Reem Alabali-Radovan - Aktuelle Stunde - Silvesterkrawalle
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ganz klar: Die Silvesterkrawalle waren ein erschreckender Start in das neue Jahr. Rettungskräfte mit Böllern beschießen, Hinterhalte bauen, Schreckschusswaffen zum Spaß abfeuern: Das ist rohe Gewalt, das ist abscheulich, und das muss konsequent bestraft werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Selbstverständlich!)
Klar ist aber auch: Wir müssen die Täter nach ihren Taten beurteilen und nicht nach ihren Vornamen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Denn Silvester, das war verrohte Jugendgewalt. Aber das waren und sind unsere Jugendlichen.
(Bernd Schattner [AfD]: Ihre, nicht unsere! – Stephan Brandner [AfD]: Unsere nicht!)
Darüber müssen wir reden; denn diese Gewalt kann man nicht einfach abschieben.
Wer echte Problemlösung will, muss ran an die Ursachen von Jugendgewalt, und die Erkenntnisse liegen seit Jahren vor. Ethnie, Herkunft oder Religion – auch wenn Sie das nicht hören wollen – erklären nichts,
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Erklären fast alles! In ganz Europa, in allen Städten! – Gegenruf der Abg. Anke Hennig [SPD]: Ruhig sein müssen Sie da!)
sondern die sozialen Verhältnisse, in denen Menschen leben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Bernd Baumann [AfD]: In allen Städten Europas das Gleiche! Kulturell!)
Die wichtigsten Risikofaktoren für solche Straftaten sind zudem Geschlecht und Alter, also männlich und jung zu sein.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Hören Sie auf mit Männerfeindlichkeit, wo es doch um Migration geht!)
In der aufgewühlten Debatte war es richtig, dass Ministerin Faeser und Berlins Regierende Bürgermeisterin Giffey sofort gehandelt und ihre Vorschläge gemacht haben:
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan Thomae [FDP])
für eine schnelle Strafverfolgung, für ein schärferes Waffenrecht, für starke Sozialarbeit im Quartier, für die ausgestreckte Hand zusätzlich zur klaren Kante. Das ist verantwortungsvolle Politik, das packt Jugendgewalt an der Wurzel, und das ist das Gegenteil von dem, was wir an Reflexen auch jetzt aus der ganz rechten Ecke, aber auch von der Union sehen und hören.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Sie schüren Generalverdacht und werfen in Talkshows mit pauschalen Beleidigungen um sich. Das ist wieder ein Schlag ins Gesicht von 22 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte in unserem Land.
(Anke Hennig [SPD]: Ganz genau! – Weiterer Zuruf von der SPD: So ist es!)
Sie begreifen bis heute nicht, dass Integration auch eine soziale Frage ist.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Auch eine kulturelle!)
Es geht nicht nur um die geografische Herkunft oder um Einwanderungsgeschichten, nein, es geht um Chancen, um Teilhabe, um Perspektiven und um den Respekt vor unserer Werteordnung und den Vertreterinnen und Vertretern unseres Staates.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stephan Thomae [FDP] – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Und unserer Kultur!)
Wer nach Silvester reflexhaft Ressentiments bedient, der missbraucht die wichtige Debatte über Jugendgewalt für eine ganz eigene Agenda. Wie so oft werden auch hier doppelte Maßstäbe angelegt. Ist der Straftäter aus der eigenen Gruppe, gilt er als Abweichung von der Norm, ist der Täter aus einer als fremd konstruierten Gruppe, ist er der typische Vertreter.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Es kommt auf die Häufigkeit an! – Bernd Schattner [AfD]: Einfach abschieben!)
Konkret: Sind die Straftäter Hooligans in Dresden, sind es Einzelfälle. Sind die Straftäter Neuköllner, sind es die Araber. – Diese Reflexe müssen wir uns bewusst machen, wenn wir nicht nur Vorurteile reproduzieren, sondern das Thema ernsthaft diskutieren und analysieren wollen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stephan Thomae [FDP])
Warum hat die Union eigentlich nicht nach den Vornamen von Reichsbürgern oder Querdenkern gefragt, die unser Hohes Haus stürmen wollten?
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stephan Thomae [FDP] – Anke Hennig [SPD]: Das ist eine gute Frage!)
Wenn ich der Union jetzt zuhöre, erinnert mich das an „Zurück in die Zukunft“. Mit dem Friedrich-Fluxkompensator 25 Jahre zurück: derselbe Debattenton wie damals. Wie wollen Sie eigentlich jemals Großstadtpartei werden? Es ist doch Realsatire, wenn der Generalsekretär der CDU, der Kollege Czaja, zwei Tage nach dem Paschaauftritt seines Parteivorsitzenden im Interview sagt – und ich zitiere –: Es
fällt mir auf, dass wir
– gemeint ist die CDU –
gerade Menschen mit Migrationshintergrund bislang emotional nicht erreicht haben, dass wir sie nicht mit unserer Sprache überzeugt haben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Stephan Thomae [FDP] – Anke Hennig [SPD]: Hört! Hört!)
Mensch, immerhin fällt Ihnen etwas auf! Aber: Die letzten Tage haben eher weniger geholfen.
Wie es anders geht, zeigen unsere Koalition und unsere Agenda. Wir fordern Respekt vor Regeln und Rettungskräften von allen, und wir fördern gleiche Teilhabe und alle Talente, aber wir sortieren nicht nach Migrationshintergründen oder Vornamen. Darum fördere ich als Integrationsbeauftragte in diesem Jahr mit 40 Millionen Euro deutschlandweit Projekte für gutes Miteinander in Quartieren, für politische Bildung und Teilhabe, für klare Kante gegen Rassismus. Darum stärken wir die Prävention von Hass und Gewalt mit dem Demokratiefördergesetz. Darum schaffen wir die Ausbildungsgarantie und das Startchancen-Programm für sozial benachteiligte Schüler/-innen, damit alle ihren Weg in Schule, Berufsbildung und am Arbeitsmarkt gehen können, mit einer beruflichen Karriere, die sie gerne auch im öffentlichen Dienst machen sollen, bei Polizei und Feuerwehr, in Bundesministerien und Bezirksämtern.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Dr. Gottfried Curio ist der nächste Redner.
(Beifall bei der AfD – Norbert Kleinwächter [AfD]: Jetzt kommt Qualität! – Anke Hennig [SPD]: Jetzt wird es ekelig!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7549825 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 78 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Silvesterkrawalle |