Nina ScheerSPD - Änderung des Atomgesetzes
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da gerade noch mal auf die koalitionäre Geschlossenheit angespielt wurde: Frau Klöckner, ich möchte Sie daran erinnern, was wir bei der letzten Runde 2010 und auch im Vorfeld hier erleben mussten,
(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das ist zwölf Jahre her! Guckt mal nach vorne!)
als Schwarz-Gelb damals um alles in der Welt Laufzeitverlängerungen beschließen wollte und ein ganzes Jahr gebraucht hat, um über Prognos errechnen zu lassen, dass dies nötig wäre – ich betone: wäre.
(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Was die FDP heute alles ertragen muss!)
Damals hatten Sie auch intern einen großen Konflikt. Der damalige baden-württembergische Ministerpräsident, Herr Mappus, hatte den damaligen CDU-Umweltminister öffentlich zum Rücktritt aufgefordert,
(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Genau! Immer Vergangenheit!)
weil es ihm nicht gereicht hatte, dass Herr Röttgen eine Laufzeitverlängerung von nur vier Jahren wollte. Bei ihm hörte man sehr deutlich raus, dass auch diese vier Jahre ein Zugeständnis waren und er nicht die Notwendigkeit von Laufzeitverlängerungen sah. Immer und immer wieder wurde aus Ihren Reihen betont, man brauche diese aus Versorgungssicherheitsgründen, weil die Strommengen nicht reichten. Und dafür brauchte man dann ebendiese Studie. Ein Treppenwitz war dann auch noch, dass die beteiligten Minister nebeneinander standen und diese Prognos-Studie in die Kamera hielten und Herr Röttgen offenkundig ein anderes Exemplar hatte. Aber Scherz beiseite! Das ist das, was 2010 zu den Laufzeitverlängerungen geführt hatte.
Bekanntermaßen kam es dann im März 2011 zu der Katastrophe in Fukushima – und nichts war gewesen. Man hat sich für den Ausstieg, für die Rückabwicklung entschieden, und mit keiner Silbe mehr war erwähnenswert, was zu der Entscheidung für diese rückwärtsgewandten Laufzeitverlängerungen geführt hatte. Es gab diese Stromlücke nicht, die Sie herbeireden wollen; es gab sie einfach nicht.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])
Jetzt sind wir zwölf Jahre weiter. Wir haben massive Investitionen in erneuerbare Energien getätigt, leider auf Ihre Intervention hin sehr viel langsamer, als das nach dem Wunsch der SPD hätte erfolgen müssen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Im Jahr 2010 gab es Investitionen in Höhe von ungefähr 30 Milliarden Euro in erneuerbare Energien. Der absolute Tiefpunkt war dann im Jahr 2019 erreicht. Jetzt haben sich die Zahlen wieder etwas erholt. Aber Sie müssen endlich mal eingestehen, dass das, was Sie mit der Atomenergie öffentlich und auch in der Erwartungshaltung verknüpfen, die Sie den Menschen unterjubeln wollen, bedeutet: Wir werden die Energiewende verlangsamen. Das ist die eigentliche Botschaft, die Sie mit Ihrem Gerede über Laufzeitverlängerungen die ganze Zeit über in die Welt setzen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es ist nachgewiesenermaßen so, dass in dem Moment, wo Strom aus Atomenergie im Netz ist, erneuerbare Energien verdrängt werden.
(Beifall der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Steffen Bilger [CDU/CSU]: Versorgungssicherheit!)
Genau das war ja auch ein Grund, warum wir den Streckbetrieb sehr kritisch gesehen haben. Es ist de facto so, dass in dem Moment, wo Strom aus Atomenergie im Netz ist, erneuerbare Energien keinen Platz haben, wenn es zu Netzengpässen kommt. Und das ist leider immer wieder der Fall. Es ist gerade wieder errechnet worden, dass Laufzeitverlängerungen in Europa über das hinaus, was das europäische Regelwerk bisher vorsieht, bedeuten würden, dass 12 Prozent mehr Strom aus erneuerbaren Energien aus dem Netz gedrängt würden.
(Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Das alles ignorieren Sie, wenn Sie weiterhin auf die Laufzeitverlängerung setzen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Natürlich ist es so, dass all die Gründe, die schon immer gegen Atomenergie gesprochen haben, nach wie vor Bestand haben. Auch das wird von Ihnen permanent unter den Teppich gekehrt; das ist schon von einigen meiner Vorredner erwähnt worden. Alle hatten diese Argumente im Gepäck; sie sind auch einfach nicht aus der Welt zu schaffen. Es gibt in der ganzen Welt kein einziges AKW – die deutschen eingeschlossen –, das kriegs- und krisensicher gebaut worden ist. Auch das ist ein Umstand, der von Ihnen einfach verschwiegen wird.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Frau Dr. Scheer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. – Es gibt periodische Sicherheitsüberprüfungen, die vorzunehmen sind. Von Ihnen wird einfach verschwiegen, dass natürlich die Gesellschaft die Haftung übernimmt, wenn diese nicht von den Betreibern übernommen wird. Das gesamte Modell der Atomenergienutzung fußt darauf, dass die Gesellschaft das Ausfallrisiko der Atomenergienutzung trägt, und zwar schon die ganze Zeit über. Es gibt eine Betreiberhaftung statt einer AKW-bezogenen Haftung. Es gibt eine Haftungsgrenze im Atomgesetz. All dies ist das Ergebnis politischer Entscheidungen, die getroffen wurden, um überhaupt eine Nutzung zu ermöglichen, die sich kostenseitig und wirtschaftlich irgendwie abbilden lässt. Aber es ist eben irgendwann auch an der Zeit, zu sagen: Diese – auch versteckte – Dauersubventionierung, die einem weiteren Ausbau erneuerbarer Energien im Wege steht, muss endlich aufhören.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich möchte daran erinnern, was wir in den letzten Wochen hier entschieden haben, worauf der Fokus, wenn es um Energiesicherheit geht, intensiver gelenkt werden muss, nämlich auf den verstärkten Ausbau erneuerbarer Energien. Wir haben Ende September mit der dritten Novelle zum Energiesicherungsgesetz noch einmal einen Erneuerbare-Energien-Booster beschlossen. Alleine die Maßnahmen, die wir zur Ausweitung der Nutzung bereits bestehender, installierter Anlagen beschlossen haben, und die Erleichterungen bei der Auslastung sorgen für mehr Stromerzeugung, als jetzt im Streckbetrieb ermöglicht wird. Das wird leicht unter den Teppich gekehrt.
Meine Redezeit ist leider um. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, hat das Wort zu einer Kurzintervention Rainer Kraft aus der AfD-Fraktion.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7548102 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 67 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Atomgesetzes |