11.11.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 67 / Tagesordnungspunkt 32

Jakob BlankenburgSPD - Änderung des Atomgesetzes

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in dieser Woche sehr intensiv über das Für und Wider der Verlängerung der AKW-Laufzeiten gesprochen, und zwar nicht nur hier im Plenum, sondern auch im Petitionsausschuss, im Rahmen einer öffentlichen Anhörung mit zahlreichen Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft und im Umweltausschuss.

Nach diesen vielfältigen Beratungen stehen wir heute hier, um zu entscheiden, wie lange die drei noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 weiterbetrieben werden – entweder, wie von der Unionsfraktion vorgeschlagen, mindestens zwei Jahre länger, also bis Ende 2024, mit einem Hintertürchen für weitere Laufzeitverlängerungen – wenn Sie ehrlich wären, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, dann würden Sie sagen, dass es das ist, was Sie eigentlich wollen, dieses Hintertürchen –, oder, wie von der Regierungskoalition vorgeschlagen, für dreieinhalb Monate bis zum 15. April des nächsten Jahres.

Meine Meinung dazu ist klar: Wir schaffen mit dem AKW-Streckbetrieb, über den wir heute hier reden, bis zum 15. April ein weiteres Sicherheitsnetz für die Energieversorgung, auch wenn wir eigentlich davon ausgehen, dass wir es nicht brauchen werden.

Aber mit dieser Entscheidung zum temporären Weiterbetrieb übernimmt die Regierungskoalition Verantwortung in schwierigen Zeiten, in denen Energiesorgen Bürgerinnen und Bürger genauso umtreiben wie die zahlreichen kleinen und großen Betriebe in diesem Land. Zu Recht haben wir uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Denn es ging um eine sehr grundsätzliche Abwägung zwischen den Aspekten „Sicherheit“, „Gesundheitsschutz“, „Versorgungssicherheit“ und „Bezahlbarkeit von Energie“.

Die Aufgabe einer verantwortungsvollen Regierung ist es, all diese Aspekte miteinander in Einklang zu bringen, und das ist uns gelungen. Wir halten am Atomausstieg fest, wie wir es auch 2021 im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Wir kaufen keine neuen Brennstäbe. Wir nutzen vorhandene Ressourcen zur Energieerzeugung komplett aus. Konkret holen wir noch das letzte bisschen Energie aus den in den AKWs eingesetzten Brennstäben heraus.

(Beifall bei der SPD)

Und wir behalten mit dem zeitlich sehr begrenzten AKW-Streckbetrieb die Sicherheitsrisiken und Entsorgungsfragen der Nutzung der Atomkraft im Blick. Wir gehen als Koalition eben nicht nach dem Prinzip „Wo gehobelt wird, da fallen Späne“ vor, wie das während der Expertinnen- und Expertenanhörung von einem Sachverständigen der Union als gangbarer Weg betrachtet wurde. Für uns ist ganz klar: Die Nutzung der Atomkraft ist und bleibt riskant.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als Regierungskoalition übernehmen wir außerdem Verantwortung beim Thema Energiepreise. Der strompreisdämpfende Effekt des AKW-Streckbetriebs ist das Lieblingsargument der Unionsfraktion für ihren Gesetzentwurf; aber es ist fraglich, ob der AKW-Weiterbetrieb überhaupt zu spürbaren Effekten beim Strompreis führt. Das hat auch die öffentliche Anhörung am Mittwoch noch mal ergeben. Vielleicht hätten da einige Kolleginnen und Kollegen aus der Unionsfraktion besser aufpassen sollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Carsten Träger [SPD]: Oder wenigstens anwesend sein!)

– Oder anwesend sein, auch ein guter Tipp.

Die Aussagen der Wissenschaft über die absenkende Wirkung des AKW-Weiterbetriebs auf den Strompreis unterscheiden sich stark und werden vor dem Hintergrund unterschiedlicher Annahmen getroffen. Aber was sie vereint: Sie ist nicht groß genug, um für wirkliche Entlastungen bei Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen beim Strompreis zu sorgen.

Das Preisargument ist also ein vorgeschobenes Argument, um das zu fordern, was Sie schon vor dem abscheulichen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und der daraufhin folgenden Energiekrise gefordert haben: den mehrjährigen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke.

Was wir mit Blick auf bezahlbare Energie wirklich brauchen, sind grundlegende Veränderungen auf der systemischen Ebene. Genau diese systemische Ebene gehen wir jetzt an. Um bei Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen auch für kurzfristige Entlastung zu sorgen, bringen wir schon jetzt konkrete Instrumente auf den Weg: Die Strom- und Gaspreisbremsen werden kommen, und es wird gezielte Entlastungszahlungen geben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht uns als Regierungskoalition also darum, dass genug Energie zur Verfügung steht, und auch darum, dass sie bezahlbar bleibt. Beides werden wir auch nach dem 15. April 2023 sicherstellen, wenn das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet ist. Das ist es, was es braucht, nicht ein Weiterköcheln der Diskussion über den Atomausstieg in den Wintermonaten. Entscheidungen wieder aufzuschnüren, bringt uns energiepolitisch nicht weiter. Nur der beschleunigte Ausbau erneuerbarer Energien hilft uns nachhaltig bei der Überwindung der Energiekrise.

Frau Präsidentin, letzter Satz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns hier und heute nach gründlicher Abwägung eine Entscheidung über einen befristeten Streckbetrieb der Atomkraftwerke treffen und uns dann wieder anderen, dringenderen Fragen zuwenden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Fabian Gramling.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7548112
Wahlperiode 20
Sitzung 67
Tagesordnungspunkt Änderung des Atomgesetzes
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