15.12.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 76 / Zusatzpunkt 3

Frank SchwabeSPD - Iranische Protestbewegung - frauenorientierte Außenpolitik

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Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Was ist das für ein Regime, das die eigenen Kinder umbringen lässt? Ich meine, man muss sich immer klarmachen: Während wir hier debattieren, sitzen Menschen in Zellen und wissen nicht, ob sie in Kürze gehängt werden, junge Menschen, die nichts anderes wollen als ihre Freiheit.

Es ist heute in der Debatte deutlich geworden, dass dieses Regime – ich glaube, dahin gehend gibt es Einigkeit in großen Teilen dieses Hauses – längst jede Legitimation verloren hat. Auch wenn die Demonstrationen nicht mehr so stattfinden können, weil sie dramatisch und drastisch unterbunden werden: Wir sehen die Proteste. Wir sehen, dass Geschäfte geschlossen sind. Wir sehen, dass Künstlerinnen und Künstler sich weigern, weiterhin zensiert Filme zu zeigen oder Bücher zu veröffentlichen.

So herzzerreißend das alles ist: Am Ende wird in der Tat die Veränderung nur aus dem Land selbst kommen können. Aber wir können helfen. Wir können helfen, indem wir den Protest, den es gibt, sichtbar machen, indem wir aufklären, indem wir den Resonanzboden schaffen für Menschen, die protestieren – weltweit, im Iran, in europäischen Ländern und auch in Deutschland. Das sind Frauen wie beispielsweise Düzen Tekkal und Natalie Amiri, die hier in Deutschland den Protest bündeln. Wir können versuchen, das Ganze ins Parlament zu bringen. Wir können versuchen, das Brandenburger Tor erstrahlen zu lassen, um genau diesen Protest deutlich zu machen: Frau, Leben, Freiheit – Jin, Jiyan, Azadi.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Oder wir können es machen – es ist vielfach gesagt worden –, indem wir Patenschaften übernehmen, und das machen wir: viele Patenschaften. Wir wollen dies morgen – ich will das für alle diejenigen sagen, die sich noch daran beteiligen wollen – demonstrieren, indem wir uns vor dem Parlament treffen. Wir bitten alle diejenigen, die eine Patenschaft übernommen haben, dort morgen dabei zu sein. Das machen wir nicht alleine in Deutschland, sondern es sind viele europäische Länder daran beteiligt. Es gibt in Deutschland viele Länderparlamente, wo solche Patenschaften übernommen werden. Das ist das, was wir machen können: sichtbar machen, wer gerade vom Tode bedroht ist, und uns mit den Menschen solidarisch erklären.

Und wir können die Debatte ins Parlament bringen. Das ist etwas, wo ich sagen würde, dass es das Verdienst der Union ist. Denn Sie haben den Tagesordnungspunkt heute aufgesetzt; das haben Sie ja schon gesagt.

Frau Bär, weil Sie versucht haben, es versöhnlich zu machen, will ich es auch versuchen: Wir können ja Einigkeit herstellen, dass wir alle wollen, dass die Revolutionsgarden verboten werden. Wir können aber auch Einigkeit herstellen, indem wir deutlich machen, dass es diese Bundesregierung ist, die versucht, wirklich alles zu tun, um den Iran zu isolieren und den internationalen Protest zu organisieren. Ich glaube, der deutsche Botschafter im Iran ist häufiger im iranischen Außenministerium als in der Botschaft im Iran. Das macht doch deutlich, was Deutschland da tut. Der UN-Menschenrechtsrat und die Aktivitäten dort sind beschrieben worden.

Deswegen: Bitte lassen Sie es uns doch so machen, dass wir diesen Popanz nicht aufbauen, indem Sie sagen, wann jemand was getwittert oder auch nicht getwittert hat. Es ist doch absurd, dieser Bundesregierung zu unterstellen, dass sie im Rahmen der Menschenrechtspolitik nicht ausreichend unterwegs ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn diese Debatte über die Frage des Iran hinaus am Ende wirklich zu etwas dient, dann ist es in der Tat – das begrüße ich –, dass Sie sich für die Begrifflichkeit der feministischen Außenpolitik öffnen, vielleicht am Ende dann auch noch mal in der richtigen Begrifflichkeit.

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Vor allen Dingen in den Taten!)

Man kann das alles nachlesen bei Margot Wallström. Die war nämlich diejenige, die das Ganze mal entwickelt hat als eine Außenpolitik, die nicht nur auf Frauen – auch auf Frauen, aber nicht nur – guckt, sondern auch Menschen, die in der auswärtigen Politik bisher marginalisiert sind, eine neue Stimme verleiht. Das sind zum Beispiel auch Indigene und viele andere mehr. Wenn wir uns jetzt darauf einigen, dass wir diesen Begriff benutzen, weil er ein fortschrittlicher Begriff ist, weil er dazu führt, Außenpolitik anders zu betrachten und anders zu diskutieren, dann ist diese Debatte zumindest schon mal für etwas gut.

Verehrte Protestierende im Iran, wir hören euch! Das ist, glaube ich, die Botschaft, die auch von dieser Debatte heute ausgeht. Wir müssen alles tun, damit diese Proteste weiterhin gehört werden können, auch von denjenigen, die in Europa, die in Deutschland unterwegs sind. Mich besorgen sehr die Berichte darüber, dass Menschen in Deutschland bedroht werden. Iranerinnen und Iraner im Exil, aber auch andere, die sich hier organisieren, die hier organisierten Protest auf die Straße bringen, in die sozialen Medien bringen, werden bedroht. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass auch das Signal ausgeht: Die deutschen Sicherheitsbehörden gucken ganz genau hin, und wir werden dafür sorgen, dass diese Menschen in Deutschland frei agieren und protestieren können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich könnte zum Ende dieser Debatte Dutzende und Hunderte Namen nennen. Ich will Leila Hosseinzadeh nennen; das ist nämlich diejenige, für die ich eine Patenschaft übernommen habe. Leila ist studentische Aktivistin. Sie ist in den letzten Jahren vielfach inhaftiert gewesen, und sie hat eine schwerwiegende Autoimmunerkrankung. Deswegen ist sie eigentlich haftunfähig. Sie sitzt aber seit August wieder in Haft im Iran. Sie hat es erst in den letzten Tagen geschafft, eine Audiobotschaft nach außen zu senden, die deutlich macht, wie schwer krank und wie bedroht sie entsprechend ist.

Insofern lautet unsere Forderung auch heute hier, aus dem Deutschen Bundestag, von diesem Rednerpult aus: Lassen Sie Leila Hosseinzadeh und all die anderen, die nichts anderes tun, als für die Freiheit einzustehen, frei! Der Bundestag verneigt sich vor den Protestierenden, vor denjenigen, die jetzt für Freiheit ihr Leben aufs Spiel setzen. Frau, Leben, Freiheit – Jin, Jiyan, Azadi!

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7549462
Wahlperiode 20
Sitzung 76
Tagesordnungspunkt Iranische Protestbewegung - frauenorientierte Außenpolitik
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