24.11.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 70 / Einzelplan 11

Stephan StrackeCDU/CSU - Arbeit und Soziales

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Vermittlungsausschuss hat gestern den Weg für die Weiterentwicklung von Hartz IV frei gemacht. Voraussichtlich werden wir am Freitag darüber hier im Deutschen Bundestag beschließen. Wir als Unionsfraktion werden diesem Gesetzentwurf zustimmen.

Entscheidend und wichtig für uns ist insbesondere die Anpassung der Regelsätze an die hohen Teuerungsraten. Um die schnellere Anpassung ging es dabei nie im politischen Streit. Wir sorgen jetzt für Sicherheit für diejenigen, die darauf angewiesen sind. Es ist notwendig und richtig, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir das tun.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Stephanie Aeffner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Arbeitslosengeld II, landläufig Hartz IV genannt, sichert Menschen in existenzieller Not verlässlich ab. Entscheidend ist gerade in der jetzigen Situation, dass sich Arbeitslosigkeit nicht verfestigt, dass aus Arbeitslosigkeit nicht Langzeitarbeitslosigkeit entsteht und dass wir diejenigen, die auf Hilfe angewiesen sind, dazu befähigen, ertüchtigen und ermutigen, auf diese Hilfe zu verzichten, indem sie selber möglichst schnell und dauerhaft wieder in Arbeit kommen. Darin waren wir in den letzten 16 Jahren unserer Regierungszeit sehr erfolgreich.

(Zuruf der Abg. Stephanie Aeffner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Über 2,2 Millionen Menschen haben wir in Arbeit zurückgebracht, haben es geschafft, dass sie einen festen Platz in der Arbeitsgesellschaft haben. Das ist ein großer Erfolg in diesem Bereich, der natürlich mit Hartz IV intensiv zusammenhängt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Voraussetzungen, dass ein solcher Erfolg auch jetzt wieder gelingen kann, sind so gut wie nie zuvor. 1,9 Millionen Stellen sind offen. Viele davon sind Fachkräftestellen, aber es sind natürlich auch Arbeitskräftestellen darunter. Wir müssen jetzt alles dafür tun, dass der Weg aus der Arbeitslosigkeit zurück in Arbeit gelingt. Denn klar ist: Arbeit ist viel mehr als bloßer Broterwerb. Sie hat vor allem mit Anerkennung, mit Selbstwertgefühl und Teilhabe zu tun. Deswegen war es uns so wichtig, dass das Grundprinzip „Fördern und Fordern“ weiterhin gilt, und zwar vom ersten Tag an.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Logischer Widerspruch! – Zuruf von der CDU/CSU: Ja, so ist es!)

Es gilt, sich intensiv mit dem Einzelnen auseinanderzusetzen, zu sehen, wo seine Problemlagen sind, ihn zu motivieren und zu aktivieren. Dazu gehört auch, dass man Eigenbemühungen, Mitwirkungspflichten verbindlich einfordern kann. Das ist auch ein Gebot der Fairness gegenüber dem Steuerzahler, der mit seinen Steuermitteln dafür sorgt, dass dieses System finanziert ist und funktioniert.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen haben wir als Union dafür gesorgt, dass es zu keinem Systemwechsel kommt, so wie er im Gesetzentwurf ursprünglich beabsichtigt war. Ein bedingungsloses Grundeinkommen kommt nicht.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach, Herr Kollege! Das ist etwas völlig anderes! Dann würden Sie das auch kriegen! – Zurufe der Abg. Annika Klose [SPD] und Stephanie Aeffner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die entscheidende Veränderung, die wir durchgesetzt haben, ist, dass vom ersten Tag an nicht nur Meldeversäumnisse entsprechend geahndet werden können, sondern auch Pflichtverletzungen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie verwechseln sanktionslose Mindestsicherung mit bedingungslosem Grundeinkommen!)

Deswegen gilt: Die Schonzeit von einem halben Jahr ist vom Tisch. Der Freischuss bei Pflichtverletzungen ist vom Tisch.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Ja!)

Dies alles gilt zum 1. Januar des nächsten Jahres, wenn die Zustimmung von diesem Hohen Haus am Freitag erfolgen wird. Das Sanktionsmoratorium wird auch frühzeitig beendet, nämlich zum 1. Januar. Auch das ist richtig und ein Erfolg; denn das Grundprinzip „Fördern und Fordern“ muss von Tag eins an gelten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir verändern auch die Regeln, was die Karenzzeit angeht – ein Jahr statt zwei Jahre –, und das Schonvermögen wird erheblich reduziert. Alles andere wäre auch gegenüber demjenigen, der beispielsweise mit einem kleinen Einkommen und mit seinen Steuermitteln dafür sorgt, dass jemand Leistungen bezieht, obwohl er diese in dieser Form gar nicht nötig hat, überhaupt nicht vermittelbar gewesen.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt fangen Sie schon wieder mit der Spaltung an!)

Das hat etwas mit Nachhaltigkeit und dem Nachranggrundsatz in diesem Bereich zu tun.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Selbst kleine Selbstständige sollten nie wieder Union wählen! – Gegenruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Warum kapiert ihr das nicht?)

Herr Stracke, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung aus der SPD-Fraktion?

Ja, herzlich gerne. Bitte schön.

Herr Stracke, es freut mich, zu hören, dass Ihre Fraktion dem Gesetzentwurf am Ende voraussichtlich zustimmen wird. Bezüglich des Kompromisses, den Sie gerade referieren, möchte ich aber noch mal nachfragen. Sie stellen dar, dass die Karenzzeit von zwei Jahren auf ein Jahr verkürzt wird. Das ist richtig; das steht so in dem Kompromiss. Sie sagen nun, das sei auch verhältnismäßig und richtig.

Ich möchte Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, dass das jetzt vor allem für diejenigen Menschen zu einem Problem wird, die zum Beispiel eine Qualifizierung anstreben? Zuerst wird die Leistung beantragt, dann der Kooperationsplan erarbeitet, dann eine entsprechende Qualifizierung vermittelt, die beispielsweise sechs Monate geht. Dann muss noch ein neuer Job gefunden werden. Dafür jetzt nur zwölf Monate zu haben, bedeutet: Genau diese Leute werden dann aus der Karenzzeit rausfallen. Und es war eigentlich ein gemeinsames Anliegen, die Weiterbildung zu stärken. Das war die erste Frage.

Zweite Frage. Ist Ihnen eigentlich bekannt – Sie haben gerade über die Pflichtverletzungen gesprochen –, dass die Regelungen zu den Pflichtverletzungen gegenüber dem Ursprungsgesetz jetzt sogar noch mal abgemildert wurden? Denn neu ist jetzt, dass bei der ersten Pflichtverletzung nur ein Monat mit 10 Prozent sanktioniert wird. Vorher waren es drei Monate mit 20 Prozent. Von einer Verschärfung der Sanktionen kann doch eigentlich gar keine Rede sein. Sind Ihnen diese Umstände bekannt?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Werte Frau Kollegin, vielen herzlichen Dank für Ihre beiden Fragen, die ich natürlich sehr gerne beantworte. – Zum einen, was das Thema der Karenzzeit angeht: Sie hatten zunächst einmal zwei Jahre Karenzzeit vorgesehen. Ich muss sagen: Das ist ein Übermaß dessen, was notwendig ist, weil Sie das auch gegenüber demjenigen vermitteln müssen, der mit seinen Steuermitteln dazu beiträgt, dass dieses System funktioniert und bezahlt wird.

(Stephanie Aeffner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit Weiterbildung? – Angelika Glöckner [SPD]: Fokus auf die falsche Personengruppe!)

Es ist für denjenigen, der mit seinem Erwerbseinkommen dazu beiträgt und wenig Vermögen hat, nicht nachvollziehbar, dass er diejenigen unterstützen soll, die beispielsweise 60 000 Euro auf der hohen Kante haben. Deswegen haben wir dafür gesorgt, dass dieses Schonvermögen reduziert, dass diese Fehlstellung beseitigt wird. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit und der Nachvollziehbarkeit des Systems.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wohnung!)

Wir sorgen mit diesem einen Jahr für Planungssicherheit für diejenigen, die beispielsweise sagen, sie wollen in eine Ausbildung oder Qualifizierung hineingehen. Frau Kollegin, auch Ihre eigene Argumentation ist ja – ich darf Sie daran erinnern –, dass Sie mit der Karenzzeit vor allem diejenigen in den Blick nehmen wollen, die selber möglichst schnell aus der Arbeitslosigkeit herausfinden wollen. Dazu haben Sie selber gesagt: Dazu bedarf es weniger Monate bis zu rund einem Jahr. – Deswegen ist es genau richtig, daran festzuhalten. Herr Audretsch, es geht ja um die sogenannten High Performer, von denen bei den Grünen häufiger gesprochen wird. Deswegen ist die Karenzzeit von einem Jahr in diesem Bereich richtig.

Das Zweite betrifft die Frage der Pflichtverletzungen. Es ist notwendig, dass Eigenbemühungen verlässlich eingefordert werden können, und zwar vom ersten Tag an.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! – Dr. Martin Rosemann [SPD]: War doch bisher schon so!)

Deswegen haben wir dafür gesorgt, dass der Kooperationsplan und die Aufforderungen, die auf dem Kooperationsplan fußen, mit Rechtsverbindlichkeit versehen werden können; denn nur so können diese letztendlich auch eingefordert werden.

(Stephanie Aeffner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben überhaupt nicht verstanden, was da vorher drinstand!)

Es ist auch eine Frage der Fairness, zu sagen: Von demjenigen, den ich unterstütze, darf ich erwarten, dass er entsprechende Eigenbemühungen an den Tag legt. Deswegen haben wir dafür gesorgt, dass es vom ersten Tag an Sanktionen bei Pflichtverletzungen gibt.

Und richtig: Im Rahmen des Kompromisses haben wir die Sanktionsfolge bei Pflichtverletzungen noch einmal entsprechend abgestaffelt, aber im Übrigen auch klargestellt, dass derjenige, der eine Pflichtverletzung begangen hat, sich ein Jahr lang so verhalten muss, dass es zu keinen weiteren Pflichtverletzungen kommt, wenn er nicht beispielsweise mit 30 Prozent und damit dem Maximum sanktioniert werden will. Auch das ist ein wichtiges Signal in diesem Bereich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir bewahren das Fordern und wollen beim Fördern insgesamt besser werden. Deswegen ist es richtig, dass bei der Weiterentwicklung von Hartz IV Ausbildung und Arbeit entsprechend gleichgestellt werden.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie jahrelang machen können!)

Der Rechtsrahmen war im Übrigen in diesem Bereich nie das Problem. Denn Sie verweisen zwar immer darauf, dass der Vermittlungsvorrang jetzt abgeschafft wird, in Ihrem eigenen Gesetzentwurf schreiben Sie jedoch – ich zitiere –: „Die bestehenden Regelungen des SGB II formulieren keinen ausdrücklichen Vermittlungsvorrang.“ Der Rechtsrahmen war nie das Problem, sondern es ging alleine darum, wie man in der Praxis damit umgeht. Das, was in der Praxis getan wird, zeichnen Sie nun in Ihrem Gesetzentwurf nach. Das ist richtig. Damit setzen wir einen deutlichen Schwerpunkt in diesen Bereichen. Sie unterstreichen das auch noch mit mehr finanziellen Mitteln, die notwendig sind, auch mit besseren Hinzuverdienstmöglichkeiten. Das ist richtig in dem Bereich, beschreibt aber auch die eigentliche Problemlage, um die es in diesem Bereich geht, nämlich darum, tatsächlich Arbeitslose zu motivieren, aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen und

(Zuruf der Abg. Stephanie Aeffner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

eine Qualifizierung oder eine Ausbildung aufzugreifen. Diese Zielrichtung teilen wir, und das ist richtig.

Entscheidend wird allerdings eine entsprechende Mittelausstattung der Jobcenter sein. All das, was Sie ins Schaufenster stellen, muss in der Praxis Realität werden. Da zeigt sich bei den Eingliederungsmitteln: Sie kürzen diese um 400 Millionen Euro.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! Das stimmt doch gar nicht!)

– Sehr wohl. Damit steht weniger Geld zur Verfügung, obwohl wir gleichzeitig 590 000 Ukrainerinnen und Ukrainer mehr im System haben, die auf Unterstützung angewiesen sind.

(Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP])

Sie sorgen nicht für die notwendige Mittelausstattung, damit das, was Sie in das Gesetz schreiben, auch tatsächlich Realität werden kann. Das ist die Aufgabe, vor der wir gemeinsam in diesem Bereich stehen, vor allem Sie.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss den Haushalt schon lesen können!)

Nächster Redner: für die Bundesregierung der Bundesminister Hubertus Heil.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7548472
Wahlperiode 20
Sitzung 70
Tagesordnungspunkt Arbeit und Soziales
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