Derya Türk-NachbaurSPD - Iranische Protestbewegung - frauenorientierte Außenpolitik
Erst einmal: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, liebe Frau Ministerin! – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Iran! Wer wird der oder wer wird die Nächste sein? Das ist die quälende Frage für Millionen Iranerinnen und Iraner, die sie in den Schlaf begleitet und morgens schweißgebadet aufschrecken lässt. Eine iranische Freundin erzählt mir, dass sie mit dem Handy in der Hand einschläft und der erste Blick am Morgen ihrem Telefon gilt – aus Sorge vor weiteren schlimmen Nachrichten.
Nach der Hinrichtung der zwei jungen Demonstranten Mohsen Shekari und Madschidresa Rahnaward sind die quälenden Nächte noch viel, viel unerträglicher geworden. Mohsen und Madschidresa waren beide gerade einmal 23 Jahre alt. Mohsen wurde am Donnerstag in Teheran hingerichtet und Madschidresa am Montag in Maschhad. Sie hätten einen „Krieg gegen Gott und gegen die islamische Ordnung“ geführt, sagt die Justiz – ein Vorwurf, der aktuell mindestens 38 weitere inhaftierte Demonstranten das Leben kosten wird, wenn sich dieses Terrorregime nicht aufhalten lässt.
Wird es heute das Brüderpaar Farhad und Farzad Tahazadeh treffen oder den 19-jährigen Mohammad Broghani? Wie viele junge Frauen wie Armita Abbasi werden noch in den Gefängnissen brutalst vergewaltigt werden, um dann spurlos zu verschwinden? Noch wie viele Mütter, wie viele Väter werden ihre Kinder zu Grabe tragen müssen und mit dem Leichnam die ungelebten Hoffnungen und Träume ihrer Kinder beerdigen? Ich weiß es nicht; wir wissen es nicht. Was wir allerdings wissen, ist, dass dieser staatlich angeordnete Terror sofort aufhören muss.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Heute sind es nun 90 Tage. In diesen 90 Tagen wurden mehr als 18 000 Menschen inhaftiert, Tausende vergewaltigt und gefoltert, über 460 getötet, darunter über 60 Kinder. Die demonstrierenden Menschen im Iran zeigen uns: Das kostbarste Gut ist die Freiheit. Sie will mit Loyalität und Mut verteidigt werden. Der Ruf nach Freiheit lässt sich nicht einsperren. Die Hoffnung auf Zukunft lässt sich nicht vergewaltigen. Die Träume der Jugend lassen sich nicht auspeitschen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Diese Erkenntnis schüchtert die Führung der Islamischen Republik Iran ein. Der Mut der protestierenden Frauen und der Jugend auf den Straßen versetzt Khamenei in Angst und Schrecken. Khamenei weiß ganz genau, dass er alles verlieren wird, wenn diese mutigen Menschen in Irans Straßen, Schulen und Universitäten nicht gestoppt werden.
Die Protestbewegung ist zu einer Revolutionsbewegung geworden. Es gibt kein Zurück mehr. Das Ausmaß und die Dauer des zivilen Aufstands gegen die Mullahs und ihr Regime haben eine seit Jahrzehnten nicht gesehene Wucht erreicht. Das weiß die islamistische Führung. Daher ist jedes Mittel recht: Die willkürlich ausgesprochenen Todesurteile sollen Stärke demonstrieren, sollen die Menschen einschüchtern; die Exekutionen sind ein Signal der Schwäche und der Angst.
An die Herren Entscheidungsträger im Iran: Sie haben Angst vor Ihren eigenen Bürgerinnen und Bürgern. Sie haben Angst vor Machtverlust. Sie sind zwar besser ausgerüstet, Sie haben das Geld, Sie haben die Strukturen, Sie haben einen Überwachungsapparat, Sie haben Partner, die zu Ihnen passen – aber Sie haben keine Zukunft. Die Zukunft gehört der Freiheit.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir Demokratinnen und Demokraten stehen dabei ganz fest an der Seite der unterdrückten Menschen. Das haben wir mit dem von der Koalition eingebrachten und beschlossenen Antrag vor wenigen Wochen ziemlich deutlich zum Ausdruck gebracht, ohne die Frauen im Iran zum „Testfall“ erklären zu müssen. Ich wiederhole mich, weil ich das schon in der ersten Debatte zu diesem Antrag gesagt habe: Die Frauen im Iran sind weder ein Testfall noch ein Spielball irgendwelcher Parteipolitik. Liebe Kollegen von der Union, das wissen Sie auch.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Vieles, was Sie fordern, ist bereits Beschlusslage, und vieles andere ist in Arbeit. Auch ich möchte die Revolutionsgarden geschlossen auf der Terrorliste sehen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich möchte auch die Abgeordneten des iranischen Parlaments, die für diese unmenschlichen Hinrichtungen plädieren, auf dieser Terrorliste sehen. Ich möchte auch die Staatsanwälte und Richter, die für diese Exekutionen verantwortlich sind, auf genau dieser Terrorliste sehen.
Es ist allerdings nicht so einfach, wie wir uns das wünschen. Das EU-Recht ist da ziemlich klar – die Council-Nummer sage ich Ihnen nicht; aber es ist dokumentiert –: Erste Voraussetzung ist, dass eine nationale Strafverfolgungs- oder Ermittlungsbehörde in einem EU-Mitgliedstaat ein Verfahren eingeleitet hat oder eine Verurteilung erfolgt ist. Das ist bislang nicht der Fall. Aber das wissen Sie doch auch. Wir tun alles, was momentan rechtlich möglich ist, und da hat sich zum Glück schon einiges getan. Auf Antrag Deutschlands hat sich der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen Ende November mit der Lage im Iran befasst und für unabhängige Untersuchungen der anhaltenden Gewalt gegen Demonstrierende gestimmt. Der Iran ist erst gestern auf Betreiben der USA aus einem UN-Gremium für Frauenrechte ausgeschlossen worden. Das sind so wichtige Zeichen. Bislang sind über 50 Einzelpersonen mit Bezug zu den Revolutionsgarden gelistet, entweder im Rahmen des spezifischen Iran-Sanktionsregimes oder im Rahmen des Menschenrechtsanktionsregimes.
Die Liste wäre lang. Es sind Banken sanktioniert. Es sind Geldgeber sanktioniert. Das Cyber-Abwehrkommando ist sanktioniert. Auch die Listung weiterer Personen ist in Arbeit. Die Menschen im Iran brauchen die Geschlossenheit aller Demokratinnen und Demokraten im Bundestag. Das Leid dieser Menschen eignet sich überhaupt nicht dazu, hier parteipolitische Profilierungsaktionen zu starten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Das macht doch keiner!)
Die Menschen im Iran und auch die iranische Community bei uns hier in Deutschland brauchen unser aller Stimme, unseren Schutz und unsere Unterstützung und vor allem eine ehrliche und sachliche Erklärung des EU-Rechts. Mit Parteipolitik ist in dieser Situation wirklich niemandem geholfen.
Mit einigen iranischen Freunden habe ich ausgemacht, dass wir spätestens an Newroz am Brandenburger Tor das Ende dieses Mullah-Regimes tanzend feiern. Ich hoffe, Sie sind dann auch dabei.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7549448 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 76 |
Tagesordnungspunkt | Iranische Protestbewegung - frauenorientierte Außenpolitik |