22.11.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 68 / Einzelplan 08

Mathias MiddelbergCDU/CSU - Finanzen, Bundesrechnungshof

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ihr Haushalt 2023 verdient – leider, möchte man sagen – deutliche Kritik, vor allem deshalb, weil er nicht ehrlich ist. Sie geben vor, dass Sie im kommenden Jahr 2023 die Schuldenbremse des Grundgesetzes einhalten. Tatsächlich haben Sie, Herr Minister Lindner, seit Amtsantritt eigentlich alle denkbaren Methoden ausgeschöpft, um diese Schuldenbremse des Grundgesetzes zu umgehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist doch Quatsch!)

Die Einhaltung der Schuldenbremse 2023 betonen, beschwören Sie fast immer wieder, genauso wie die Aussage, keine Steuern zu erhöhen. Das ist das Credo der FDP in dieser Ampel. Tatsächlich machen Sie das Gegenteil. Sie machen Schulden wie kein Finanzminister vor Ihnen,

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Robert Farle [fraktionslos])

und – die Aussage kann man Ihnen nicht ersparen – Sie sind Rekordschuldenmacher. Präziser müsste man sagen: Sie sind Rekordschuldenbevorrater. Der Haushalt im nächsten Jahr, 2023, wird zwar formal ausgeglichen sein, aber nur deshalb, weil Sie sich aus dem Jahr 2021 und in diesem Jahr, 2022, so viel an Schulden auf Vorrat zusammengesammelt haben,

(Peter Boehringer [AfD]: Was die Union ermöglicht hat!)

dass Sie dann hoffen können, dass Sie in den nächsten beiden Jahren damit unter Einhaltung der Schuldenbremse durchkommen.

Sie haben per Nachtrag 60 Milliarden Euro Kreditermächtigungen aus 2021 gebunkert, 100 Milliarden Euro für das Sondervermögen und 200 Milliarden Euro für Ihren Doppel-Wumms; Sie nennen das jetzt „Abwehrschirm“. 140 Milliarden Euro machen Sie an neuen Schulden allein im laufenden Jahr. Das sind zusammen insgesamt 500 Milliarden Euro in einem Jahr. Das ist die höchste Neuverschuldung, die es in dieser Republik je gab.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Albrecht Glaser [AfD] und Robert Farle [fraktionslos])

1 500 Milliarden Euro betrug die Gesamtverschuldung des Bundes am Ende des vergangenen Jahres. Sie steigern diese jetzt um ein volles Drittel, um 500 Milliarden auf 2 000 Milliarden Euro. Das ist wirklich Rekord.

Dramatisch – und das möchte ich besonders hervorheben – ist diese Operation mit dem Doppel-Wumms, die 200 Milliarden für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Sie buchen dieses ganze Geld auf dieses Jahr 2022. Ausgeben wollen Sie die Gelder – und das sagen Sie auch ausdrücklich – aber erst in den Jahren 2023 und 2024 für die Gaspreisbremse und anderes. Jeder, der irgendwie klar denken kann, fragt sich: Wenn die das Geld erst im nächsten und im übernächsten Jahr brauchen, warum nehmen sie die Kredite dann nicht erst im nächsten und im übernächsten Jahr auf?

(Otto Fricke [FDP]: Wir nehmen sie doch gar nicht auf! Warum erzählen Sie denn so was?)

– Ja, über Ihre Feinmechanik können wir nachher noch mal reden, Herr Fricke.

(Lachen bei Abgeordneten der FDP – Zurufe der Abg. Otto Fricke [FDP] und Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Nein, Sie haben die Buchungsmechanik im Haushaltsrecht geändert,

(Peter Boehringer [AfD]: Das haben Sie gemacht!)

und genau das führt dazu, dass Sie die Schuldenbremse umgehen können. Genau diesen Mechanismus haben Sie geschaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!)

Sie buchen alle diese Gelder auf das Jahr 2022. Kein vernünftiger Mensch würde das so tun. Jeder nimmt die Kredite dann auf, wenn er sie braucht, und bringt sie dann durch den Bundestag, sodass wir die Milliarden hier im Einzelnen überprüfen können.

(Kay Gottschalk [AfD]: Das ist doch unsere Blaupause!)

So. Sie machen diese ganze Operation nur, um pseudomäßig sagen zu können, dass Sie im nächsten Jahr die Schuldenbremse einhalten. Der Bundesrechnungshof hat es sehr klar und deutlich benannt. Er sagt: Diese „Kreditermächtigung für den WSF“, also den Wirtschaftsstabilisierungsfonds, „kollidiert … mit dem Verfassungsgrundsatz der Jährlichkeit.“ „ Eine schuldenregelkonforme Kreditaufnahme“ darf nur „jahresbezogen“ erfolgen;

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sondervermögen mit eigenen Kreditermächtigungen bergen sonst die Gefahr des Missbrauchs in sich …

Eine nicht verfassungskonforme Kreditaufnahme „morgen“

– und genau darum geht es hier –

könnte so durch eine bereits auf Vorrat erfolgte Schuldenaufnahme „heute“ umgangen werden.

Genau das

– sagt der Bundesrechnungshof –

soll mit der Kreditaufnahme „auf Vorrat“ durch den WSF jetzt geschehen.

Präziser und klarer kann man nicht erläutern, wie Sie die Verfassung hier umgehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Ihr grüner Amtskollege in Baden-Württemberg, Herr Bayaz, hat es sogar auf die ganz einfache Formel gebracht:

Der Bundesfinanzminister will die Schuldenbremse auf dem Papier einhalten und hat dafür einen Sondertopf aufgefüllt. Diesen Trick können die Länder nicht anwenden.

Das kann man auch nicht klarer und deutlicher sagen.

Herr Lindner, die Aussage kann ich Ihnen nicht ersparen: Sie sind der Schuldenbremsenumgehungsminister und – ich wiederhole es noch mal – der Rekordschuldenbevorrater.

Ihr Haushalt 2023 verdient aber auch deshalb Kritik, weil Sie keine Vorsorge für die Zukunft treffen. Sie reagieren in Ihrem eigentlichen Haushalt gar nicht auf die Zeitenwende; vielmehr wird alles, was irgendwie mit Zeitenwende zu tun hat, in Sondertöpfen, Sondervermögen und sonst wo geparkt. Ein wirkliches Umstrukturieren, eine Neupriorisierung von Aufgaben findet nicht statt.

Am Verteidigungshaushalt kann man das exemplarisch sehen. Der laufende Haushalt müsste eigentlich anwachsen, um das 2‑Prozent-Ziel zu erreichen, auch um das umzusetzen, was wir mit Ihnen gemeinsam im Bundeswehrfinanzierungs- und sondervermögensgesetz beschlossen haben, nämlich dass wir Vorsorge treffen dafür, wenn das Sondervermögen ausgelaufen ist. All das tun Sie nicht. Sie frieren den Haushalt perspektivisch bei 50 Milliarden Euro ein, und wir werden im Zweifel in einem Riesensprung in mehreren Jahren den Haushalt wieder auffüllen müssen, um dann das 2‑Prozent-Ziel einzuhalten und das Erfüllen der NATO-Fähigkeitziele sicherzustellen.

Thema Alterssicherung. Die SPD und insbesondere der Bundeskanzler haben damit im Wahlkampf Werbung gemacht, und zwar ganz heftig. Der Bundeskanzler hat sich als Kanzler für sichere Renten plakatiert. Bisher haben Sie im Bereich der Alterssicherung nichts geleistet. Die FDP kommt jetzt mit einem eigentlich guten Vorschlag, nämlich der Aktienrente.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! – Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Ein ganz schlechter Vorschlag!)

Wenn man sich aber ansieht, was von diesem Ansatz jetzt übrig geblieben ist, dann wird einem ganz anders.

(Christian Dürr [FDP]: Den haben Sie zu Regierungszeiten immer abgelehnt! Sie wollten das nicht! Das ging erst mit SPD und Grünen!)

Der Kapitalstock soll nicht den Versicherten, sondern der Rentenversicherung zur Verfügung stehen. Die 10 Milliarden Euro sind ein marginaler Betrag; sie werden auch nicht aus Kapital dargestellt, sondern aus Schulden. Das heißt, die Zinsen dafür werden die Rendite weitgehend auffressen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Bürokratieabbau haben Sie uns versprochen, und den betonen Sie auch immer wieder als „Fortschrittskoalition“. Sie haben sogar eine pauschale Stelleneinsparung im Haushalt beschlossen. Diese erweckt allerdings nur den Eindruck von Einsparung – das betont auch hier der Rechnungshof zu Recht –; denn Sie streichen nur Stellen, die ohnehin nicht besetzt sind.

(Otto Fricke [FDP]: Hä? – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! Sie waren nicht einmal im Haushaltsausschuss, Herr Middelberg!)

In Wirklichkeit stocken Sie beim Personal reichlich auf. Das können Sie hier auf der Regierungsbank besichtigen: Sie haben eine Rekordzahl an Parlamentarischen Staatssekretären mit 37; Sie haben 42 Regierungsbeauftragte. Wir müssten ja eigentlich demnächst anbauen, damit Ihre Regierung überhaupt noch Platz findet.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Wollen sie ja!)

Und Sie haben eine Rekordzahl an Spitzenbeamten eingestellt. Das hat mit Verantwortlichkeit und mit Bürokratieabbau gar nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Albrecht Glaser [AfD])

Sie beschreiben sich immer wieder als „Fortschrittskoalition“, die nachhaltig agieren würde. Tatsächlich – und das kann man leider an diesem Haushalt sehen – belasten Sie die jüngere Generation mit immer mehr Schulden und damit auch mit immer mehr Zinsen. Das wird die Handlungsspielräume, gerade der Jüngeren, in Zukunft dramatisch eingrenzen, auch für ein wichtiges Thema wie etwa Klimapolitik.

(Christian Dürr [FDP]: Das war Ihre Haushaltspolitik! Das verwechseln Sie jetzt! Das waren die 600 Milliarden Euro!)

Ihr Haushalt ist deshalb eines ganz sicher nicht: Er ist nicht ehrlich, und er ist auch nicht nachhaltig.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Robert Farle [fraktionslos])

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Christoph Meyer.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Personen

Dokumente

Automatisch erkannte Entitäten beta

Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7548239
Wahlperiode 20
Sitzung 68
Tagesordnungspunkt Finanzen, Bundesrechnungshof
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta