Friedrich MerzCDU/CSU - Bundeskanzleramt und Unabhängiger Kontrollrat
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am morgigen Tag dauert der Krieg in der Ukraine nun schon neun lange Monate. Wir alle begleiten dieses Land, seine Menschen und vor allem die Soldaten des Landes mit großer Anteilnahme und Sympathie, ja, mit großer Bewunderung dafür, wie sie diesem brutalen russischen Angriffskrieg immer noch standhalten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])
Wir haben hier im Haus über diesen Krieg sehr oft gesprochen. Wir waren uns in der Bewertung dieses Krieges als eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges sehr weitgehend einig. Und ich hoffe, wir verurteilen heute gemeinsam auf das Schärfste die Ausweitung dieses Krieges in den letzten Tagen, der sich nun fast ausschließlich nur noch gegen die Zivilbevölkerung richtet. Das sind Kriegsverbrechen der schlimmsten Art, für die sich Putin und sein Regime irgendwann vor der Weltgemeinschaft verantworten müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
– Aufschlussreich, zu sehen, dass sich auf der ganz linken
(Widerspruch des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE] – Zuruf von der LINKEN: Vorsicht!)
und auf der ganz rechten Seite dieses Hauses keine Hand rührt bei diesem Satz.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist eine glatte Lüge! – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wir müssen Ihnen nicht applaudieren! So gut sind Sie nicht!)
– Bei Ihnen einer, ja.
(Zuruf von der LINKEN: Nein, nein, nein, nein! – Tino Chrupalla [AfD]: Nee! Nonsens! – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Meine Damen und Herren, dieser Krieg
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber, Herr Merz, Sie können mir ja mal erzählen, wie oft Sie bei uns geklatscht haben!)
hat Folgen für ganz Europa und damit auch für unser Land.
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Man sollte Reden nicht vorher schon festmachen! Man muss wenigstens gucken!)
Seit dem Beginn des Krieges
(Gerold Otten [AfD]: Das ist eine Haushaltsrede übrigens! – Gegenruf des Abg. Tino Chrupalla [AfD]: Ja, genau!)
diskutieren wir die Notwendigkeit einer wirkungsvollen Verteidigung unseres Landes
(Gerold Otten [AfD]: …, die Sie 16 Jahre vernachlässigt haben!)
und des NATO-Bündnisses noch einmal ganz neu. Jedenfalls hat sich bei vielen früheren Kritikern und Gegnern von bewaffneten Streitkräften mittlerweile die Einsicht durchgesetzt, dass der Schutz von Frieden und Freiheit, dass der territoriale Schutz eines Landes offenbar doch bewaffnete Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeiten erfordert.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Sie, Herr Bundeskanzler, haben diese Erkenntnis versucht umzusetzen mit Ihrem Vorschlag eines Sondervermögens für die Bundeswehr und der Zusage – ich zitiere wörtlich –, ab sofort „mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts“ unseres Landes in die Verteidigung zu investieren. Wir haben Ihrem Vorschlag einer Grundgesetzänderung zugestimmt und bei dieser Gelegenheit mit Ihnen und Ihrer Regierung eine ganze Reihe von Vereinbarungen getroffen.
So sollte unter anderem ein Parlamentarisches Gremium zum „Sondervermögen Bundeswehr“ eingerichtet werden, in dem laufend über die Beschaffungsvorhaben für die Bundeswehr beraten und berichtet wird. In der bisher einzigen Sitzung dieses Gremiums, die vor wenigen Tagen erst stattgefunden hat, hat sich Ihre Koalition geweigert, den Wirtschaftsplan für die Beschaffungsvorhaben vorzulegen. Die nächste Sitzung ist jetzt geplant für den 23. Februar des nächsten Jahres.
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Peinlich! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)
Meine Damen und Herren, wir wissen aus den Haushaltsberatungen nun auch, warum Sie diese verabredete parlamentarische Zusammenarbeit verweigern. Entgegen Ihrer Zusage steigt der Verteidigungshaushalt nämlich nicht etwa auf die verabredeten 2 Prozent – noch einmal zur Erinnerung: Sie haben gesagt: „mehr als 2 Prozent“ –; er sinkt im nächsten Jahr um fast 300 Millionen Euro. Herr Bundeskanzler, ich kann es nicht anders sagen: Das ist ein grober Wortbruch gegenüber dem Parlament und vor allem gegenüber der Bundeswehr.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Zu dem Sondervermögen, das ja nichts anderes ist als 100 Milliarden Euro neue Schulden, das wir im Frühjahr unter großem Zeitdruck,
(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie sich aber alle für eingesetzt!)
den Sie gesetzt haben, weil angeblich Beschaffungsvorhaben nicht warten dürfen, verabschiedet haben, müssen wir heute feststellen: Es ist bis zum heutigen Tag nicht ein einziger neuer Auftrag erteilt und nicht eine einzige Ausschreibung veröffentlicht worden.
(Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Unglaublich!)
Meine Damen und Herren, ein solcher Umgang mit Ihren eigenen Zusagen, Herr Bundeskanzler, und der Umgang mit unseren Partnern in der NATO und in der Europäischen Union löst zu Recht Befremden und erhebliches Misstrauen aus.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Seit Sommer dieses Jahres sehen wir nun eine erhebliche Verknappung bei der Energieversorgung unseres Landes, und mit dieser Verknappung sind drastische Preiserhöhungen verbunden. Wenn die deutsche Regierung darauf rechtzeitig, konsequent und vor allem mit den richtigen Instrumenten reagiert hätte,
(Zuruf der Abg. Saskia Esken [SPD])
dann wären die Preise immer noch deutlich höher als vor dem Krieg.
(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber dann wäre es nicht zu solchen Preisausschlägen gekommen, wie wir sie seit einigen Monaten sehen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich will das begründen: Einer solchen Energieverknappung begegnet man am besten – –
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gasembargo! Das war ja Ihr Vorschlag! – Zurufe von der SPD: Gasembargo!)
– Also wenn Sie schon marktwirtschaftliche Grundsätze nicht mehr ertragen,
(Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
dann haben Sie offensichtlich ein größeres Problem mit der Bewältigung dieser Krise als bisher von uns angenommen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, das, was wir hier erleben in diesem Jahr, ist wirtschaftlich ein klassischer Angebotsschock,
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Genau! – Christian Dürr [FDP]: Sie schlagen aber Nachfragepolitik vor, Herr Merz!)
und einem solchen Angebotsschock begegnet man am besten und am ehesten mit einer drastischen Ausweitung des Angebotes.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das ist Ihnen sogar in Teilen gelungen. Das ist Ihnen beim Gas zu erheblich überhöhten Preisen gelungen. Die Gasspeicher sind gefüllt. Und für diesen Winter können wir annehmen – immer noch unter der Annahme und der Hoffnung, dass der Winter möglichst nicht zu kalt werden möge –,
(Beatrix von Storch [AfD]: … und der nächste Winter gar nicht erst kommt!)
dass das auch tatsächlich ausreicht. Für den nächsten Winter ist alles offen, sind alle Fragen offen.
Beim Strom, meine Damen und Herren, haben Sie nicht nur die falschen Sachverhalte zugrunde gelegt – Sie haben sich ja ausschließlich auf die sogenannte Netzstabilität konzentriert –, sondern Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, haben mit Ihrem zweifachen Stresstest,
(Zuruf der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
mit dem, was Sie hier an Zahlen vorgelegt haben, auch die deutsche Öffentlichkeit und damit auch dieses Parlament – ich kann es erneut nicht anders sagen – vorsätzlich und bewusst getäuscht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)
Denn wie wir heute wissen, Herr Habeck, standen die gewünschten Ergebnisse in der Leitung Ihres Hauses längst fest, bevor Ihnen die Fachleute das genaue Gegenteil aufgeschrieben haben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)
Zu diesen Fachleuten haben auch Mitglieder der Reaktor-Sicherheitskommission gehört, die ihrem Unmut über den Umgang mit ihnen auch öffentlich sehr klar und deutlich Luft gemacht haben.
Sie, Herr Habeck, und die ganze Bundesregierung haben zu Beginn Ihrer Regierungszeit einen anderen Stil, einen anderen Umgang, ein neues Miteinander von Politik und Fachexpertise zugesagt. Ich muss heute feststellen: Diese Zusagen von Ihnen reichen gerade einmal bis zur Grenze der eigenen Voreingenommenheit, man kann auch sagen, bis zur Grenze Ihrer eigenen Ideologie.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Spätestens dann ist es zu Ende mit Ihrer vielbeschworenen Toleranz, Ihrem Respekt vor anderen Meinungen und Auffassungen und vor allem mit Ihrem Respekt vor Fachexpertise. Da pfeifen Sie drauf, wenn es Ihrer Ideologie nicht entspricht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Schauen wir uns die Liste Ihrer weiteren Zusagen aus dem jetzt langsam zu Ende gehenden Jahr noch einmal wenigstens in Auszügen an:
Sie versprechen eine Energiekostenpauschale und vergessen im ersten Durchgang die Studentinnen und Studenten und die Rentnerinnen und Rentner.
(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war kein Vergessen! Das war Absicht!)
– Doch! Sie haben es schlicht und ergreifend vergessen; nichts anderes war es. Sie haben es vergessen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)
Dann holen Sie diese Zahlungen an die Rentnerinnen und Rentner nach, und Sie können bis zum heutigen Tag die Frage nicht beantworten, ob diese Zahlungen an die Rentner denn steuerpflichtig sind oder nicht. Was ist das denn für eine Gesetzgebung, die Sie hier machen?
(Beifall bei der CDU/CSU)
Dann holen Sie in dieser Woche die Zahlungen an die Studentinnen und Studenten nach und wissen bis zum heutigen Tag nicht, wer dieses Geld denn überhaupt auszahlen soll.
(Christian Dürr [FDP]: 16 Jahre Merkel!)
Keine Antwort auf diese Frage! Was ist das denn für eine Gesetzgebung?
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sie sagen eine Gaspreisbremse zu, und klar ist bis heute allein, dass die Dezembervorauszahlungen vom Bund übernommen werden sollen.
(Katja Mast [SPD]: Sie haben nicht einmal ein Konzept gehabt!)
Alles andere bleibt trotz Ihrer Beschlussfassung vom gestrigen Tag im Unklaren. Die Bevölkerung weiß bis heute nicht, wann sie aus Gaspreisbremse und Strompreisbremse die Leistungen bekommt, die Sie als Regierung versprochen haben.
(Zurufe von der SPD)
Dann wollen Sie dieses Geld für die Strompreisbremse mit den sogenannten Übergewinnen finanzieren, für die die Energieerzeuger in diesem und im nächsten Jahr zahlen sollen. Herr Habeck, Sie sprechen in diesem Zusammenhang nicht von „Steuern“ oder „Abgaben“, sondern Sie sprechen davon, dieses Geld müsse man „abgreifen“. Das ist ein Sprachgebrauch, den wir, bisher jedenfalls, im Steuerrecht so nicht gekannt haben.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)
Wir wissen ja bis zum heutigen Tag nicht, wo Sie sich da eigentlich im Abgabensystem unseres Landes bewegen.
(Zurufe von der SPD)
Ist das eine Steuer? Ist das eine Gebühr? Ist das ein Beitrag? Was ist das eigentlich, was Sie da machen mit diesem „Abgreifen“?
(Beifall bei der CDU/CSU – Saskia Esken [SPD]: Das ist europäisches Recht! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist europäisches Recht!)
Ich sage Ihnen mal voraus: Sie werden mit dieser geplanten Abschöpfung genauso scheitern, wie Sie mit Ihrer Gasumlage gescheitert sind.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)
Nun könnte man das Ganze abhaken, meine Damen und Herren, unter dem Stichwort „handwerklich miserables Regierungshandeln“. Das ist dann eben so, Sie können es vielleicht nicht besser, das ändert sich wahrscheinlich auch nicht. Das Tragische daran ist nur, dass die Lage für Millionen von Haushalten und Menschen in diesem Land von Tag zu Tag schwieriger wird, dass viele Menschen heute am Ende des Monats nicht wissen, wie sie das Ende des Monats erreichen sollen, und dass vielen Unternehmen mittlerweile – –
(Zurufe der Abg. Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Wenn Sie das bestreiten, dann nehmen Sie große Teile dessen, was im Land stattfindet, offensichtlich nicht mehr wahr.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Robert Farle [fraktionslos])
Vielen Unternehmen steht das Wasser bis zum Hals.
Verstehen Sie mich nun bitte nicht falsch.
(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Matthias Miersch [SPD]: Nein! Das geht gar nicht!)
– Sie wissen doch gar nicht, was ich jetzt sagen will. – Auch wenn Sie alles richtig gemacht hätten, wäre die Lage kritisch. Es gibt eben kein Vorbild, keine Blaupause, kein Regiebuch für all das, was eine Regierung jetzt, in einer so schwierigen Lage, tun muss.
Ich komme aber noch einmal zurück auf Ihre Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, vom 27. Februar 2022. Drei Tage nach Kriegsausbruch haben Sie von dieser Stelle aus eine wirklich bemerkenswerte Regierungserklärung abgegeben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Das war der erste richtige Satz!)
Sie haben hier im Haus – bis auf die ganz links und bis auf die ganz rechts – viel Beifall, ja sogar stehenden Beifall von allen Bundestagsfraktionen der Mitte dieses Parlamentes erhalten.
(Zurufe von der SPD)
In diesem Augenblick hat sich für Sie, Herr Bundeskanzler, ein Zeitfenster geöffnet. Sie haben es „Zeitenwende“ genannt.
(Tino Chrupalla [AfD]: Wir haben uns alle „untergehakt“!)
Der Bundespräsident sprach vor einigen Wochen von einem „Epochenbruch“. Aber bleiben wir bei dem Begriff „Zeitenwende“.
(Zuruf von der SPD: Noch einmal wiederholen!)
Mit diesem Wort haben Sie in ganz Deutschland eine große Veränderungsbereitschaft ausgelöst, weil viele Menschen erst in diesem Augenblick Ihrer Rede gespürt haben, wie ernst die Lage nach dem Beginn des Krieges wirklich ist. Mit dieser Autorität ausgestattet, hätten Sie, Herr Bundeskanzler, sagen können – ich meine, Sie hätten es sagen müssen –: Diese Zeitenwende ist nicht nur eine große Herausforderung für uns, sie ist auch eine große Chance, eine Chance, verkrustete Strukturen aufzubrechen, eine Chance, Bürokratie abzubauen, eine Chance, Prioritäten neu zu setzen, liebgewordene Gewohnheiten abzulegen, vorurteilsfrei alle Besitzstände auf den Prüfstand zu stellen.
Neben der Sicherung von Frieden und Freiheit – und das ist die Hauptaufgabe – hätten Sie nur eine entscheidende Frage zu stellen brauchen: Was müssen wir tun, um in Deutschland und in Europa in dieser sich jetzt abzeichnenden neuen Welt, in dieser Welt von morgen eine wettbewerbsfähige Wirtschaft und vor allem produzierende Industrie und damit zukünftige Arbeitsplätze zu erhalten? Diese Frage hätten Sie stellen müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Denn genau darum geht es jetzt und in der näheren Zukunft auch und vor allem: Wie können wir uns in Deutschland und in Europa neben den USA und Asien, vor allem neben China, als ein wettbewerbsfähiger Industriestandort bewähren?
(Zuruf von der FDP: Ihr Vorschlag?)
China ordnet den Fortschritt von Staats wegen an.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das jetzt ein Vorbild für Sie? Oder was will er uns damit sagen?)
Die USA schütten ein Füllhorn an US-Dollars aus – sie nennen das „Inflation Reduction Act“ – und schaffen täglich Tausende von neuen Geschäftsmöglichkeiten. Sie aber diskutieren und streiten immer noch um das Klein-Klein Ihres Koalitionsvertrages. Den hätten Sie, Herr Bundeskanzler, beherzt zur Seite legen müssen, um anschließend in diesem Land um Zustimmung zu werben: für eine drastische Reduzierung unserer Bürokratie, für eine mutige Beseitigung des in unserem Land einzigartigen Unwesens der Verbandsklagen. Und das richtet sich insbesondere an die Grünen: Sie werden die Geister nicht mehr los, die Sie selbst gerufen haben, angesichts all dem, was jetzt an Blockaden und Entscheidungshindernissen aufgebaut wird.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von der FDP)
Sie hätten werben müssen für einen Masterplan Energie, der nun wirklich alle Ressourcen der Energieerzeugung ausschöpft – alle Ressourcen
(Dr. Matthias Miersch [SPD]: 16 Jahre blockiert!)
und nicht nur die, die Sie aus ideologischen Gründen gerne hätten. Ich füge hinzu: auch für die Nutzung eigener Energievorkommen, die wir in Deutschland und in Europa doch nun mal unstreitig haben.
(Christian Dürr [FDP]: Die die CDU-Niedersachsen ablehnt!)
Auch wenn es Sie aufregen wird: ja, auch für die weitere Nutzung der Kernenergie, jedenfalls so lange, bis wir sicher sein können, dass Wind- und Sonnenenergie so gespeichert werden können, dass sie grundlastfähig sind.
(Zurufe der Abg. Saskia Esken [SPD] und Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Bis dahin verbietet sich jeder weitere Ausstieg.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD – Heiterkeit bei Abgeordneten der AfD – Zuruf des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich will ausdrücklich sagen: Nach der erneut – man muss es leider so sagen – gescheiterten 27. Klimakonferenz, die wir in dieser Woche gesehen haben, benötigen wir Forschung und Entwicklung aller erdenklichen Technologien von der CO2-Abscheidung, der CO2-Speicherung, der CO2-Wiederverwertung bis hin zu neuen Rohstoffen und synthetischen Kraftstoffen.
(Christian Dürr [FDP]: Ja! Das tun wir! Das hat die Union jahrelang nicht getan!)
Sie hätten die Möglichkeit gehabt, so etwas hier zu sagen, Herr Bundeskanzler, und zwar im Ganzen für eine gesamtheitliche Betrachtung von Wirtschaftspolitik, Energiepolitik und Klimapolitik, für ein engmaschiges Zusammenwirken von Digitalisierung und Dekarbonisierung, last, but not least, für erheblich beschleunigte Genehmigungsverfahren, nicht nur bei Wind- und Sonnenergie, sondern bei allen Genehmigungsverfahren, die in unserem Lande notwendig sind und die für unsere Volkswirtschaft unverzichtbar sind.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)
Das alles wäre vielleicht verbunden gewesen mit der Überwindung einer Haltung in unserem Land, die leider immer nur Zweifel und Bedenken kennt
(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Ihre Haltung! – Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– ich sage Ihnen doch, wie ich es mir vorstellen könnte –, hin zu einer Grundstimmung der Menschen im Land, die trotz oder gerade wegen dieser Krise anpacken, Mut fassen, Zuversicht annehmen und daran glauben, dass die Ressourcen unseres Landes noch längst nicht ausgeschöpft sind.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Herr Bundeskanzler, Sie hätten all das nach Ihrer Regierungserklärung im Februar wenigstens einmal in diesem Jahr in einer großen Rede sagen müssen, in einer Rede, die die Menschen mitreißt, die Optimismus ausstrahlt
(Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
und die die besten Kräfte unseres Landes mobilisiert. In einer großen Rede!
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ja, wissen Sie, wenn Sie das so lächerlich finden,
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sie sind lächerlich!)
dann muss ich hier doch noch einmal einen Sachverhalt ansprechen, den ich nicht angesprochen hätte, wenn Sie hier nicht so reagiert hätten.
(Zurufe von der SPD)
Der Bundespräsident hat das vor einigen Wochen versucht, und ich finde, er hat eine bemerkenswerte Rede gehalten. Über deren Inhalt und Ziele kann man streiten. Aber der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland hat eine solche Rede gehalten. Der Kollege Dürr und ich waren die einzigen beiden Vertreter der Bundestagsfraktionen in diesem Haus, die bei dieser Rede anwesend waren,
(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Mast [SPD]: Wir waren nicht eingeladen! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir waren nicht eingeladen!)
kein Mitglied der Bundesregierung, kein Parteivorsitzender, außer uns beiden kein weiterer Fraktionsvorsitzender. Und Sie waren eingeladen, meine Damen und Herren Partei- und Fraktionsvorsitzenden. Sie waren eingeladen, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank. Keiner von Ihnen ist bei dieser Rede des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue gewesen. Ich muss es Ihnen nun leider doch sagen, wenn Sie hier in dieser Art und Weise reagieren.
(Beifall bei der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie peinlich ist das denn? Wir waren nicht eingeladen!)
Meine Damen und Herren, stattdessen versinken Sie mit Ihrer Koalition im ständigen Streit Ihrer Ressortminister und in einem immer deutlicher werdenden Vertrauensverlust der Bevölkerung und unserer europäischen Nachbarn und Freunde in die Lösungskompetenz und in die Verlässlichkeit dieser Bundesregierung.
Herr Bundeskanzler, vor neun Monaten hatten Sie die Chance, vielleicht sogar die historische Chance, dieses Land wirklich grundlegend zum Besseren hin zu verändern. Sie haben diese Chance nicht genutzt, und wahrscheinlich werden Sie – nach menschlichem Ermessen jedenfalls – eine solche Chance auch nicht wieder bekommen.
Herzlichen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)
Als Nächstes hat das Wort für die Bundesregierung der Bundeskanzler Olaf Scholz.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 20 |
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