Dietmar NietanSPD - Holodomor in der Ukraine
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Exzellenzen! Der Holodomor ist in der Geschichte des ukrainischen Volkes ein zentraler Erinnerungsort, ein Tiefpunkt seiner leidvollen Geschichte. Nehmen wir den heutigen Tag zum Anlass – anders als der Redner der AfD-Fraktion –, in erster Linie der Millionen unschuldiger Opfer des Holodomors zu gedenken und an ihr Schicksal zu erinnern.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das haben wir auch gemacht!)
Vor ihnen, den Opfern, wollen wir uns heute verneigen und ihnen versichern, dass wir sie niemals vergessen werden.
Es darf auch kein Vergessen geben; denn der Holodomor ist ein unauslöschbarer Teil der europäischen Geschichte, auch wenn es politische Kräfte gibt, die das negieren wollen. Vor allen Dingen ist er aber auch die Geschichte menschenverachtender Totalitarismen. Die Gefahren und Verbrechen dieser Totalitarismen stärker im kollektiven Bewusstsein von Gesellschaften zu verankern, verhindert einen falschen Umgang mit der Geschichte. Wir müssen dafür kämpfen, dass wir mit einem offenen und transparenten Umgang mit der Geschichte die offenen Gesellschaften stärken, damit sie widerstehen gegenüber denen, die Geschichte verbiegen und verleugnen wollen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Deshalb ist es völlig richtig und überfällig, dass das Parlament heute den Holodomor aus politisch-historischer Sicht als Völkermord einordnet.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist die gemeinsame Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten; denn diese Klarheit ist wichtig, um Geschichtsfälschung und Geschichtsrevisionismus entgegenzutreten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
An dieser Stelle möchte ich den Dank, den Ulrich Lechte an die Kolleginnen und Kollegen verteilt hat, gerne zurückgeben: Es war gut, dass wir über Fraktionsgrenzen hinweg sehr vertrauensvoll an diesem Antrag zusammengearbeitet haben.
Sehr geehrter Herr Botschafter Makejew, auch Ihnen möchte ich ganz herzlich danken. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie sich mit uns Abgeordneten in vertraulichen und persönlichen Gesprächen sehr offen und konstruktiv ausgetauscht haben, und nicht über Twitter.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Die heutige Debatte und der darauffolgende Beschluss zum Holodomor sind nicht nur wichtig, um als Parlament die Opfer dieses Verbrechens zu ehren. Sie sind auch dringend geboten, weil wir erleben, dass in Europa Geschichte leider immer noch als Instrument oder gar Waffe eingesetzt wird. Die Versuche, einen multiperspektivischen Blick auf die Geschichte durch Renationalisierung einzudampfen, finden wir nicht nur im Kreml, sondern auch bei rechtspopulistischen Regierungen in der Europäischen Union. Dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen. Der Holodomor sollte uns allen eine Mahnung sein, gerade aber auch im Umgang mit totalitären Staaten.
Seinen verbrecherischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Wladimir Putin nicht nur militärisch vorbereitet. Die Fälschung der geschichtlichen Tatsachen inklusive der versuchten Rehabilitierung des Massenmörders Stalin, die geschichtliche Herleitung der Rechtfertigung für eine Negierung der Existenz der ukrainischen Nation – das waren keine Zufälle. Geschichtsrevisionismus gehört zum Kampf der Totalitären gegen offene Gesellschaften, und dagegen müssen wir alle vorgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Unser Holodomor-Antrag hat aber auch angesichts der gezielten Tötung ukrainischer Zivilistinnen und Zivilisten im jetzigen Krieg durch Russland, der Bombardierung ziviler ukrainischer Infrastruktur, um das Land zu terrorisieren, um die Menschen frieren und erfrieren zu lassen, der Verschleppung von Hunderttausenden Ukrainerinnen und Ukrainern und der bewussten russischen Inkaufnahme, dass ukrainisches Getreide nicht in die ärmsten Länder der Welt exportiert werden kann, einen erschreckenden Bezug zur Gegenwart; und den sollte niemand relativieren oder leugnen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Deshalb sage ich: Jeder Schritt, der zur Aufklärung von Menschheitsverbrechen beiträgt, ist ein wichtiger Schritt, den es zu unterstützen gilt. Mit diesem Antrag können wir dazu beitragen, dass die Erinnerung an den Holodomor aufrechterhalten und weiterverbreitet wird; denn Versöhnung und Frieden kann es nur auf der Grundlage geschichtlicher Wahrheiten geben.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Knut Abraham spricht jetzt zu uns für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7548826 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 72 |
Tagesordnungspunkt | Holodomor in der Ukraine |