30.11.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 72 / Tagesordnungspunkt 6

Bettina LugkSPD - Bewerbung für die Ausrichtung der Olympischen Spiele

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Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Olympische und Paralympische Spiele, das ist das Thema der jetzt kommenden Debatte. Olympische und Paralympische Spiele sind große Sportfeste. Sie zeigen, dass der Sport eine herausgehobene gesellschaftliche Bedeutung hat, weil er eben viele Menschen aus aller Welt verbindet; sie in ihrer bunten Vielfalt zusammenbringt. Diese Spiele stehen für ein friedliches Miteinander, für Toleranz, für Offenheit und Respekt.

Was die AfD-Fraktion in den vorliegenden Anträgen fordert – nämlich eine deutsche Olympiabewerbung zum nächstmöglichen Zeitpunkt –, ist nichts Neues. Schon vor Wochen hat der Deutsche Olympische Sportbund angekündigt, zu seiner Mitgliederversammlung, die am kommenden Samstag stattfinden wird, eine entsprechende Beschlussempfehlung auszusprechen. Zunächst soll unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger sondiert werden, ob Deutschland eigentlich für Olympische Spiele bereit ist. Diese Bereitschaft meint nicht nur, dass wir eine Infrastruktur haben und Sportstätten, sondern diese Bereitschaft soll auch den Willen der Bevölkerung widerspiegeln, diese Ausrichtung mitzutragen und darin eine Chance zu sehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Der DOSB verspricht allen Beteiligten, diesen Prozess ergebnisoffen zu führen. Das ist ein kluges Vorgehen, und ich verlasse mich darauf, dass der DOSB hier unvoreingenommen auftreten wird.

Die Kritik an den Winterspielen in Beijing, aber auch an anderen Sportgroßereignissen, die in autoritär regierten Staaten stattfinden, nimmt demokratische Länder wie Deutschland in eine besondere Pflicht. Wenn wir die Werte der olympischen und paralympischen Bewegung wichtig finden, dann müssen wir auch bereit sein, diese Spiele bei uns auszurichten,

(Zuruf von der AfD: Sehr richtig!)

uns auf den Weg zu einem Bewerbungsverfahren zu machen, und das mit der Unterstützung der Menschen in diesem Land.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Philipp Hartewig [FDP])

Die Spiele von 1936 in Berlin jähren sich in einigen Jahren zum 100. Mal. 2036 wird gleichzeitig die nächste Möglichkeit für Deutschland sein, sich um Olympische und Paralympische Sommerspiele zu bewerben. Sollte es am Ende des vom DOSB angestrebten Prozesses tatsächlich eine Bewerbung für dieses Jahr 2036 geben, ist dies eine große Chance, die allerdings auch mit einer großen Verantwortung einhergeht.

Der antragstellenden Fraktion scheint dieser historische Zusammenhang nicht wirklich bewusst zu sein; denn sie erwähnt diesen nicht mit einem Wort. Sie argumentieren auf den sieben Seiten Ihrer beiden Anträge, dass Deutschland endlich wieder an der Reihe sei, Olympische Spiele auszurichten, weil wir im historischen Vergleich viel weniger Spiele ausgerichtet hätten als beispielsweise andere Industrienationen.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Wenn Sie aber genau auf diese deutsche Olympiageschichte schauen, wieso fällt es Ihnen dann eigentlich so schwer, Deutschlands erste Olympische Spiele als „Nazispiele von 1936“ zu bezeichnen?

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Machen wir! Ist doch gar nicht wahr! Das ist doch Unsinn! Das haben wir nie anders bezeichnet! – Beatrix von Storch [AfD]: Hören Sie auf! Das ist doch lächerlich!)

Die Spiele von 1972 in München hingegen erwähnen Sie. Aber dass dort elf israelische Sportler und ein Polizist ums Leben gekommen sind, lassen Sie ebenso unter den Tisch fallen.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wir lassen gar nichts unter den Tisch fallen! Was erfinden Sie denn hier? Unglaublich!)

Dabei gehört genau dieses Attentat zur deutschen Olympiageschichte und geht mit einer großen Verantwortung unsererseits einher.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Was diese Verantwortung gegenüber der deutschen Geschichte für den Austragungsort Deutschland bedeutet, kann, glaube ich, ein Sowohl-als-auch der einzig logische Schluss sein:

Einerseits lehren uns Geschichte wie Gegenwart, dass Olympische und Paralympische Spiele nicht in Autokratien oder Diktaturen stattfinden dürfen. Denn die Hoffnung, dass durch die Ausrichtung von Spielen ein Wandel und ein Mehr an Menschenrechten in den Staaten erreicht werden können, war 1936 genauso naiv, wie sie es heute ist. Deshalb müssen wir bereit sein, Spiele selbst auszurichten, auch aus Respekt vor Athletinnen und Athleten, vor dem Publikum und vor denen, die von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind. Denn Menschenrechte dürfen nicht zum Spielball sportpolitischer Propaganda werden.

Andererseits verpflichtet uns gerade auch unsere demokratische Überzeugung zu einem sorgsamen Abwägen. Olympia muss ein gemeinschaftliches Projekt sein, ein gemeinschaftliches Vorhaben, hinter dem eben nicht nur wir Sportpolitikerinnen und Sportpolitiker oder der organisierte Sport stehen, sondern die Menschen in diesem Land.

Natürlich haben wir in diesem Land alles, was es als Grundlage braucht, um ein erfolgreiches Sportfest auszurichten: von Sportstätten über die Infrastruktur hin zu Unterbringungsmöglichkeiten. Dies haben viele Städte und Gemeinden in Deutschland. Wir könnten mal wieder Spiele erfolgreich durchführen, und das, ohne massiv in Stadien investieren zu müssen, deren Nachnutzung weder ökologisch nachhaltig noch ökonomisch nachhaltig wäre.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das nicht ganz ohne öffentliche Investitionen gehen würde. Gerade deshalb ist es in einer Demokratie wichtig, dass wir erst diskutieren und streiten, bevor wir uns auf den Weg zu einer Olympiabewerbung machen.

Bürgerinnen und Bürger müssen genauso gehört werden wie Athletenvertreterinnen und ‑vertreter, die Städte, die als Veranstaltungsorte infrage kommen, oder auch die Spitzenverbände. Wenn, wie gefordert, das Innenministerium gemeinsam mit dem DOSB im Alleingang eine Bewerbung auf den Weg bringen würde, wäre das aus meiner Überzeugung nicht mehr zeitgemäß.

(Jörn König [AfD]: Das ist überhaupt nicht gefordert worden!)

Deshalb ist ein ergebnisoffenes Vorgehen, das vom DOSB vorgeschlagen wird, der richtige Weg. Wir lehnen daher die Anträge folglich ab.

Erlauben Sie mir noch eine letzte Bemerkung. Auf sieben Seiten Ihrer beiden Anträge sprechen Sie ausschließlich von den Olympischen Spielen. Was ist denn mit den Paralympischen Spielen? Wollen Sie die nicht nach Deutschland holen? Aus meiner festen Überzeugung – und ich gehe davon aus, das sieht die Mehrheit des Hauses auch so – verdienen Sportlerinnen und Sportler mit einer Behinderung die gleiche Aufmerksamkeit, den gleichen Respekt wie jene Sportler ohne Behinderung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Jens Lehmann hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7548833
Wahlperiode 20
Sitzung 72
Tagesordnungspunkt Bewerbung für die Ausrichtung der Olympischen Spiele
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