Bengt BergtSPD - Änderung des Energiesicherungsgesetzes
Moin, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Vor uns liegt vielleicht der schwerste Winter der letzten Jahre, wahrscheinlich sogar Jahrzehnte. Und auch der nachfolgende Winter wird echt nicht ohne sein; möglicherweise wird er noch herausfordernder als der jetzige.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der Energiekrieg gegen Europa zwingen uns dazu, wichtige Ziele parallel anzugehen, und das unter höchstem Zeitdruck. Die wichtigen Aufgaben, die wir miteinander vereinen müssen, sind zum einen der Schutz des Klimas, der Ausbau der erneuerbaren Energien, zum anderen das Schaffen von Versorgungssicherheit bei Gas, bei Strom und bei den anderen Ressourcen, die wir benötigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es zwar schon einmal gesagt, aber das macht es ja nicht schlechter: Die SPD-geführte Ampelkoalition hat in den letzten sechs Monaten schon mehr gerissen
(Zuruf von der AfD: Ja, gerissen!)
als die CDU-geführte Bundesregierung in 16 Jahren,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Andreas Jung [CDU/CSU]: Das macht es aber nicht richtiger!)
trotz Corona, trotz Lieferengpässen, trotz Energiekrise und trotz Krieg. Lassen Sie mich das noch einmal in Erinnerung rufen: Mit dem Osterpaket haben wir die größte Klimaschutzreform der deutschen Geschichte beschlossen. Wir haben die Ausschreibungsmengen deutlich erhöht und die Wertschöpfung in Deutschland durch konkrete Ausschreibungskriterien gestärkt. Planungs- und Genehmigungsverfahren haben wir entschlackt und so den Ausbau angekurbelt. Und von russischem Gas haben wir uns unabhängig gemacht. Wir haben Lieferverträge mit alternativen Lieferanten geschlossen.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Mit Katar zum Beispiel!)
Und – das muss man sich noch mal verdeutlichen – wir haben bei 50 Milliarden Tonnen eines Energieträgers einfach mal die Lieferanten ersetzt. Was ist das für ein Erfolg! Was ist das für ein Erfolg dieser Ampel, meine Damen und Herren!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben erneuerbaren Strom verstärkt ins Netz gebracht durch die Aufhebung von Öko-Deckeln und die Flexibilisierung unserer Stromleitungen. Kohlekraftwerke haben wir reaktiviert, um Gas zu sparen. Und ja, um letzte Befürchtungen zu zerstreuen, wir haben auch die letzten drei verbliebenen Atomkraftwerke am Netz gelassen – bis April 2023; dann ist Schluss. Die zwei wichtigsten Ergebnisse: Erstens. Unsere Stromversorgung ist gesichert. Zweitens. Die Gasspeicher sind voll.
Auch wenn Sie das nicht gerne hören, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Das sind Erfolge, die weltweit anerkannt werden. In Europa, in der Welt wird durchaus wahrgenommen, wie lange Deutschland konservativ gebremst wurde und was jetzt innerhalb kürzester Zeit möglich ist mit der nötigen Entschlossenheit, die wir an den Tag legen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Die Welt ist ziemlich klein, wenn das stimmen soll!)
In den vergangenen Monaten haben wir als Deutscher Bundestag nicht nur die Voraussetzungen geschaffen für volle Gasspeicher und eine Stromproduktion auf Hochtouren. Wir haben der Bundesregierung auch eine Reihe von Instrumenten an die Hand gegeben. Das Ziel: Im Fall der Fälle schnell handlungsfähig zu sein und die Energieversorgung bei Engpässen sicherstellen zu können. Im Kern kann man das im Grunde auf zwei einfache Nenner bringen: Erstens. In den deutschen Wohnzimmern soll es immer so warm bleiben, dass niemand frieren muss. Zweitens. Wir schützen unseren Mittelstand. Selbst wenn das Gas mal knapp wird, sollen die Lichter hier nicht ausgehen.
Wir tun alles, was nötig, um in Zeiten des russischen Energiekrieges die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Dazu gehört auch eine funktionierende Energieinfrastruktur, meine Damen und Herren: ohne Windrad keine Windenergie, ohne Solardächer kein Solarstrom, und, ja, ohne Pipeline kein Gas. Wir werden neben den Erneuerbaren noch länger auf Erdgas angewiesen sein. Die Bürger heizen damit, die Bäcker backen damit, die Industrie produziert damit. Deshalb ist es gut, dass die Koalition entschlossen den Weg geht und für die LNG-Infrastruktur an der deutschen Küste alles bereitet hat.
(Zurufe von der CDU/CSU)
Brunsbüttel, Lubmin, Stade, Wilhelmshaven – dort soll künftig Flüssiggas anlanden und ins deutsche Netz eingespeist werden. Wilhelmshaven ist, wie bekannt, schon in Rekordtempo fertiggestellt; dort werden wir Mitte Dezember schon die ersten Lieferungen bekommen. Brunsbüttel folgt wahrscheinlich noch in diesem Jahr. Lubmin und Stade kommen danach.
Allein in Lubmin werden 5 Milliarden Kubikmeter Gas anlanden. Für schlankere Genehmigungsverfahren haben wir gesorgt und sind sogar bis an den Rand des Machbaren und Möglichen gegangen. Das ist die rechtliche Seite. Doch nehmen wir mal Folgendes an: Was ist, wenn der Bau genehmigt ist, wir aber nicht genug Rohre haben, um das LNG-Terminal zu bauen, wenn die Rohre nicht am Markt verfügbar sind? Denn schließlich hat Putin selbst das größte Stahlwerk Europas in Schutt und Asche gebombt; das war in Mariupol. In diesen Krisenzeiten mit teilweise dysfunktionalen Lieferketten, in Zeiten, in denen Energiepolitik als Waffe eingesetzt wird, sind das keine abwegigen Fragen mehr. Wenn das schlecht läuft, dann stehen wir in den Startlöchern, laufen los bis kurz vor die Ziellinie – und laufen dann vor eine Wand.
(Karsten Hilse [AfD]: So wie beim Gas!)
Das können wir uns nicht erlauben.
Damit sind wir jetzt bei der Reform des aktuellen Energiesicherungsgesetzes. Wenn wir A sagen, müssen wir auch B sagen: Wenn wir Rohre oder andere Teile, die für eine Infrastruktur am Markt nicht verfügbar sind, brauchen, dann müssen wir in der Lage sein, sie zu enteignen –
(Karsten Hilse [AfD]: Dann nehmen wir sie einfach irgendjemandem weg, so wie immer mal!)
als allerletztes Mittel, als Ultima Ratio muss das möglich sein
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
– vielen Dank –, nicht zum Selbstzweck, sondern im Sinne der Versorgungssicherheit dieses Landes, für die Haushalte und Unternehmen der Leute, die hier leben und wirtschaften. Wer A sagt, muss auch B sagen. Und niemand hat die Absicht, zu enteignen.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber 5 Milliarden Kubikmeter Gas sind wichtig für warme Wohnungen und heiße Industrieöfen. Diese 5 Milliarden Kubikmeter dürfen uns am Ende nicht fehlen, weil wir drei Rohre zu wenig haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden von weitreichenden Eingriffen, von wirklich starken Befugnissen, Befugnissen, die aber in einem solchen Szenario gemäß Artikel 14 des Grundgesetzes gerechtfertigt sind und möglich sind. Das ist also kein sozialistischer Hexenkram, den wir hier machen; das steht in unserem Grundgesetz,
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja!)
und natürlich muss das entsprechende Entschädigungen für die Enteigneten zur Folge haben.
Wer jetzt mit der DDR-Keule wedelt, wie es wahrscheinlich gleich von der Ecke hier drüben rechts passieren wird, hat es nicht verstanden oder handelt einfach unverantwortlich. Nahezu jeden Tag wird in Deutschland enteignet, zum Beispiel für den Straßenbau, für den Schienenbau, für die Verkehrswege.
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Sehr richtig!)
Auch im Falle unseres Beispiels des LNG-Terminals oder anderer Energieinfrastrukturen muss das im Notfall möglich sein.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
Die Interessen Einzelner stehen zurück, um die Interessen der Allgemeinheit zu schützen – von 80 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland –, und im Übrigen auch, um solidarisch mit unseren Nachbarinnen und Nachbarn in Europa zu sein, wenn es sein muss. Alles andere wäre fahrlässig.
(Beifall bei der SPD)
Wenn Sie verantwortungsvolle Politik im Sinne der Versorgungssicherheit machen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, dann stimmen Sie bitte heute zu. Ich schlage nachdrücklich vor, dass Sie auch der Entschließung entsprechend zustimmen; denn zwei Punkte darin sind wirklich essenziell.
Erstens. Die Bundesregierung soll neben dem erwähnten Zwischenbericht auch Eckpunkte für ein Konzept zum Aufbau des Wasserstoffnetzes vorlegen. Bei diesem Thema ist Tempo geboten; das wissen wir. Je eher Pläne vorliegen, desto eher können wir sie umsetzen – in enger Abstimmung mit den europäischen Regeln, die bereits in Arbeit sind; Stichwort „Gas- und Wasserstoffbinnenmarktpaket“.
Zweitens. Wir fordern von der Bundesregierung ein Monitoring, um immer im Blick zu haben, welche Betriebsstoffe, die nicht Energierohstoffe sind, am Markt verfügbar sind und welche nicht. Das ist wichtig. Es geht um Kalkprodukte usw. Wir brauchen einen Überblick darüber.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. – Wir begreifen dieses Land als ein Schiff, was es zu steuern gilt. Dazu muss bekannt sein, was auf den Decks passiert;
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Bloß, wohin es treibt!)
alles, um den progressiven Kurs zu halten. Deswegen möchte ich gerne mit den Worten eines bekannten Kapitäns schließen: Fähnrich, Kurs setzen! Voller Impuls! Energie!
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wohin? Die Frage ist, wohin!)
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Für die AfD-Fraktion hat das Wort Karsten Hilse.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7548526 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 70 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Energiesicherungsgesetzes |