Hermann-Josef TebrokeCDU/CSU - Einführung eines Familiensplittings
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor allem: Liebe Familien! „ Familien entlasten“ und „Keine Familie darf auf der Strecke bleiben“, so sind die beiden Anträge, die hier vorliegen, überschrieben. Ich kann sagen: Wer will das nicht? Ich gehe fest davon aus, dass darüber Einigkeit hier im Plenum besteht: Alle wollen dafür sorgen, dass Familien entlastet werden und keine Familie auf der Strecke bleibt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der AfD)
Aber ist das auch das vorrangige Motiv der Antragsteller?
(Zuruf von der AfD: Ja!)
Im Antrag ist erstens davon die Rede, dass man den Gründen entgegenwirken möge, weswegen Menschen sich gegen Kinder entscheiden. Wenn ich die Wortbeiträge aus der Debatte höre, habe ich erhebliche Zweifel, ob das das vorrangige Motiv ist. Zum Zweiten wird im Antrag deutlich gemacht, es gehe darum, die finanzielle Armut in Familien zu bekämpfen. Ich sehe aber, dass Instrumente in einer Variante vorgeschlagen werden, durch die gerade nicht die belasteten Familien in besonderer Weise berücksichtigt werden, sondern diejenigen, die einkommensstärker sind.
(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Genauso ist es!)
Darum meine Zweifel an der aufrichtigen Motivation der Antragsteller.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Meine Damen und Herren, positiv zu werten ist an dieser Stelle: Ich bin froh und dankbar darüber, dass wir eine Debatte zur Familienpolitik hier heute Nachmittag führen können. Es ist wichtig, dass wir diese Gelegenheit auch nutzen, den Familien mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung zukommen zu lassen. Wir brauchen ein wertschätzendes Umfeld; wir brauchen eine Willkommenskultur. Familien brauchen Infrastruktur, sie brauchen Zeit füreinander, und sie brauchen finanziellen Spielraum.
Darauf stellt der Antrag zumindest im Wortsinn ab. Das ist auch das, was ich in der Sache ansprechen möchte. Familiensplitting: Welche Variante? Sie haben sich offensichtlich für die Familientarifsplitting-Variante entschieden. Warum nicht die Realsplitting-Variante? Dazu sagt der Antrag nichts. Ich hätte auch gerne mehr darüber erfahren, wie Sie die Zählung der Kinder für den Divisor vornehmen: 0,5 oder 1,0; das ist gerade schon diskutiert worden.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist denen doch egal!)
Einige Berechnungen, die Sie durch die Bundesregierung haben anstellen lassen, kommen auf einen Divisor von 3,0, wenn man 100 000 Euro steuerfrei stellen will. In jedem Fall aber – und das ist der wichtige Punkt – profitieren insbesondere einkommensstarke Familien von diesem Modell, und das ist angesichts des erklärten Motivs etwas problematisch.
Man könnte Obergrenzen einführen, was die steuerlichen Effekte angeht. Darüber sagen Sie gar nichts. Das wäre dann intransparenter und vielleicht schwieriger zu kommunizieren. Erstaunlich ist: Sie halten am Kindergeld fest. In welcher Höhe? 250 Euro, 300 Euro? Man könnte auch argumentieren: in Höhe der maximalen Entlastung, die aus einem Kinderfreibetrag – Sie gehen auf einen Grundfreibetrag – resultieren könnte. Ist das so, damit jeder etwas davon hat?
(Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Das ist völlig irre!)
Jedenfalls findet eine Günstigerprüfung nicht statt. Das begünstigt natürlich wieder insbesondere die einkommensstärkeren Gruppen. Warum das?
(Jörn König [AfD]: Die Fleißigeren!)
Meine Damen und Herren, last, but not least. Die Kosten, die mit einem solchen Projekt verbunden sind, werden nicht expliziert; darauf haben meine Vorrednerinnen und Vorredner bereits hingewiesen. 30 Milliarden bis 40 Milliarden Euro, sagen erste Schätzungen, andere Schätzungen gehen auf 70 Milliarden Euro. Das hängt natürlich davon ab, wie diese Variante des Familiensplittingmodells genau ausgestaltet wird. Darüber haben wir eben noch viel zu wenig erfahren.
Ist das denn am Ende gerecht gegenüber allen Familien, was Sie da vorhaben? Ist es am Ende wirksam und vor allem effizient? Ich habe Familien mit jüngeren Kindern, aber ich habe auch junge Erwachsene vor Augen, die sagen: Das ist ja alles gut und schön, wenn ihr euch solche Schaufensterprojekte ausdenkt; aber ist denn sichergestellt, dass die Gegenfinanzierung funktioniert? Es wird immer gesagt, man spare an anderer Stelle. Oder ist das am Ende des Tages nicht doch wieder eine Neuverschuldung? Wer zahlt denn die Kapitaldienste dieser neuen Verschuldung von, sagen wir mal, 70 Milliarden Euro pro Jahr? Das sind doch wieder wir.
(Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Ja!)
Wenn diese Fragen nicht abschließend geklärt sind, ist es dann familien- und kinderfreundlich, solche großartigen Projekte hier aufzublasen? Ich finde, die jungen Menschen haben recht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Markus Herbrand [FDP])
Meine Damen und Herren, wir haben als Union sehr wohl die Auffassung, dass man auch steuerpolitisch agieren muss, wenn man familienpolitisch aktiv sein will. Da widerspreche ich Ihnen, Frau Wissler, Sie haben eine andere Auffassung vertreten. Familienpolitik ist eben nicht nur Sozialpolitik, auch Sozialpolitik, aber auch Steuerpolitik. Darum sind wir als Union – auch in der Oppositionszeit – intensiv im Austausch mit Familienverbänden, die sehr genau aufzeigen können, was für die Familien gerade in belasteten Situationen vielleicht gut oder weniger gut ist.
Über die Umsatzsteuer hat mein Kollege schon einiges gesagt; denn der Antrag ist fast deckungsgleich mit dem alten Antrag. Die Argumente sind ausgetauscht worden, auch angesichts des Antrags der Linken seinerzeit. Dazu brauche ich nicht mehr zu sagen.
Wir sind als Union nicht nur steuerpolitisch für Familien unterwegs; vielmehr haben wir auch im Bereich der Familiensozialleistungen Vorstellungen geäußert und weiterentwickelt, wie diese zusammengeführt werden sollen und können. Es ist unser gemeinsames Ziel, sollte es jedenfalls sein, den Familien im Bedarfsfalle den Zugang zu den notwendigen Leistungen zu erschließen.
Herr Schrodi, sooft Sie das Projekt „Kindergrundsicherung“ aufrufen, desto mehr sind meine Zweifel, ob das jemals etwas wird.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)
Das ist wie so ein Zauberwort, wie eine Beruhigungsformel: Irgendwann kommt die Kindergrundsicherung,
(Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Das ist für den nächsten Wahlkampf!)
dann werdet ihr alle staunen, was sie kann. – Ich mache mir große Sorgen, dass bis dahin die Familien, die Hilfe brauchen, längst schon in die Röhre schauen.
Meine Damen und Herren, Kinder sollen kein Armutsrisiko sein und sollen auch nicht darauf beschränkt werden. Kinder sind willkommen in der Gesellschaft. Sie sind ein Gewinn, auch, aber nicht nur für ihre Eltern. „ Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf“, hat jemand einmal gesagt, aber nicht ein Füllhorn, das unüberlegt ausgeschüttet wird. Darum müssen wir die beiden vorliegenden Anträge ablehnen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Für die SPD-Fraktion als letzte Rednerin in der Debatte: Melanie Wegling.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7548934 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 73 |
Tagesordnungspunkt | Einführung eines Familiensplittings |