02.12.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 74 / Tagesordnungspunkt 32

Sebastian BrehmCDU/CSU - Jahressteuergesetz 2022

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jahressteuergesetze sind ja immer komplexe Angelegenheiten. Beim diesjährigen Jahressteuergesetz hatte allein der Referentenentwurf 142 Seiten. Es gab 70 Änderungsanträge; Kollege Daldrup hat es erwähnt. 16 verschiedene Gesetze und Verordnungen werden umfasst. Letztlich handelt es sich eben doch um ein Sammelsurium wie in jedem Jahressteuergesetz.

(Katharina Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gesamtkunstwerk!)

Und eines muss man der Ampel lassen: Ihr ist es in diesem Jahr gelungen, einen gewissen roten oder rot-gelb-grünen Faden in all diese Änderungen zu bringen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Klatschen Sie nicht zu früh! – Der rote Faden ist: Fast alle Änderungen sind in irgendeiner Weise unstimmig, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD – Bernhard Daldrup [SPD]: Unstrittig!)

Erstens: Praxisuntauglichkeit der Vorschriften.

(Lachen des Abg. Markus Herbrand [FDP])

Zweitens: mutmaßliche Verfassungswidrigkeit von Vorschriften. Drittens: offener Wahlbetrug, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD – Christian Petry [SPD]: Darunter geht’s bei Ihnen nicht mehr! – Katharina Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht’s eine Nummer kleiner?)

Ich will das nicht nur behaupten, sondern ich will jede Unstimmigkeitsart auch mit einem konkreten Beispiel versehen, angefangen – erstens – mit der fehlenden Praxistauglichkeit.

(Zuruf des Abg. Johannes Schraps [SPD])

Die von der Ampel vorgenommene Besteuerung der Energiepreispauschale für Rentnerinnen und Rentner sowie die Besteuerung des Gasabschlags sind handwerklich so schlecht, dass die Bundesländer sogar drohen mussten oder drohen werden, in den Vermittlungsausschuss zu gehen, weil sie fürchten, dass damit eine überbordende Bürokratie verbunden ist

(Katharina Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee, ehrlich gesagt, machen sie das aus politischen Gründen! Und das wissen Sie auch ganz genau!)

und das Veranlagungsverfahren in den Finanzämtern stocken wird. Herr Marvi, Sie haben gesagt, Sie hätten irgendwie vereinfacht. Was Sie hier machen, bedeutet pures Verwaltungsbürokratiechaos. Darunter muss man das subsumieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Michael Schrodi [SPD]: Homeoffice-Pauschale, Pauschbetrag, das alles wollen Sie nicht? – Zuruf des Abg. Christian Petry [SPD])

Zweitens: die Verfassungswidrigkeit. Der fachlich nicht zuständige Wirtschaftsminister hat mit seinen Beratern auf der falschen Rechtsgrundlage eine diskriminierende Übergewinnsteuer geschaffen, die in einigen Fällen sogar zu erheblichen Besteuerungen führen wird. Wenn man schon Umverteilung vornehmen will, dann muss man es wenigstens richtig machen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und zwar auch fachlich richtig. In der öffentlichen Anhörung am Montag haben die Sachverständigen keinen Zweifel daran gelassen, dass das, was die Ampel hier plant, unionsrechtswidrig und verfassungswidrig ist. Wir werden sehen, wie das ausgeht.

Drittens: der offene Wahlbetrug. Die FDP hat im Wahlkampf versprochen: „Es wird keine Steuererhöhungen geben“,

(Zuruf von der FDP: Es gibt auch keine!)

und hat gesagt – ich kann nur wiederholen, was ich gestern in der Debatte zitiert habe –: „Steuererhöhungen sind Sabotage am Aufschwung.“

(Dr. Sebastian Schäfer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt keine Steuererhöhung! – Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird keine Steuererhöhung geben!)

Erst am 28. November – das muss man einfach auch noch mal heute hier erwähnen – hat der Bundesfinanzminister Christian Lindner beim Zentralverband des Deutschen Handwerks gesagt: „Wir sind in der Vorweihnachtszeit: Fürchtet euch nicht.“

(Markus Herbrand [FDP]: Der Textbaustein von gestern!)

– Man muss das noch mal wiederholen; denn das ist erst vor vier Tagen gesagt worden.

(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird auch nicht richtig, wenn Sie es noch mal wiederholen!)

– Sie lachen, aber die Menschen da draußen lachen nicht, weil Sie mit Ihren Händen tief in die Geldbeutel der Menschen greifen

(Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Unsinn! Das stimmt nicht! Das wissen Sie auch!)

und ihnen das hart ersparte Geld wegnehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist die Wahrheit. Wenn Sie hier lachen, lacht draußen überhaupt niemand mehr, weil die Menschen kalt enteignet werden,

(Zuruf: Unfassbar!)

und zwar von der FDP und dem Bundesfinanzminister Christian Lindner, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD – Zuruf der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP])

Das ist quasi ein Kleben in den Geldbeutel der Menschen – im übertragenen Sinn, wenn Sie das Wording vielleicht verstehen.

Möchten Sie, Herr Kollege, eine Zwischenfrage zulassen?

Selbstverständlich gerne.

Bitte sehr.

Vielen Dank. – Herr Kollege Brehm, ich bin, wie ich bekennen muss, großer Bewunderer der bayerischen Tradition, auch im Bierzelt politische Reden zu halten, und nehme auch gern Anteil daran, dass es Ihnen regelmäßig gelingt, ausgerechnet in der trockenen Steuerpolitik diese gute bayerische Tradition sogar in den Plenarsaal des Deutschen Bundestages zu tragen. Herzlichen Glückwunsch dazu!

(Heiterkeit der Abg. Katharina Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Früher war es so, dass die Union, wenn das Bundesverfassungsgericht bestimmte Dinge verlangt hat, zumindest noch ein bisschen zugehört hat. Das spielt für Sie beim Thema Erbschaftsteuer gar keine Rolle mehr.

Ich will Sie jetzt aber etwas anderes fragen. Das Jahressteuergesetz wird im Bundesrat behandelt werden, und die B‑Länder-Seite, die unionsgeführten Landesregierungen, haben drei Themen aus dem Jahressteuergesetz, aus 142 Seiten, für den Vermittlungsausschuss angemeldet. Und – oh Wunder! – das von Ihnen gerade mit großem Getöse angesprochene Thema, nämlich das Thema der Bewertung für die Zwecke der Erbschaftsteuer, wurde von der Unionsseite für den Vermittlungsausschuss nicht angemeldet.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Was? – Markus Herbrand [FDP]: Ach?)

Es wird also im Bundesrat akzeptiert werden.

Ich würde von Ihnen jetzt einfach gerne wissen, wie es sein kann, dass Sie dieses Thema hier riesengroß skandalisieren und es dort, wo die Wahrheit auf dem Platz liegt, wo die Union mitreden kann, noch nicht einmal für eine weitere Beratung angemeldet wird. Herr Kollege, haben Sie dafür eine Erklärung?

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Konstantin Kuhle [FDP]: Heuchelei!)

Lieber Kollege Toncar, herzlichen Dank, dass Sie mir noch mal die Gelegenheit geben, hier ein bisschen auszuführen. Ob das, was Sie vorhaben, verfassungsrechtlich geboten ist, kann man diskutieren.

(Lachen und Beifall bei Abgeordneten der FDP – Michael Schrodi [SPD]: Das Verfassungsrecht ist bei Ihnen wirklich nicht gut aufgehoben!)

Das ist überhaupt keine Frage; das habe ich gestern auch gesagt. Es geht ja darum, den gemeinen Wert der Immobilie darzustellen. Da brauchen Sie mir keine Nachhilfe geben. Aber es ist auch nicht verboten, die Freibeträge anzuheben.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie haben nämlich angekündigt, auch der Bundesfinanzminister hat angekündigt, die Freibeträge anzuheben, und passiert ist gar nichts.

Bezogen auf Ihre Frage zum Bundesrat empfehle ich Ihnen, den Antrag des Freistaats Bayern zu genau dieser Sache – Erhöhung der Freibeträge – zur Kenntnis zu nehmen.

(Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir gestern gut begründet, warum der Quatsch ist!)

Und wenn Sie es als FDP ernst meinen würden, dann würden Sie diesem Antrag des Freistaats Bayern im Bundesrat zustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dann hätten wir das Thema erledigt. Erhöhung der Werte und Erhöhung der Freibeträge – das wäre für uns in Ordnung.

(Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben unrecht, aber das ist Ihnen scheinbar egal!)

Wir haben zusätzlich noch die Frage der Regionalität und der Regionalisierung der Erbschaftsteuer eingebracht. Ich denke, wenn Sie es ernst meinen, dann können wir das miteinander umsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir können diesem Jahressteuergesetz aufgrund der drei Faktoren, die ich genannt habe – keine Verfassungsmäßigkeit, viel zu viel Bürokratie, die Frage der Erbschaft- und Schenkungsteuer –, nicht zustimmen, auch wenn ich nicht verschweigen will, dass einige Punkte umgesetzt worden sind, die für sich gesehen in Ordnung sind:

(Beifall des Abg. Markus Herbrand [FDP])

Sie verstetigen die Homeoffice-Pauschale, übrigens eine Idee der CSU.

(Beifall des Abg. Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU] – Widerspruch bei der SPD)

Danke, dass Sie das verstetigen! Sie haben das letzte Mal sogar fast dagegen geredet. Wir als CDU/CSU haben das ins Rennen gebracht. Die Verlängerung der Sonderabschreibung für den Mietwohnungsneubau, auch eine CDU/CSU-Idee, die Sie das letzte Mal kritisiert haben, weil sie die Reichen nur reicher machen würde, setzen Sie jetzt um.

(Zuruf des Abg. Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Eine späte Erkenntnis, aber auch in Ordnung!

Was aber natürlich nicht dabei ist: die Beseitigung der künftigen Doppelbesteuerung bei den Renten – Sie haben immer angekündigt, das zu tun –, die Modernisierung der Unternehmensbesteuerung und das Vorziehen des Abbaus der kalten Progression auf 2022.

(Kay Gottschalk [AfD]: Das war eine AfD-Forderung!)

Deswegen können wir diesem Gesetz nicht zustimmen. Wir lehnen dieses Gesetz ab. Sie machen als Ampel die Menschen in unserem Land Tag für Tag ärmer.

(Katharina Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch nicht! Frau Tillmann sagt: Das kostet einen Haufen Geld! Sie sagen: Das bringt einen Haufen Geld! Also was?)

Dagegen wehren wir uns mit aller Entschiedenheit.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Stefan Schmidt hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen, mit Mikro sogar; er muss gar nicht weiter dazwischenrufen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7549178
Wahlperiode 20
Sitzung 74
Tagesordnungspunkt Jahressteuergesetz 2022
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