Stephan ThomaeFDP - Änderung des Aufenthaltsgesetzes
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Baumann hat nun wirklich ein extrem selektives, düsteres, schwarzmalerisches Bild von der Wirklichkeit gemalt.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das ist einfach die Realität! – Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Braun“ nennt man das! Dunkelbraun!)
Aber alle Politik beginnt mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit. Wie ist denn die Wirklichkeit bei uns? Deutschland ist ein Land, in das ungeheuer viele Menschen kommen, weil sie hier ein besseres Leben führen wollen, weil sie Hilfe und Schutz vor Gewalt, Krieg und Bürgerkrieg suchen. Deswegen müssen wir uns in zweifacher Hinsicht ehrlich machen: Wirklichkeit eins ist: Deutschland ist ein Einwanderungsland.
(Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Dr. Franziska Kersten [SPD]: Schon lange!)
Seit Jahrhunderten ist Deutschland ein Einwanderungsland. Das haben nur viele in den letzten Jahrzehnten nicht so richtig wahrhaben wollen, obwohl die Gastarbeiter der Nachkriegsjahre einen enormen Anteil hatten am Aufbau des deutschen Wirtschaftswunders. Jetzt sind wir wieder in einer Situation, wo viele Arbeitgeber händeringend nach Arbeitskräften suchen. Wenn man sich mit Unternehmern unterhält, dann werden immer zwei Sorgen adressiert, die die Unternehmen in ihrem Fortkommen und ihrem Bestand bedrohen: Das sind aktuell die hohen Energiepreise. Das sind aber seit langer Zeit – die Lage verschärft sich zunehmend – die fehlenden Arbeitskräfte.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen müssen wir lernen, Einwanderung als Chance zu verstehen, aber auch als Notwendigkeit. Das ist die eine Wahrheit.
Und die zweite Wahrheit ist: Ja, nicht alle Menschen, die bei uns Asyl beantragen, haben auch einen validen Asylgrund, und nicht alle, die gerne bei uns arbeiten möchten, bringen dafür auch die notwendigen Voraussetzungen mit. Deswegen müssen wir auf diese beiden Wahrheiten auch auf zweierlei Weise reagieren: Wir brauchen eine wirksame Migrationskontrolle; wir brauchen aber auch eine bessere Integrationsförderung bei uns im Land.
(Beatrix von Storch [AfD]: Vor allem brauchen wir Migrationsbegrenzung!)
Das ist kluge Migrationspolitik: beides im Blick zu behalten. Deswegen legen wir heute zwei Gesetzentwürfe vor, die auf diese beiden Aspekte abzielen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Erste ist, dass die Asylgerichtsverfahren bei uns viel zu lange dauern. Sie dauern im Bundesschnitt über 26 Monate. Das ist zu lang. Das müssen wir beschleunigen, natürlich mit der Behutsamkeit, die wir immer brauchen, wenn wir rechtsstaatliche Grundsätze nicht über Bord werfen wollen. Deswegen gehen wir vorsichtig und behutsam vor, versuchen, an verschiedenen Stellen beschleunigende Schritte zu ergreifen. Wir wissen natürlich genau, dass es nicht den einen Knopf gibt, mit dem man den Turbo einschalten kann. Wir gehen behutsam und vorsichtig und doch wirksam vor.
Wir entlasten auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; denn wir sehen künftig davon ab, dass jeder Asylbescheid regelmäßig wieder überprüft werden soll. Das bindet beim BAMF enorme Personalressourcen und führt nur in etwa 5 Prozent der Fälle tatsächlich zu einer Korrektur der Asylbescheide. Das ist ineffizient. Deswegen wollen wir künftig eine Asylprüfung nur noch anlassbezogen vornehmen lassen.
Ja, ich weiß. Die einen sehen die Verlängerung der Abschiebehaft sehr kritisch. Und die anderen sehen die staatliche Förderung einer behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung sehr kritisch. Aber bei der Abschiebehaft treten wir nur an Straftäter heran und klammern die Minderjährigen aus. Und bei der Asylverfahrensberatung haben wir uns das Modell der Schweiz vor Augen gehalten, wo auch eine Trennung von Beratung und Entscheidung vorgenommen wird, und das mit viel Erfolg. Und keine Angst, es wird Standards geben, wie diese Beratung ausgestaltet sein muss. Das ist der eine Gesetzentwurf.
(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Der zweite Gesetzentwurf betrifft den Chancen-Aufenthalt. Wir müssen bei der Integration der Menschen endlich mehr in die Offensive gehen. Über 130 000 Menschen in Deutschland sind seit über fünf Jahren geduldet, können aber nicht abgeschoben werden, bekommen aber auch keinen Aufenthaltstitel und hängen im Sozialsystem fest, anstatt in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. Da müssen wir doch vorankommen. Wir dürfen nicht dauernd versuchen, die Falschen abzuschieben. Wir müssen diejenigen, die sich integrieren wollen, integriert sind und auch arbeiten wollen, doch arbeiten lassen. Das ist doch ein Widerspruch: einerseits über Arbeitskräftemangel zu klagen, andererseits aber diejenigen, die bei uns arbeiten wollen, daran zu hindern, ihnen Steine in den Weg zu legen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen ist unser Chancen-Aufenthaltsrecht ein wichtiger Baustein. Es richtet sich an Menschen, die über fünf Jahre hier sind, gut integriert sind und die Sprache beherrschen, straffrei sind, deren Identität geklärt ist. Der Gesetzentwurf richtet sich vor allem nur an Vorgänge in der Vergangenheit. Für die Zukunft wollen wir eine neue Regelung zur Fachkräfteeinwanderung durchsetzen. Dafür ist in dieser Woche auch ein Eckpunktepapier im Kabinett beschlossen worden.
Insofern beinhaltet unser Migrationspaket beides: Es schafft Verbesserungen bei der Migrationskontrolle und Verbesserungen bei der Integrationsförderung. Das ist ein Beispiel für kluge Migrationspolitik, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Clara Bünger.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7549131 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 74 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Aufenthaltsgesetzes |