02.12.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 74 / Tagesordnungspunkt 30

Alexander ThromCDU/CSU - Änderung des Aufenthaltsgesetzes

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Deutschland erbringt wahrlich seit Jahren eine große humanitäre Leistung bei der Aufnahme von Schutzberechtigten. Das zeigt sich gerade auch in diesem Jahr. Darauf können wir alle zu Recht stolz sein.

(Zuruf der Abg. Leni Breymaier [SPD])

Es galt aber immer auch: Wer keinen Schutz braucht, der hat in letzter Konsequenz unser Land wieder zu verlassen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist die Balance zwischen Humanität auf der einen und Ordnung auf der anderen Seite.

(Zuruf der Abg. Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dabei gab es bisher schon viele Möglichkeiten für Ausreisepflichtige, wenn sie rechtstreu waren, wenn sie Integrationsbereitschaft gezeigt haben, wenn sie insbesondere auch gearbeitet haben, hier ein Daueraufenthaltsrecht zu erhalten.

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört, hört! Sind Sie jetzt dafür oder dagegen?)

Nun reduzieren Sie von der Ampel, Frau Kollegin Göring-Eckardt, die Anforderungen an diese Integrationsvoraussetzungen. Damit bringen Sie die Balance in unserem System zwischen Humanität und Ordnung in Schieflage.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn erstmals in der Geschichte wird Personen ohne geklärte Identität ein Aufenthaltsrecht gewährt.

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man vorher kein Angebot zum Sprachkurs bekommen hat, wie soll man die Sprache können? Wenn man keine Arbeitserlaubnis hat, wie soll man dann arbeiten?)

Die Klärung der eigenen Identität ist aber das Mindeste, was wir von Menschen erwarten können, wenn sie hier bei uns bleiben wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Und das machen Sie deshalb, weil nur diese Personengruppe von Geduldeten Ihr sogenanntes Chancen-Aufenthaltsrecht überhaupt braucht; sie braucht nämlich den Abschiebeschutz von einem Jahr bzw. jetzt eineinhalb Jahren, um ihre Identität offenbaren zu können. Und – oh Wunder – sofern sie den Abschiebeschutz über das Chancen-Aufenthaltsrecht von Ihnen bekommen haben, dann werden sie ihre Identität offenbaren. Das ist nicht in Ordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Balance verloren!)

Herr Kollege Thomae, wenn Sie das jetzt mit Arbeitsmigration, gar von Fachkräften, begründen wollen, dann reden Sie an der geltenden Rechtslage vorbei.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: So ist es!)

Auch Geduldete haben heute nach geltender Rechtslage grundsätzlich die Möglichkeit, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten,

(Beifall bei der CDU/CSU)

mit Ausnahme der Personengruppe, die nicht an ihrer Identitätsklärung mitwirkt, was zumutbar ist, und derjenigen aus sicheren Herkunftsländern. Das heben Sie ja aber auch noch auf. Insofern ist Ihr Gesetz nichts Neues in Bezug auf den Arbeitsmarkt, Sie nehmen damit nur die Personen mit ungeklärter Identität mit hinein, liebe Kolleginnen, Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Jetzt haben Sie hinsichtlich der Erteilung des Bleiberechts auch das Alter für gut integrierte Jugendliche auf bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres erhöht. Wir wissen, zwei Drittel aller Asylbewerber, die kommen, sind Männer – das hat damit jetzt nichts zu tun –,

(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit Männern zu tun? Erklären Sie das doch mal!)

aber vor allem sind sie genau in dieser Altersgruppe. Deswegen habe ich Herrn Staatssekretär Saathoff am 9. November bei der Fragestunde gefragt, wie denn die Rechtsfolgenabschätzung der Ampel aussehe, mit wie vielen Menschen man denn rechne, die zukünftig über diesen Weg „Alter bis 27 Jahre“ hier ein Daueraufenthaltsrecht bekommen können. Herr Saathoff sagte:

Daher ist jede Prognose mit Unwägbarkeiten verbunden, und jede Aussage darüber wäre nicht zu verantworten.

Wie können Sie es dann verantworten, hier ein Gesetz zu machen, von dem Sie offenkundig selbst nicht wissen, welche Rechtsfolgen es haben wird?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dann haben Sie das Problem erkannt, dass es dann, wenn Sie die Aufenthaltszeiten auf sechs, vier oder gar drei Jahre verkürzen, quasi einen nahtlosen Übergang vom Asyl- und Klageverfahren, von der Gestattung in das Daueraufenthaltsrecht gibt, in aller Regel in wenigen Monaten

(Stephan Thomae [FDP]: Wir führen ein Duldungsjahr ein!)

– ich komme gleich genau darauf –, und dass deshalb der Rechtsanspruch des Staates, eine Ausreisepflicht durchzusetzen, gar nicht mehr umsetzbar ist. Das haben Sie erkannt, sind auf die Kritik eingegangen und machen jetzt eine Vorduldungszeit von zwölf Monaten. Das heißt, in diesen zwölf Monaten kann bei den Jugendlichen bis 27 Jahren grundsätzlich noch eine Abschiebung stattfinden.

(Stephan Thomae [FDP]: Ja!)

Das führt aber zu dem absurden Ergebnis, dass ein gut integrierter Jugendlicher, der die Schule besucht hat und einen Abschluss hat, der Deutsch kann, der rechtstreu ist, weil er nämlich seine Identität geklärt hat, in diesen zwölf Monaten abgeschoben werden kann.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Genau!)

Der Rechtsuntreue, der seine Identität nicht offenbart hat, erhält von Ihnen über das Chancen-Aufenthaltsrecht einen Abschiebeschutz und kann nicht abgeschoben werden, und zwar an keinem einzigen Tag seit seinem Aufenthalt hier in Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das ist das absurde Ergebnis Ihres Gesetzentwurfs, Ihres Änderungsantrags am heutigen Tag. Frau Polat, ich kann Sie insofern verstehen, dass Sie dieser Vorduldungszeit nicht zustimmen wollten.

Herr Throm, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kaddor?

Sehr gerne.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, vielen Dank. – Herr Kollege Throm, Sie haben ja sozusagen darauf verwiesen, dass es offensichtlich am Arbeitsmarkt nicht wirklich funktioniert. Den 2,5 Millionen Arbeitslosen, die es gibt, stehen 1,5 Millionen offene Stellen gegenüber. Warum haben Sie denn dieses Problem in den Jahren während Ihrer Regierung eigentlich nicht gelöst?

Zweitens: Was ist denn Ihr konkreter Vorschlag, der wiederum eine Modernisierung der Zuwanderungsregeln, wie wir sie hier ja planen und vorstellen, überflüssig machen würde? Ich bin sehr gespannt auf Ihre Ideen.

Vielleicht erklären Sie noch kurz, warum Sie gerade auf junge Männer verwiesen haben, wie Ihre Kollegin davor übrigens auch. Was hat dieser Sachverhalt mit jungen Männern zu tun?

(Zurufe von der CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin, ich habe darauf hingewiesen, dass eben in dieser Altersgruppe überwiegend Männer kommen, habe aber gleich gesagt, dass das mit diesem Gesetz nichts zu tun hat. Das ist die Statistik, die besagt: Zwei Drittel sind Männer bis zum Alter von 27 bzw. 29 Jahren.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das ist bloße Statistik!)

Was den Arbeitsmarkt anbelangt – darauf habe ich ja gerade hingewiesen –: Die meisten Geduldeten könnten heute schon arbeiten, eine Arbeitserlaubnis erhalten,

(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man sie lassen würde!)

sie arbeiten nur nicht. Es sind 27 000 Geduldete, die tatsächlich in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis sind. Unseren Lösungsvorschlag sehen Sie in § 60b Aufenthaltsgesetz mit der sogenannten Duldung light, die wir seinerzeit gemeinsam mit unserem Koalitionspartner SPD in einem Kompromiss eingeführt haben. Damals waren wir beide gemeinsam der Auffassung, dass wir alles von den Menschen Zumutbare erwarten können hinsichtlich ihrer Identitätsklärung und der Passbeschaffung und dass dann natürlich auch eine Arbeitserlaubnis gegeben werden kann. Solange das nicht passiert, gibt es keine Arbeitserlaubnis. Es handelt sich aber genau um diese Personengruppe, also die ohne geklärte Identität. Und es ist auch richtig, dass wir nur die belohnen, die auch tatsächlich rechtstreu sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und Sie, die Ampel, wollen genau diese Lösung bei Ihrem nächsten Migrationspaket abschaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Throm, lassen Sie noch eine Frage des Kollegen Thomae aus der FDP-Fraktion zu?

Natürlich, sehr gerne.

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. – Ich habe den Widerspruch, den Sie aufgezeigt haben, vernommen, glaube aber, dass es ein Scheinwiderspruch ist. Denn bei den Personen, die Sie als die rechtstreuen Erwachsenen darstellen und die schlechtergestellt würden als die rechtsuntreuen jungen Erwachsenen, handelt es sich um solche Personen, die sich schon mehr als fünf Jahre im Inland befinden. Der Chancen-Aufenthalt ist ja der Clou des § 104c Aufenthaltsgesetz. Er behandelt einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Vorgang. Deswegen war es hier schon möglich, diese Menschen fünf Jahre abzuschieben. Da brauchen wir nicht noch einmal ein Jahr, während wir bei der anderen Personengruppe noch ein Jahr brauchen, um die Abschiebung durchzuführen.

Herr Kollege Thomae, danke für die Frage.- Sie gibt mir die Gelegenheit, noch ein paar Erklärungen zu machen. Sie haben den Stichtag angesprochen, indem Sie gesagt haben, dass es nach hinten wirkt. Wissen Sie, was ein Stichtag eigentlich bedeutet? Der bedeutet, dass man als Gesetzgeber weiß, dass man etwas macht, was eigentlich falsch ist.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Genau!)

Deswegen will man sich durch einen Stichtag vor den weiteren Wirkungen dieses Gesetzes schützen. Das ist so. Sie wollen Nachahmer vermeiden, die sich dann auf dieses Gesetz berufen können. Sie erkennen also, dass etwas falsch ist. Das Problem bei Stichtagen, Fristen und wie auch immer in der Gesetzgebung – das war bei uns ganz genau so, wie es bei Ihnen zukünftig sein wird – ist: Sie werden meistens aufgehoben, entfristet, und es wird daraus eine Dauerlösung gemacht. Dadurch, dass Sie die Frist jetzt schon zum 31.10. dieses Jahres verlängert haben, zeigen Sie, dass Sie auch an dem Stichtag weiter drehen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Thomae, Sie haben gefragt nach dem Widerspruch bei § 104c zwischen den Jugendlichen, die, wenn sie gut integriert sind, in diesen zwölf Monaten Vorduldungszeit abgeschoben werden können, und den sogenannten Erwachsenen, die nicht unter § 25a Aufenthaltsgesetz fallen. Nein, Sie haben die Situation nicht richtig erkannt. Es geht nicht um die Frage, wann, nach wie vielen Jahren jemand abgeschoben werden kann – nach drei oder nach fünf Jahren –, sondern es geht darum, dass Sie ein Gesetz machen, bei dem der rechtstreue Jugendliche bis 21, 27 Jahren, der eine Schule besucht hat, einen Abschluss gemacht hat, Deutsch spricht, bestens integriert ist – die wollen wir auch hier behalten, jedenfalls bis 21 Jahre –, nach Ihrem Änderungsantrag über diese zwölf Monate Vorduldungszeit abgeschoben werden kann. Der Rechtsuntreue, der von mir aus zwei Jahre länger hier ist – fünf Jahre –, der nicht gut integriert ist, weil er seine Identität nicht geklärt hat – wer seine Identität nicht offenbart, kann schon per Gesetzesdefinition nicht gut integriert sein –,

(Beifall bei der CDU/CSU)

erhält von Ihnen über das Chancen-Aufenthaltsrecht quasi einen Abschiebeschutz. Nicht einen Tag in der Zeit, in der er sich in Deutschland befindet, kann er abgeschoben werden. Das ist der Widerspruch. Das ist der Murks in Ihrer Gesetzgebung, Herr Kollege Thomae.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kollegen, ich bedanke mich grundsätzlich für jede Zwischenfrage.

Zur Rückführungsoffensive. Für die Vergangenheit bereinigen Sie die Statistik, für die Zukunft gibt es großzügige Bleiberechte, und für die Problemfälle schaffen Sie im nächsten Migrationspaket die eidesstattliche Erklärung zur Identitätsklärung. Es bleiben zum Schluss nur noch die Straftäter übrig, die abgeschoben werden. Ihre Rückführungsoffensive, die der FDP so wichtig ist, ist ein reiner Etikettenschwindel. Deswegen lehnen wir das Gesetz heute ab.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Adis Ahmetovic.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Personen

Dokumente

Automatisch erkannte Entitäten beta

Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7549138
Wahlperiode 20
Sitzung 74
Tagesordnungspunkt Änderung des Aufenthaltsgesetzes
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta