24.11.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 70 / Einzelplan 10

Gero Clemens HockerFDP - Ernährung und Landwirtschaft

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Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Landwirtschaft in Deutschland, vor allem die tierhaltenden Betriebe, befinden sich in der wohl größten Krise der vergangenen 70 Jahre, und zwar nicht, weil sie etwa schlechte Produkte erzeugen würden, auch nicht, weil sie ineffizient wären, und auch nicht, weil sie nicht gut ausgebildetes Personal zur Verfügung hätten, ganz im Gegenteil. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der zentrale Punkt der Krise, die wir gegenwärtig sehen müssen, liegt in dem Umstand, dass in den letzten 16 Jahren

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Bingo!)

– und übrigens auch darüber hinaus – immer häufiger nationalstaatliche Alleingänge unternommen wurden und so die Produktionsstandards immer weiter auseinandergegangen sind.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Stephan Protschka [AfD])

Das ist der Grund dafür, dass der Wettbewerb zwischen inländischem Erzeuger und ausländischem Erzeuger schon lange nicht mehr nach fairen Kriterien erfolgt. Dieser unfaire Wettbewerb ist es, der Betriebsinhabern das Leben in Deutschland so schwer macht, der immer mehr Betriebe in den letzten Jahren und Jahrzehnten in den Ruin getrieben hat. Und dieser unfaire Wettbewerb ist es, der am Ende dazu führt, dass Lebensmittel in Deutschland auf dem Teller des Verbrauchers landen, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen und nach Standards erzeugt wurden, die man einem deutschen Landwirt niemals zugestanden hätte. Dieser Entwicklung muss endlich etwas entgegengesetzt werden, und es ist zentrale Aufgabe dieser Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen, das endlich zu tun.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Da klatscht die Freihandelspartei! Ist ja interessant!)

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen der Union, so oft sind bei der Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten – ich beschränke es ausdrücklich nicht nur auf 16 Jahre –

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Bingo!)

falsche Versprechungen gemacht worden, wurde Geld ins Schaufenster gestellt, wurde angereizt, dass man vielleicht auch wieder eigene Mittel investiert, dass man zur Bank geht und neuerliche zusätzliche Kredite aufnimmt, sich verschuldet, neue Geschäftsmodelle entwickelt. Das Problem war, dass häufig genug die Geschäftsmodelle, die die Politik sich vom Erzeuger gewünscht hat, vom Verbraucher eben überhaupt nicht honoriert wurden; das ist das Problem gewesen.

Ich sage Ihnen eins: Wer diese Fehlentwicklung der vergangenen Jahre und Jahrzehnte fortschreibt und glaubt, sie alleine dadurch kompensieren zu können, dass man wiederum Geld ins Schaufenster stellt, der versündigt sich an einer ganzen Branche und der führt die Fehler fort, die Sie in den letzten Jahrzehnten zu verantworten hatten. Da machen wir nicht mit, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage Ihnen eins, lieber Albert Stegemann: Statt wiederum Landwirte mit falschen Versprechungen in neue Abenteuer zu locken, muss Landwirtschaftspolitik im Jahre 2023 ein neues Kapitel aufschlagen. Wir müssen Dreierlei tun.

Erstens. Wir müssen denjenigen Betrieben, die gerne bereit sind, zu investieren, vielleicht sogar aus eigenen Mitteln, endlich die Gewähr geben, dass, wenn sie investieren, aus eigenen oder auch aus Fremdkapitalmitteln, nicht nach 3 oder nach 5 oder nach 12 oder nach 24 Monaten wiederum neuerliche Auflagen über ihnen ausgeschüttet werden, egal ob aus Berlin, ob aus Hannover oder von einer anderen Landesregierung oder der kommunalen Ebene. Das ist unsere Aufgabe; denn sonst wird kein Investment erfolgen, sonst wird es nicht gelingen, dass zusätzlich in noch mehr Tierwohl in Deutschland investiert werden wird. Wir brauchen endlich ein Auflagenmoratorium.

(Beifall bei der FDP)

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?

Aus der AfD-Fraktion; ja, dann können wir mal ans Eingemachte gehen.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Danke, Herr Kollege, dass Sie diese Frage zulassen. Sie haben eben sehr intensiv auf die CDU und die letzten 16 Jahre eingedroschen und gesagt, dass unterschiedliche Standards geschaffen wurden.

Nun zu meiner Frage oder dem, worum es mir geht: Am Dienstag hatten wir eine Sondersitzung im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft. Da ging es um das Gesetz zur Änderung des Tierarzneimittelgesetzes, zu dem Ihnen vorher in der Anhörung jeder Experte gesagt hat: Das ist zu scharf gefasst, das ist zu weitgehend, das geht so nicht.

Sie haben ja gerade gesagt: Wir dürfen in diesem Land keine Alleingänge machen, keine besonderen Standards schaffen, was Sie der CDU auch vorgeworfen haben. Nun frage ich Sie: Wie heuchlerisch kann man sein, genau dasselbe zu machen und hier etwas anderes zu behaupten?

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lauter schreien!)

Verehrter Herr Kollege, leider lässt es unsere Geschäftsordnung nicht zu, dass auf eine Frage mit einer Gegenfrage geantwortet wird. Daher sage ich Ihnen ganz ausdrücklich: Es muss das Ziel dieser Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen sein, zu verhindern, dass nationalstaatliche Alleingänge beschritten werden.

Am vergangenen Dienstag haben wir eine Sondersitzung des Landwirtschaftsausschuss gehabt, in der wir uns sehr intensiv genau mit der Frage beschäftigt haben, wie man es hinbekommt, abzuwägen zwischen dem, was notwendig ist, und dem, was zusätzliche Auflagen bedeuten würden. Ich glaube, dass diese Koalition insgesamt einen sehr guten Kompromiss gefunden hat. Deswegen passt Ihre Frage überhaupt nicht zu dem, was ich eben gesagt habe.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Frank Rinck [AfD]: Sie sind ein Heuchler, und deswegen fliegen Sie auch aus den Landtagen! Genau deswegen!)

Herr Rinck, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.

Verehrte, liebe Kolleginnen und Kollegen, der zweite Punkt ist – da ist die Koalition tatsächlich auf einem guten gemeinsamen Weg –, dass der Verbraucher endlich transparent und unkompliziert erkennen können muss, wo und wie ein Tier gehalten wurde, wo es gemästet, wohin es transportiert, wo es getötet und wo letztendlich auch die Erzeugnisse weiterverarbeitet wurden.

Deswegen ist es gut und richtig, dass man entschieden hat, eine Haltungs- und Herkunftskennzeichnung auf den Weg zu bringen. Da gibt es, wie das bei gemeinsamen Gesetzesvorhaben immer der Fall ist, noch Diskussionsbedarf. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass es damit gelingt, tatsächlich die Transparenz zu schaffen, die wir brauchen, um den Verbraucher in die Pflicht zu nehmen, seinen Worten auch endlich Taten folgen lassen zu können.

Ein Drittes ist mir ein besonders wichtiges Anliegen: Es kann nicht sein, dass wir auf der einen Seite gemeinsam beklagen, dass durch Klimawandel, durch Flächenversiegelung global immer weniger landwirtschaftliche Fläche für die Produktion zur Verfügung steht, auf der anderen Seite aber der Bedarf nach hochwertigen Lebensmitteln, auch nach immer mehr Lebensmitteln steigt, weil immer mehr Menschen auf diesem Globus leben und wir es gleichzeitig Landwirten versagen, die Technologien zur Anwendung kommen zu lassen, die sie benötigen, um ebendiesen vermeintlichen Gegensatz aufzulösen.

Natürlich müssen wir im Bereich innovativer Züchtungsmethoden vorankommen. Natürlich müssen wir auch bei Pflanzenschutzmitteln vorankommen. Und wir würden uns in die eigene Tasche lügen, wenn wir den Kurs der letzten Jahrzehnte fortsetzen würden, wie es leider auch unter Führung der CDU/CSU häufig genug der Fall gewesen ist, dass man sich eben solchen Innovationen versagt hat. Das passt nicht ins Jahr 2023. Wer den Hunger in der Welt tatsächlich bekämpfen will, der macht das nicht über Verzichtappelle, sondern darüber, dass wir neue Technologien in die Fläche bringen, um so den Welthunger bekämpfen zu können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Sylvia Lehmann [SPD])

Als Nächstes erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Astrid Damerow.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7548633
Wahlperiode 20
Sitzung 70
Tagesordnungspunkt Ernährung und Landwirtschaft
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