23.11.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 69 / Einzelplan 05

Roderich KiesewetterCDU/CSU - Auswärtiges Amt

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist die Aufgabe dieser Debatte, Herr Kollege Fricke, die kühlen Kalkulationen des Haushaltsausschusses klar und strategisch einzuordnen. Und das ist dem Kollegen Körber wirklich gut gelungen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Lechte [FDP]: Bitte?)

Das ist ein Haushalt – so wurde er schon heute früh deklariert – der Zeitenwende.

(Zuruf des Abg. Jürgen Coße [SPD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was bedeutet denn die Zeitenwende für Estland oder für Georgien oder für die Ukraine? In diesen Ländern ist die Zeitenwende bereits viel früher angekommen: in Estland 2007 mit dem Cyberangriff Russlands auf die Infrastruktur, in Georgien 2008 mit dem Krieg Russlands gegen Georgien und in der Ukraine 2014 mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine. Und in Deutschland? Da hat der damalige Bundespräsident mit dem damaligen Außenminister und heutigen Bundespräsidenten und mit der damaligen Verteidigungsministerin versucht, die Zeitenwende einzuläuten, indem er bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 gesagt hat, Deutschland müsse sich „früher, entschiedener und substantieller einbringen“. Nun hat das gedauert bis zum 27. Februar. Wir alle wissen, dass die Rede beeindruckend war, nur die Umsetzung nicht.

Frau Außenministerin, Sie haben harte Weichenstellungen vor sich. Nicht alles haben Sie zu verantworten. Deshalb müssen wir uns in Demut üben und eingestehen, dass wir vieles in der Vergangenheit nicht gesehen haben, aber trotz aller Demut jetzt auch mutig vorangehen. Dazu haben wir ein paar Gedanken. Ich möchte Ihnen drei vorstellen:

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa ist seit 2007 zum Testfeld geworden, zum Testfeld hybrider Kriegsführung und der Rückkehr des Krieges. Europa ist zum Testfeld einer systemischen Auseinandersetzung geworden, wo Russland der Sturm ist, aber China der Klimawandel. Um das zu verstehen, müssen wir uns anders aufstellen.

(Zuruf des Abg. Jürgen Coße [SPD])

Deshalb ist es wichtig, dass die 141 Staaten, die den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilt haben, von der regelbasierten internationalen Ordnung überzeugt bleiben bzw. überzeugt werden. Deswegen muss das Kanzleramt begreifen, dass man Führung nicht einfach nur proklamieren kann, sondern Führung praktisch umsetzen muss; denn Deutschland hat eine Scharnierfunktion im Verständnis der Bedrohung Osteuropas, Mitteleuropas und der anderen Sorgen in Südeuropa. Das ist unsere Führungsaufgabe.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das führt mich zum zweiten Gedanken, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der zweite Gedanke ist, dass die Zeitenwende in praktische Politik, in praktisches Handeln umgesetzt werden muss. Hier begrüßen wir – der Kollege Körber hat es angesprochen –, dass in Ihrem Haushalt, Frau Außenministerin, über 3 Milliarden Euro vorgesehen sind für Frieden und Stabilisierung, aber insbesondere auch für humanitäre Hilfe. Das begrüßen wir. Aber Geld allein reicht nicht. Es geht um die Frage der Menschenrechte, um die Stärkung der Kultur, um die Frage der regelbasierten internationalen Ordnung. Um diese zu verdeutlichen, müssen wir alles dafür tun, um zu erreichen, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das führt mich zum dritten Gedanken. Hier – das will ich sehr klar unterstreichen – müssen wir uns auch unbequemen Wahrheiten stellen. Ich möchte drei kurz anreißen:

Erstens: der Iran. Sie waren sehr zögerlich, Frau Außenministerin. Sie haben es jetzt geändert. Aber für die vage Aussicht auf ein Nuklearabkommen mit dem Iran dürfen wir nicht die Zivilgesellschaft vernachlässigen. Viel wichtiger wäre es doch, wenn der Iran demokratisiert, ein Regimewechsel aus eigener Kraft erreicht und dann ein Nuklearabkommen ausgehandelt würde, statt dass wir zurückhaltend und mutlos versuchen,

(Zuruf des Abg. Max Lucks [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

ein Abkommen zu verhandeln, auf das der Iran nie eingehen wird, weil der Iran – ähnlich wie Nordkorea – nicht das Schicksal der Ukraine teilen möchte, die 1994 nuklear abgerüstet hat und nun dieses furchtbare Schicksal erleidet. Deshalb: Zivilgesellschaft zuerst stärken im Iran!

Zweite unbequeme Wahrheit: Sie haben sich, dem Rat unserer Dienste folgend, sehr klar gegen den Verkauf eines Terminals des Hamburger Hafens ausgesprochen.

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Das war auch richtig so. Sechs Ministerien dieser Regierung haben sich dagegen ausgesprochen. Das Kanzleramt hat anders entschieden. Ich erwarte und wir als Union erwarten von dieser Regierung mehr Mut gegenüber dem Kanzleramt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es geht doch auch darum, dass wir uns darauf einstellen müssen, dass Italien und andere Länder, die mühsam die chinesischen Kaufversuche abgewehrt haben, sich jetzt getäuscht sehen.

(Zuruf der Abg. Michelle Müntefering [SPD])

Der Hafen von Triest ist nach Hamburg verkauft worden, und plötzlich wird ein Teil des Hamburger Hafens zugänglich für chinesische Cyberspionage.

Und die dritte unbequeme Wahrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist: Wenn wir die regelbasierte internationale Ordnung stärken wollen, darf die Ukraine diesen Krieg nicht nur nicht verlieren, sie muss den Krieg gewinnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Und gewinnen heißt, dass wir alles tun, diesen Krieg zu verkürzen, indem die Ukraine alles erhält, was sie benötigt, damit sie auch das Gelände, das sie wiedergewonnen hat, halten kann und ihre Soldatinnen und Soldaten in diesem furchtbaren Krieg wegen veralteter Systeme nicht ihr Leben verlieren. Schützenpanzer Marder und selbst die 50 Jahre alten Kampfpanzer Leopard gewähren eine andere Chance auf Überleben der Besatzungen als die auf 8 000 Grad im Inneren sich erhitzenden und explodierenden alten sowjetischen Modelle. Da sind wir in einer Verantwortung, auch vor den Witwen, die wissen, dass eine Lieferung das Überleben ihrer Männer eher gewährleistet hätte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Ukraine kämpft dort für uns. Und jeder hier in diesem Hause und in der Bundesregierung und in den anderen Oppositionsparteien, der für einen Waffenstillstand gegen die Ukraine wirbt, wirbt dafür, dass Russland sich erholt, den Krieg gegen eine Rumpf-Ukraine fortsetzt, um dann das wahrzumachen, was es im Februar dieses Jahres verkündet hat: den Krieg gegen Moldau und gegen das Baltikum fortzuführen, weil Russland glaubt, wir seien schwach.

Frau Außenministerin, wir erwarten von Ihnen hier mehr Härte. Sie haben einen guten Satz geprägt: Diplomatie und Härte. Das ist eine andere Politik als in der Vergangenheit. Die Bundesregierung hat lange nur auf Diplomatie gesetzt, auf Soft Power. Was wir brauchen, ist die Kombination von Diplomatie und Härte; das ist Smart Power. Nur dann werden wir auch glaubwürdig die regelbasierte internationale Ordnung unterstützen.

Wir müssen erreichen, dass Länder wie Russland, wie Iran, wie China oder Nordkorea keine Nachahmer finden; denn wenn die Ukraine verlieren würde, würde eine neue Allianz entstehen und ein neuer Krieg beginnen. Wir müssen erreichen, dass die Ukraine gewinnt und diese Länder isoliert bleiben und sich neu ordnen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Das Wort hat jetzt Frau Bundesministerin Annalena Baerbock für die Bundesregierung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7548407
Wahlperiode 20
Sitzung 69
Tagesordnungspunkt Auswärtiges Amt
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