechanismus, diesen Konditionalitätsmechanismus, den wir jetzt haben – die Begrifflichkeit ist etwas sperrig –, lange gekämpft haben, auch als Europaausschuss. Warum? Weil wir sonst immer nur das sogenannte Artikel-7-Verfahren hatten – das den Kundigen hier natürlich etwas sagt –, das heißt ein Verfahren, das auf den Stimmrechtsentzug abstellte. Das ist ein sehr scharfes Schwert, eine Sanktionsmöglichkeit, für die die Hürden sehr, sehr hoch waren, und deswegen war es kaum tauglich. Ich weiß, dass genau dieser Konditionalitätsmechanismus am Anfang von vielen abgelehnt und belächelt wurde. Warum? Weil man sagte: Na ja, das ist ja kein scharfes Schwert. – Doch, es ist ein scharfes Schwert, aber es ist geknüpft an negative Auswirkungen auf den EU-Haushalt. Deswegen: Wir haben ihn jetzt, und damit ist der Instrumentenkasten voller geworden.

Zweite Anmerkung: Es ist eine Stellungnahme, die wir als Deutscher Bundestag insgesamt abgeben, und das ist gut, weil damit dem Regierungshandeln Leitplanken gesetzt werden. Damit liefern wir einen weiteren Beitrag dazu, dass die Europapolitik stärker parlamentarisiert wird. Ich hätte mir schon in der Vergangenheit durchaus gewünscht, dass wir als Deutscher Bundestag mehr Stellungnahmen beschlossen und abgesendet hätten. Es ist gut, dass wir das jetzt gemeinsam als Deutscher Bundestag tun.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Johannes Schraps [SPD])

Dritte Anmerkung: Zum Antrag selbst: Was das formelle Verfahren angeht, darf ich für die Unionsfraktion anmerken, dass wir sehr gerne früher eingebunden worden wären; gerade einmal 48 Stunden vor der Ausschusssitzung ist doch etwas knapp. Und wenn dann die Botschaft kommt: „Na ja, ihr könnt den Antrag zur Kenntnis nehmen, ihr könnt natürlich mitmachen und auch darüber abstimmen, aber Änderungen daran könnt ihr nicht vornehmen“, dann wird das dem Anspruch an gemeinsame Anträge nicht gerecht. Deswegen kann ich an dieser Stelle sagen, dass wir uns bei diesem Antrag enthalten werden, gleichwohl wir die Stoßrichtung als solche gutheißen; das hat gestern Kollege Seif im Europaausschuss ausdrücklich dargestellt.

Allerdings gibt es inhaltlich das eine oder andere, was wir anders gemacht hätten:

Ungarn hat selbst gesagt, dass es 17 Maßnahmen auf den Weg bringen wird. Dafür hat Ungarn bis Mitte Dezember Zeit; die Frist ist also noch gar nicht abgelaufen. Das heißt, für eine Vorverurteilung ist es einfach zu früh, und wir sollten der Kommission das Zutrauen entgegenbringen, dass sie als die Hüterin der Verträge das dann auch richtig einzuordnen und zu beurteilen weiß.

Ein weiterer Punkt, auf den Kollege Seif gestern im Europaausschuss hingewiesen hat: Bei dem Antrag, den Sie als Ampelkoalition vorlegen, gilt das Guillotineprinzip: Alles oder nichts! – Was ist denn in dem Fall, dass nur ein Teil dieser Maßnahmen umgesetzt wird und ein anderer Teil nicht? Dann lässt Ihre Vorgehensweise kein flexibles Handeln zu. Das scheint aber wichtig.

In der Summe – und da bleibe ich beim wahrsten Wortsinn – steht hier viel im Feuer; denn es geht um 7,5 Milliarden Euro. In der jetzigen Zeit gehen dem einen oder anderen hier solche Beträge sehr leicht über die Lippen. Wenn wir das in Relation zur Bevölkerungsgröße setzen, dann entspräche das für uns einer Summe von 60 Milliarden Euro. 7,5 Milliarden Euro sind für Ungarn also schon eine starke Ansage.

Ich möchte eines hervorheben: Es geht hier nicht um eine Ungarn-Debatte. Die Maßstäbe, die wir in der Rechtsstaatlichkeitskonditionalität anlegen, gelten für alle Staaten in Europa, und wir erwarten und müssen auch von allen Staaten in Europa erwarten, dass sie sich an diese Prinzipien halten, die doch unser Fundament sind und die wir gemeinsam vereinbart haben; sonst trägt das europäische Haus nicht. Darauf müssen wir immer wieder hinwirken.

Ich wollte das auch deswegen noch einmal sagen, weil wir gerade auch in Ungarn nicht nur Rechtssicherheit oder Rechtsstaatlichkeitsprinzipien, sondern auch Investitionssicherheit einfordern müssen. Ich darf in diesem Zusammenhang an den Investor AviAlliance erinnern. Das ist ein deutscher Investor, der den Budapester Flughafen betreibt. Die dortige Regierung setzt alles daran, diesen herauszudrängen. Baugenehmigungen, die erteilt wurden, beispielsweise für ein Parkhaus, wurden wieder zurückgenommen. Der Schaden liegt bei über 12 Millionen Euro, auf dem der Investor sitzen bleibt. Das heißt, das sind schon ziemlich abenteuerliche Vorgänge, über die wir reden und die wir auch nicht kommentarlos stehen lassen möchten.

Ich hätte dem ungarischen Botschafter, Herrn Peter Györkös, der heute auf der Tribüne anwesend ist, eine schönere Geburtstagsrede gewünscht; er feiert heute seinen Geburtstag, jedenfalls noch 25 Minuten. Es bleibt für alle eine Herausforderung, mit einem Beitrag und guten Nachrichten dafür zu sorgen, dass wir in Zukunft hoffentlich auch andere Reden hier in diesem Hause halten können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7548028
Wahlperiode 20
Sitzung 66
Tagesordnungspunkt Maßnahmen zum EU-Haushaltsschutz vor Rechtsstaatsverstößen in Ungarn
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